„Weil Kinder mehr Zeit brauchen“, versammelten sich am vergangenen Freitag, dem Weltkindertag, in Chemnitz mindestens 600 Menschen, um für gute Bedingungen der frühkindlichen Bildung in den sächsischen Kindertagesstätten zu demonstrieren. Aufgerufen hatte ein Bündnis aus der „Liga der freien Wohlfahrtsverbände“ und des Stadtelternrates Chemnitz, des Graswurzelbündnisses „Die Bessere Kita“ Sachsen und des Landesverbandes der GEW.
Die Landtagswahl am 1. September stellte dafür den Adressaten: Vertreter von CDU, SPD und „Bündnis 90/Die Grünen“ verhandeln über eine neue Regierung, und ihre Programme versprachen vor der Wahl, die Situation zu verbessern. Aber nicht Politikern, sondern der Initiative von Mitarbeitern und Trägern von Kindertagesstätten, Eltern und engagierten Einzelpersonen ist es zu verdanken, dass das Thema in den letzten Jahren öffentlich wahrgenommen wurde und sogar Einzug in den Koalitionsvertrag der letzten Landesregierung gefunden hat.
Die Notwendigkeit dazu liegt auf der Hand: „Wer bestellt, muss liefern“, sagte der Sprecher des sächsischen Graswurzelbündnisses „Die Bessere Kita“ Jens Kluge auf der Kundgebung. Ein gesetzliches Recht auf einen Betreuungsplatz und der Anspruch an eine Erziehung, die sich nicht auf Verwahrung reduziert, stellt Anforderungen: „Unsere zentrale Forderung an die Politik lautet, einen mittel- und langfristigen Plan für die frühkindliche Bildung in Sachsen zu entwickeln. Dafür ist eine gezielte Ausbildungsoffensive nötig, um die erforderlichen Fachkräfte bedarfs- und qualitätsgerecht zur Verfügung zu stellen“, schreiben die Veranstalter in ihrem Aufruf. Das Bündnis kämpft auch für die Reduzierung des Betreuungsschlüssels, in dem Ausfall- oder Weiterbildungszeiten ebenso eingerechnet werden.
Vordergründig geht es dabei um Geld. Mit dem sogenannten „Gute-Kita-Gesetz“ hat die Bundesregierung den Ländern am Anfang des Jahres zwar 5,5 Milliarden Euro an Steuereinnahmen bis 2022 bereitgestellt. Ein großer Teil des Geldes wird dafür genutzt, Kostenbeiträge der Eltern zu senken, und das ist fraglos ein wichtiger Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit. Die Qualität frühkindlicher Förderung und die Entlastung von Personal bleiben aber auf der Strecke.
In den Kindertagesstätten treffen nicht nur die Jüngsten, sondern gemeinsame Interessen vieler zusammen. Mitarbeiter brauchen bezahlte Arbeitszeit, um ihre Aufgaben zu erledigen, Auszubildende eine qualifizierte Lehre und Anleitung, Eltern Betreuungsplätze und ihre Kinder Förderung, die ihnen eine Entwicklung ihrer Anlagen ermöglicht. Bildung war und ist immer eine soziale Frage, weil sie über den Platz des Einzelnen in der Gesellschaft bestimmt und über seine Verfügungsmöglichkeiten entscheidet.
Für viele Teilnehmer, besonders Auszubildende, war die Kundgebung eine erste Begegnung mit organisiertem politischen Handeln: Sie trafen Kollegen, die sich mit katastrophalen Verhältnissen nicht abfinden, und hatten sichtlich Freude daran, ihre Forderungen auf die Straße zu tragen. Die Erfahrung wird sie lehren, dass nur Organisation und politischer Kampf eine Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen bewirken.