Siegfried Alt, Spandau, gibt einen historischen Überblick zu „Reform und Öffnung“

Mehr Tempo durch Reform

Siegfried Alt

Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel in Landwirtschaft, Industrie und Handel wurde in China zwischen 1953 und 1956 vollständig durchgeführt. In der Zeit des ersten Fünfjahresplans (1953 bis 1957) wurde die Basis für die Industrie gelegt. Die ersten Großbetriebe, etwa das Stahlwerk Anshan, entstanden. Der Parteitag der KPCh 1958 definierte als Hauptwiderspruch den Widerspruch zwischen den Bedürfnissen des Volkes nach rascher wirtschaftlicher und kultureller Entwicklung und der mangelnden Fähigkeit der Wirtschaft und Kultur, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Die Hauptaufgabe bestand und besteht heute noch dementsprechend darin, die Produktivkräfte zu entwickeln. Bereits damals machte sich Unzufriedenheit mit dem Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung breit. Es wurden die Experimente mit den Volkskommunen und dem „Großen Sprung nach vorn“ gewagt – sie scheiterten. Die Kulturrevolution entfernte sich ganz von der Lösung des Hauptwiderspruchs und führte in eine Sackgasse. Erst mit dem Tode Mao Zedongs und der Zerschlagung der ultralinken „Viererbande“ 1976 konnte man einen Strich ziehen und sich wieder mit neuen Wirtschaftsmethoden beschäftigen.

Aber zuerst die Bestandsaufnahme: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Chinas betrug 1978 149 Milliarden US-Dollar. Aber das von Japan betrug bereits 1.014 Milliarden, das der USA 2.352 Milliarden Dollar. Nicht nur, dass die beiden kapitalistischen Länder weit vorne lagen, ihre Entwicklung war auch schneller als die Chinas, welches mit vergesellschafteten Produktionsmitteln und nach einem zentralen Plan operierte. 1960 hatte China noch ein BIP von 59 Milliarden, Japan von 44 Milliarden und die USA von 543 Milliarden Dollar. China vermochte also in 18 Jahren nur eine Steigerung von 252 Prozent zu erreichen, Japan aber von 2.304 Prozent und die USA von 433 Prozent. Das heißt: Es tat sich eine Schere auf, zwischen deren Klingen China eines Tages zu geraten drohte. China musste etwas tun, etwas an seiner Produktionsweise ändern. Diese wurde nun Schritt für Schritt reformiert: Man transformierte die Wirtschaft und öffnete das Land – zuerst in der Landwirtschaft, dann gab es Sonderwirtschaftszonen für ausländisches Kapital. Das BIP stieg zuerst langsam an (1990: 360 Milliarden Dollar), dann rasant: 2000: 1.211 Milliarden, 2010: 6.087 Milliarden, 2020: 14.690 Milliarden Dollar. China hat Japan heute weit hinter sich gelassen und zieht mit den USA gleich. In den 42 Jahren von 1978 bis 2020 erreichte das BIP in China eine Steigerung von 9.859 Prozent. Allein in dieser Zahl drückt sich der unglaubliche Erfolg der Politik der „Reform und Öffnung“ aus.

Das Staatseinkommen stieg von 54 Milliarden Dollar im Jahr 1978 auf 3.190 Milliarden im Jahr 2021. Damit kann ein Staat schon etwas anfangen, zum Beispiel 100 Millionen Menschen aus der Armut holen! Die Getreideproduktion erhöhte sich von 304 Millionen Tonnen im Jahr 1978 auf 612 Millionen Tonnen im Jahr 2012 – ein Ausdruck der gesicherten Ernährung!

Der PV-Antrag hat die erfolgreiche ökonomische Entwicklung in China richtig dargestellt. Alle Kritiker Chinas sollten endlich die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass die sozialistische Produktionsweise in China mit zentralem Plan und vergesellschafteten Produktionsmitteln nicht so erfolgreich war wie das heutige Mischsystem mit zusätzlichem Privatkapital und Markt. Das ist einfach ein Faktum. Ob das generell so ist, steht auf einem anderen Blatt. Wenn man jedoch die Erfahrungen der anderen sozialistischen Länder hinzunimmt, dann scheinen die Gesetze der sozialistischen Ökonomie komplizierter zu sein als die Formel „Auflösung des Widerspruchs zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung, Entwicklung der Produktivkräfte auf dieser neuen Grundlage“. Die Frage, die weiter zu untersuchen ist, lautet daher: Was sind – ökonomisch gesehen – die Schwächen des einen Systems, was die Stärken des anderen? Oder anders formuliert: Unter welchen Voraussetzungen (technisch, menschlich, Gesamtumfeld) funktioniert eine voll sozialisierte Ökonomie sehr gut und entwickelt die Produktivkräfte schneller als die kapitalistische?

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"Mehr Tempo durch Reform", UZ vom 10. Februar 2023



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