SPD-Konvent beschließt Vorratsspeicherung

Mehr Schnüffelei wagen

Hinter verschlossenen Türen, im Geheimen, unter Ausschluss der Medien, beriet die SPD am 20. Juni im Willy-Brandt-Haus über die Vorratsdatenspeicherung. Informationen über Verlauf der Debatten und die Ergebnisse wurden vom Parteivorsitzenden und dem Justizminister auf einer anschließenden Pressekonferenz gegeben. Den Punkt „bei Delegierten nachgefragt“, gab es dabei nicht – diese Informationen sickern nun nach und nach in die Öffentlichkeit. Während drinnen ein mehrstündiger und „sachlicher Meinungsaustausch“ – so die beiden SPD-Sprecher – geführt worden sein soll, wurde die SPD-Zentrale draußen von Demonstranten belagert, die gegen die Vorratsdatenspeicherung protestierten. Greenpeace stieg der SPD aufs Dach. Datenschützer hüllten das Haus mit Seifenblasen ein. „Nein zum gläsernen Bürger“, hieß es auf Plakaten. Aufsehen erregten zwei Pappkameraden mit den Konterfeis von SPD-Chef Sigmar Gabriel und dem Justizminister Heiko Maas, die unaufhörlich Seifenblasen ausspuckten: „Schluss mit dem Geblubber – Grundrechte wahren“, lautete die Losung dazu. Unterschriftenlisten wurden dem Fraktionschef Oppermann übergeben.

In der Zentrale hatten die Delegierten des kleinen Parteitags, Konvent genannt, derweil mit ihrer Arbeit begonnen. Der Parteichef begann mit einer allgemeinen Rede. Der Justizminister begründete einen neuen Antrag des Parteivorstands, der aufgrund zahlreicher Kritiken neugeschrieben werden musste. Über einhundert Anträge gab es zu dem alten Entwurf, in denen die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich abgelehnt wurde. Zudem hatten sich elf Landesorganisationen gegen die Vorratsdatenspeicherung positioniert. Diese Argumentationen wurden „zügig erledigt“. Am neuen Entwurf entlang wurden die Debatten geführt.

Triumph für die taumelnden deutschen Geheimdienste

Schon im Vorfeld schreckte die SPD-Führung vor Drohungen nicht zurück. Gabriel habe sogar im Falle der Ablehnung des Antrages mit Rücktritt gedroht, wurde lanciert. Und die SPD-Generalsekretärin, Yasmin Fahimi, machte allen Kritikern klar: „Die SPD ist zu klug, um ihre Regierungsbeteiligung aufs Spiel zu setzen … Man muss sich in einem laufenden Gesetzesverfahren darüber bewusst sein, dass es nach einem solchen Beschluss eine politische Konsequenz gibt, wie immer er aussieht. Ich hoffe, dass die SPD unbeschädigt aus dieser Debatte kommt.“ Von dieser Drohkulisse fühlten sich einige Delegierte eingeschüchtert oder wollten lieber den Mund halten. Dennoch ließen sich der Landesvorsitzende der SPD Berlin und die Juso-Bundesvorsitzende sowie andere Delegierte nicht abhalten, ihre ablehnenden Haltungen klar vorzubringen.

Der Konflikt in der SPD kam denn auch in der abschließenden Abstimmung zum Ausdruck: Von 219 stimmberechtigten Delegierten haben 124 dafür und 88 dagegen gestimmt; sieben Delegierte haben sich enthalten. Der Beschluss sieht vor, dass Telekommunikationsunternehmen die Telefon- und Internetverbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger zehn Wochen lang speichern dürfen. Dazu gehören die Rufnummern der Anschlüsse, Zeitpunkt und Dauer der Anrufe sowie die IP-Adressen von Computern. E-Mails sind ausgeschlossen. Für die Standortdaten, die bei Handy-Gesprächen anfallen, ist eine verkürzte Speicherfrist von vier Wochen vorgesehen.

Massiv hatten führende SPD-Politiker für die Verabschiedung des Antrages geworben. „Es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit“, so Gabriel, „und keine Sicherheit ohne Freiheit.“ Fraktionschef Oppermann sagte: „Das Gesetz ist gut für den Datenschutz und schlecht für alle Verbrecher.“ Dass das Gesetz auch ein Triumph für die von einem Skandal in den anderen taumelnden deutschen Geheimdienste ist, darüber wurde nicht laut nachgedacht. Aber immerhin scheint der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch, der als neuer Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD vorgesehen ist, schon die Bedeutung dieses Beschlusses erkannt zu haben. Er ist ein „nicht akzeptabler Paradigmenwechsel, wenn erstmals der Staat anlasslos und flächendeckend das Speichern von Daten anordnet“. Der SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil befürchtet, dass mit diesem Beschluss „eine Tür aufgemacht“ werde, „die wir nicht wieder zu bekommen.“ Wenn diese Aussagen nicht nur zum Ruhigstellen der Kritiker gedacht sind, dann müssen doch Konsequenzen daraus zu ziehen sein.

Aus Willy Brandts Versprechen „Mehr Demokratie wagen“ haben seine Nachfahren jetzt „Mehr Schnüffelei wagen“ gemacht. Mit dem Vorratsdatenspeicherungsbeschluss hat die SPD eine weitere wichtige Position geräumt, eine sozialdemokratische zudem. Die SPD macht sich als Partei für soziale Demokratie immer unglaubwürdiger und wundert sich, dass sie bei Wahlen nicht aus dem Keller kommt. So wird das nichts. Und den nächsten Treueeid, den die SPD für die GroKo schwören muss, liegt schon auf dem Tisch: Das umstrittene transatlantische Freihandelsabkommen. Wer sich da wieder auf ein Nein der SPD verlässt, der ist von allen guten Geistern verlassen.

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"Mehr Schnüffelei wagen", UZ vom 26. Juni 2015



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