Das sozialistische Kuba arbeitet derzeit an einer umfangreichen Reform seiner Staatsunternehmen. Mit dem „Ley de Empresas“ (deutsch: Unternehmensgesetz) sollen die 2.417 Staatsbetriebe des Landes effizienter gemacht und ein wichtiges Vorhaben der 2011 begonnenen „Wirtschaftsaktualisierung“ abgearbeitet werden, mit der die Entwicklung der Produktivkräfte eine neue Qualität erreichen soll.
Kuba befindet sich derzeit inmitten der schwersten Wirtschaftskrise seiner jüngeren Geschichte. Die Corona-Pandemie, eine im Vorfeld bis aufs Äußerste verschärfte US-Blockade und die schwächelnde globale Konjunktur bildeten – zusammen mit den hausgemachten strukturellen Problemen des bisherigen Modells – einen „perfekten Sturm“, dessen Folgen sich in Mangel bis hin zum Grundbedarf, Stromausfällen und Treibstoffknappheit, einer massiven Verschlechterung der Sozialsysteme sowie der größten Ausreisewelle seit 1990 ausdrücken.
Angesichts dieser Situation versucht die Regierung um Präsident Miguel Díaz-Canel seit 2020, mit einer „neuen Wirtschaftsstrategie“ gegenzusteuern, die im Juli 2020 angekündigt wurde. „Wir können auf wirtschaftlichem Gebiet nicht mehr so weitermachen wie bisher“, erklärte Díaz-Canel. Kernaspekte sind die Diversifizierung der Eigentumsformen in der kubanischen Wirtschaft (unter Beibehaltung der vorherrschenden Rolle des Staatseigentums) sowie die Schaffung effizienterer Verwaltungsformen und vergleichbarer Rahmenbedingungen für sämtliche Unternehmen, unter denen sich alle Akteure miteinander verzahnen können. Wirklich neu ist die Strategie ihrem Inhalt nach nicht: Mit ihr sollen „lediglich“ die Beschlüsse der vergangenen beiden Parteitage beschleunigt umgesetzt werden, deren Implementierung zuvor ins Stocken geraten war. Man sei „auf halbem Wege in schlechtem Schritt“, mahnte Díaz-Canel im Mai und rief dazu auf, „die Reihen zu schließen und das Tempo zu beschleunigen“.
Im September 2021 wurde die Gründung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) mit bis zu 100 Angestellten im Privatsektor zugelassen. Von ihnen gibt es mittlerweile rund 8.500 mit landesweit über 200.000 Beschäftigten. Weitere Schritte umfassten eine Landwirtschaftsreform sowie die fortgesetzte Öffnung für ausländische Investitionen.
Jetzt steht der langwierigste, aber vielleicht wichtigste Teil des Reformprozesses bevor: die Umstrukturierung der Staatsbetriebe, deren 1,43 Millionen Werktätige rund 87 Prozent des kubanischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften.
Die Probleme des Sektors sind bekannt und wurden auf den vergangenen drei Parteitagen der KP Kubas ausführlich erörtert: zu viele bürokratische Strukturen, fehlende Anreize für die Beschäftigten, fehlender Zugang zu Krediten und kaum vorhandener Handlungsspielraum für die Betriebsdirektoren lautete die Diagnose. 587 der 2.417 Betriebe fahren Verluste ein oder stagnieren, während 80 Prozent der Gewinne in nur 56 Betrieben erwirtschaftet werden.
Aus Sicht von Betriebsdirektoren hat dies viel mit der fehlenden finanziellen Autonomie und bürokratischen Strukturen zu tun: „Wenn ein Unternehmen keine finanzielle Eigenständigkeit hat, wird es zu einer haushaltsfinanzierten Einheit. Die Verantwortung wird auf andere Personen abgeschoben, nach dem Motto: ‚Ich bin ja nicht für das Sparen, die Ausgaben und so weiter verantwortlich‘“, erklärte der Leiter der staatlichen Laborgruppe AICA, Antonio Vallin, in einer Sondersendung zum „Ley de Empresas“. Viele Vorhaben seien nicht umsetzbar, da die zuständigen Genehmigungen – wenn überhaupt – erst nach Monaten erteilt werden. „Wenn man versucht etwas umzusetzen, kann man auf eine Verordnung aus dem Jahr 1976, ’85 oder ’91 stoßen, die dem im Wege steht“, so Vallin. Mehrere kleinere Reformanläufe in den vergangenen Jahren führten am Ende wieder zum Status quo ante zurück.
Die an der Reform beteiligte Ökonomin Ileana Díaz Fernández sieht das tieferliegende Problem in einer administrativen und „händischen“ Steuerung der Wirtschaft: „Jedes Mal, wenn ein Problem auftritt, muss dieses manuell gelöst werden, dabei tritt andernorts bereits das nächste auf (…) Das hat dazu geführt, dass – selbst wenn wir Entscheidungen geschützt haben, die unzweifelhaft im Interesse der Gesellschaft lagen – Verzerrungen in der Mikroökonomie entstanden sind“, so Díaz Fenández. Preise müssten ihre Funktion als Maße und Signale ausüben, um Betriebsdirektoren Informationen zu liefern, auf deren Grundlage fundierte Entscheidungen getroffen werden können. In einigen Fällen führe das bisherige Modell beispielsweise dazu, dass Betriebe ihre Produktion einstellen mussten, weil die Dachorganisation keine Mittel für Verpackungsmaterial bereitstellen kann und Eigeninitiative (Import, Zukauf im heimischen Markt) nicht vorgesehen ist. Ähnliche Probleme führten in der DDR der 1960er Jahre zur Herausbildung des „Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung“, in dessen Rahmen „finanzielle Hebel“ eine Schlüsselrolle spielten.
In Kuba soll die „administrative Ressourcenallokation zunehmend auf Marktprozesse verlagert“ werden, erklärte Joel Ernesto Marill vom kubanischen Wirtschaftsministeriums (MEP). „Der Staat muss in die Lage versetzt werden, mit dem Privatsektor zu konkurrieren“, forderte auch Kubas ehemaliger Wirtschaftsminister José Luis Rodríguez. Allerdings nicht überall gleichermaßen. Derzeit läuft eine Inventur sämtlicher Staatsunternehmen, denen diese drei Kategorien zugeordnet werden, die künftig über jeweils angepasste Managementsysteme verfügen werden:
Die erste Gruppe wird mit weit über 1.000 Betrieben den größten Teil des Sektors umfassen. Die Betriebe werden künftig weitgehend autonom agieren, untereinander im Wettbewerb stehen und sich über den Markt versorgen; Insolvenzen sind möglich. Unternehmen dieser Gruppe sollen möglichst auch zu international konkurrenzfähigen „Lokomotiven“ und Exporteuren werden, mit denen der Industrialisierungsprozess des Landes maßgeblich vorangetrieben wird.
Die zweite Kategorie umfasst Monopole, zu denen beispielsweise der staatliche Energieversorger Unión Eléctrica oder der Ölkonzern Cupet zählen. Diese Gruppe von rund 200 Betrieben wird weiterhin Subventionen erhalten, die Autonomie des Managements bleibt zugleich begrenzt.
Die dritte Gruppe besteht aus stark subventionierten Unternehmen, die einen wichtigen Beitrag zur Grundversorgung leisten. Dazu gehören etwa die staatlichen Apotheken, Optiker oder kommunale Dienste. Sie sollen weiterhin im „händischen“ Modus arbeiten, also mit Festpreisen und administrativer Verwaltung.
Mit dem Unternehmensgesetz werden wesentliche Bestandteile des neuen Wirtschaftsmodells und des Perspektivplans 2030 umgesetzt, die beide auf dem VII. Parteitag 2016 beschlossen wurden. Kubas Ökonomie wird darin definiert als „sozialistisches Wirtschaftssystem (…) mit planmäßiger Leitung der Wirtschaft, das den Markt anerkennt und diesen im Interesse der Gesellschaft kontrolliert und reguliert“. Die Planung soll dabei einen zunehmend indikativen und strategischen Charakter tragen (und damit an Qualität gewinnen), während die unmittelbare tägliche Ressourcenallokation weitgehend durch den Markt erfolgen soll. Der Wettbewerb unter den Kategorie-1-Betrieben soll die Identifikation der Belegschaft mit dem Unternehmen stärken; die Beteiligung der Belegschaft an der Leitung wird beibehalten und ausgebaut. Entscheidungen sollen dort getroffen werden, wo die größte Sachkenntnis vorhanden ist: im Betrieb selbst, dem hierfür die „Zwangsjacke“ ausgezogen wurde. Damit wird das Prinzip der Wirtschaftslenkung gewissermaßen „vom Kopf auf die Füße“ gestellt.
In den kommenden Monaten soll der Entwurf des Unternehmensgesetzes veröffentlicht werden. Seine Verabschiedung durch die Nationalversammlung ist für Dezember vorgesehen.