Am vergangenen Wochenende fand der 24. Bundeskongress der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) in Eschborn unter erschwerten Bedingungen statt. UZ sprach mit der SDAJ-Bundesvorsitzenden Lena Kreymann.
UZ: Vor zwei Jahren beschloss die SDAJ, die Interessenvertretungspolitik in Schulen und Betrieben zu verstärken. Der 24. Bundeskongress der SDAJ knüpfte daran an. Was sind eure Erfahrungen und welche Schlüsse habt ihr auf dem Kongress daraus gezogen?
Lena Kreymann: Es war sehr schön, zu sehen, dass viele Gruppen und Strukturen ihre Erfahrungen aus der konkreten Arbeit vor Ort eingebracht haben und auch konkret damit argumentiert haben, beispielsweise welche Forderungen in ihrer Arbeit anknüpfungsfähig sind oder welche Angebote sie in ihrer Gruppenarbeit geschaffen haben, um auf weiterführenden Veranstaltungen mit Mitschülern und Kolleginnen und Kollegen zu diskutieren. Das heißt, wir haben Fortschritte gemacht in dem Sinne, dass wir viele Erfahrungen sammeln konnten.
Trotzdem haben wir festgestellt, dass gerade die Arbeit an Schule und Betrieb eine sehr langwierige Arbeit ist. Es ist oft ein langer Prozess, bis man eine Vertrauensebene aufgebaut hat, bis man entsprechende politische Diskussionen mit Kollegen und Mitschülern geführt hat oder auch einfach Forderungen gefunden hat, für die man gemeinsam kämpfen kann. Das dahinter liegende Problem ist, dass wir an einem sehr niedrigen Bewusstseinsstand anknüpfen und es auch ein Ohnmachtsgefühl in der Gesellschaft gibt. Vielen Leuten fehlen die Erfahrungen, dass man etwas verändern kann.
Unser Ziel ist es, über diese Kämpfe an Schule und Betrieb aufzuzeigen, dass man etwas verändern kann und dass es einen Systemwechsel braucht. Die Rechte und erkämpften Errungenschaften sind nicht gesichert in diesem System. Man muss sie gegen den Klassengegner durchsetzen.
Die Herausforderung bei dieser Arbeit ist es, Forderungen und Ziele zu entwickeln, die diesem Bewusstsein entsprechen, aber unser langfristiges Ziel im Auge zu behalten. Man darf sich nicht in Tageskämpfen verlieren und auch nicht andere Politikfelder vernachlässigen. Auf dem Kongress diskutierten die Gruppen, was für Angebote sie geschaffen haben, auch niedrigschwellige Veranstaltungen wie Kulturangebote.
UZ: Der Bundeskongress hat ein Konzept der Kurzkampagne beschlossen. Worin unterscheidet sich eine Kurz- von einer normalen Kampagne? Was will die SDAJ mit ihr erreichen?
Lena Kreymann: Anders als in der Vergangenheit eröffnet der Beschluss zu den Kurzkampagnen die Möglichkeit, im Laufe der Legislatur zu aktuellen Themen Kampagnen durchzuführen. Diese haben einen geringeren Zeitraum, sind weniger umfangreich und aktueller. Sie zielen darauf ab, die Arbeit, die wir jetzt an Schule und Betrieb etabliert haben, zu verbinden mit weitergehenden politischen Themen. Unser Ziel ist es, kurzfristiger reagieren zu können und dadurch an politischer Schlagkraft und Ausstrahlung zu gewinnen. Auf den rassistischen Anschlag in Hanau hätte man so beispielsweise mit einer Kurzkampagne zum Rechtsruck und seinen Ursachen reagieren können. Gute Erfahrungen haben wir bisher mit einem solchen Herangehen in kleinerem Umfang bei Aktionen zur internationalen Solidarität oder bei Protesten gegen die Polizeigesetze gemacht.
Bisher war es so, dass die SDAJ auf ihren Kongressen eine Kampagne bereits thematisch festgelegt hat. Die Kampagne hatte dann einen Zeitraum von mehr oder weniger einem Jahr. Die Kurzkampagne erhöht unsere Flexibilität, aber erhöht gleichzeitig die Anforderungen an den Verband. Ein Thema muss kurzfristig erkannt werden. Dafür ist vor allem die Mitarbeit der Mitglieder und Gruppen vor Ort gefragt, weil dort merkt man als erstes, was Themen sind, mit denen man politisch weiterarbeiten kann. Die Gruppen sollen aktiv in diesen Prozess eingreifen und der Bundesvorstand beschließt dann aufgrund der Anregungen und politischen Entwicklungen die Kampagnen auf einer Bundesvorstandssitzung.
UZ: Ihr wollt die Interessenvertretungspolitik mit anderen Bereichen wie Antifaschismus und Umweltschutz verbinden. Wie kann das konkret aussehen?
Lena Kreymann: Wir haben uns die letzten zwei Jahre stark darauf konzentriert, die Arbeit an Schule und Betrieb auszubauen und uns dabei fokussiert auf die Auseinandersetzungen, die mit der unmittelbaren Situation an Schule und Betrieb selbst zu tun haben. Das hatten wir im Rahmen unserer Kampagne „Geld gibt es genug – Zeit, es uns zu holen“ versucht. Wir haben versucht, konkrete Missstände vor Ort aufzuzeigen und kleine unmittelbare Kämpfe zusammen mit den Mitschülern und Kollegen zu entwickeln.
Wir wollen jetzt diese Kämpfe mit anderen Bereichen verbinden, um wieder stärker weitergehende politische Themen reinzutragen, ohne gleichzeitig die Arbeit, die wir uns aufgebaut haben, zu verlieren oder zu vernachlässigen. Das fängt an bei niedrigschwelligen Punkten wie zum Beispiel der Unterschriftenkampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“. Wir haben festgestellt, dass sie ein sehr gutes Mittel ist, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Wenn wir das an unseren Lebensschwerpunkten nutzen, ist das eine Möglichkeit, um Bewusstsein zu schaffen. Der nächste Schritt ist es, Mitschüler und Kollegen zu Aktionen und Demonstrationen zu mobilisieren oder zu Veranstaltungen zu politischen Themen mitzunehmen und aufzuzeigen, wie diese mit ihren Interessen zusammenhängen.
Beim Thema Umweltschutz haben wir die Erfahrung gemacht, was es bedeuten kann, Forderungen zu entwickeln, die sich mit der Arbeit am Lebensschwerpunkt und gleichzeitig der politischen Bewegung „Fridays for Future“ verbinden lassen. Beispiele dafür sind um Beispiel billiges, lokales Mensaessen, kostenloser öffentlicher Nahverkehr oder Fahrradständer. Das sind alles erst mal Reformforderungen, kleine Veränderungen, für die wir da kämpfen. Das Wichtige ist, an dem anzuknüpfen, wofür die Leute selber kämpfen wollen. Es geht darum, dann Forderungen zu entwickeln, die geeignet sich, dem Ohnmachtsgefühl etwas entgegenzusetzen und aufzuzeigen, dass man diese Gesellschaft letztlich verändern kann. Dabei geht es nicht darum, nur bereits bestehende Forderungen aufzugreifen. Die Forderung nach einer CO2-Steuer, wie sie in FFF vertreten wird, kritisieren wir etwa scharf.
UZ: Der Bundeskongress fand wegen Coronavirus nur mit der Hälfte der Delegierten statt. War diese Maßnahme notwendig und konntet ihr trotzdem die Funktion des Kongresses als höchstes demokratisches Gremium gewährleisten?
Lena Kreymann: Diese Maßnahme war auf jeden Fall notwendig, weil Veranstaltungen von größeren Größenordnungen gar nicht mehr durchgeführt werden dürfen. Insofern war es die richtige und auch notwendige Entscheidung, den Kongress so kurzfristig zu verkleinern. Wir haben es uns mit dieser Entscheidung im Vorfeld nicht leicht gemacht, aber wir haben uns dafür entschieden, den Kongress jetzt durchzuführen, um unsere politische Handlungsfähigkeit zu gewährleisten und die Vorhaben zu beschließen und den neuen Bundesvorstand zu wählen.
Wir hatten eingeschätzt, dass es anderenfalls in der aktuellen Situation kaum absehbar ist, wann und unter welchen Bedingungen wir unseren Kongress durchführen können. Das war natürlich eine Herausforderung und ist auch was, was wir noch mal nachbereiten müssen.
Ich bin sehr beeindruckt davon, wie schnell unsere Strukturen darauf reagiert haben und dafür gesorgt haben, dass wir diese Verkleinerung möglichst gut umsetzen. Es gab Maßnahmen vor Ort zum Schutz der Teilnehmenden, wie zum Beispiel umfassende Hygienemaßnahmen. Es bleibt festzuhalten, dass das ein Kongress unter besonderen Umständen war. Trotzdem war er unser regulärer Bundeskongress und hat als höchstes demokratisches Gremium Beschlüsse gefällt, die für uns als Verband verbindlich sind. Durch das gute Reagieren des Verbandes konnten wir gewährleisten, dass dieser Charakter vor Ort auch gewährleistet war.
Das Gespräch führte Christoph Hentschel
Eine gekürzte Version des Interviews erschien in der Ausgabe der UZ vom 20. März 2020.