In Düsseldorf gibt es zwei bekannte Politanalysten, die eines verbindet: Sie haben mit der DKP nichts am Hut. Der eine ist Dr. Ulrich von Alemann, emeritierter Professor der Heinrich-Heine-Universität (HHU). Er vertrat das Fach Politikwissenschaften. Der andere ist Ulli Tückmantel (49), seit 2014 Chefredakteur der „Westdeutschen Zeitung“ (WZ). Beide Männer haben aber – wie die DKP – ein Problem: Sie sehen die Demokratie in den Rathäusern von NRW durch eine geplante Sperrklausel bei den Kommunalwahlen bedroht.
Tückmantel überschrieb seinen Bericht über die angestrebte Einschränkung des Wahlrechts im Rahmen einer Verfassungsänderung mit der Überschrift „SPD, CDU, Grüne: Weniger Demokratie wagen“. Prof. von Alemann äußerte im „Morgenmagazin“ des Westdeutschen Rundfunks, dass „die Demokratie eine ganz mühselige Staatsform“ sei, wenn es um die Dauer von Entscheidungsfindungen gehe. Provokativ gab er zu verstehen, dass in einer Diktatur ohne Parteienvielfalt alles viel schneller gehe, da werde man nicht mehr aufgehalten. Solche Verhältnisse wolle er nicht. Vielmehr sei die Gleichheit der Stimme, die Gleichheit der Wahl, ein sehr hohes Gut.
Unliebsame Konkurrenz auf der kommunalen Ebene konnten sich CDU, SPD und Grüne bis 1999 durch die 5-Prozent-Sperrklausel vom Hals halten. Das NRW-Verfassungsgericht kassierte diese Einschränkung am 6. Juli 1999 als verfassungswidrig. Eine neue Hürde schrieb das Gericht nicht vor. Die demokratische Folge: Wer die für einen Sitz im Rathaus notwendigen Stimmen bei der Wahl bekam, der erhielt auch den entsprechenden Sitz im Rathaus. Das war bei der letzten Kommunalwahl 2014 der Fall. Das soll sich nun ändern: 2,5 Prozent der Stimmen sollen in Zukunft eingefahren werden, um einen Sitz zu bekommen. Die durch die Hürde „eingesparten“ Sitze könnten CDU, SPD und Grüne für sich in Anspruch nehmen.
Kommunalpolitischer GAU wird beschworen
Begründung für die Sperrklausel im gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU, SPD und Grünen: Die „volle Handlungsfähigkeit“ der Räte und Kreistage sei „in hohem Maße gefährdet, da die stark gestiegene Zahl von Einzelmandatsträgerinnen und -trägern und nicht fraktionsfähigen Gruppen ihre Arbeit behindern und teilweise erheblich erschweren“. Große Gefahren für die Demokratie wurden durch die Praktizierung der Demokratie an die Wand geworfen: „Als Folge können sich Tagesordnungen und Sitzungen in einem unvertretbaren Maß in die Länge ziehen. Dies erweist sich als großes Hindernis für eine nachhaltige und konstruktive politische Arbeit und als eine ernstzunehmende Beeinträchtigung für die effektive Wahrnehmung der den Kommunen obliegenden Aufgaben.“ Sogar der kommunalpolitische GAU wird beschworen: „In bestimmten Fälle droht hier sogar die faktische Handlungs- und Funktionsunfähigkeit der kommunalen Vertretung.“ Gefordert wird, dass die Sitzungen „stringent und ergebnisorientiert durchgeführt werden.“
Beobachter etwa von Bezirksvertretungssitzungen fragen sich, in wessen Interesse „stringent und ergebnisorientiert“ diskutiert und beschlossen werden soll. Regelmäßig kommen zum Beispiel Bauanträge und Anfragen auf die Tagesordnung, bei denen Investoren die Grenzen von Bebauungsplänen im Interesse einer höheren Kapitalverwertung überschreiten wollen. Kontroverse Debatten, kritische Anmerkungen oder die Aufdeckung von Kapitalinteressen sind da nur lästig. Politikinhalte, die nicht vom Mainstream von CDU und SPD, von Grünen und FDP abgedeckt werden, sind lästig. Nicht die Sitzungsdauer ist das Problem.
Als Gipfel der Unbequemlichkeit wurde auf Duisburg verwiesen, wo eine Ratssitzung 14 Stunden dauerte. Auf Nachfrage bestätigte das Presseamt der Stadtverwaltung, dass diese Sitzungsdauer nicht der Regel entsprach, sondern einmalig war. Es geht auch in Duisburg nicht um die Zeit, sondern um die Zukunftsfähigkeit des Kapitalismus auf der kommunalen Ebene. Die Moderatorin des „Morgenmagazin“ sprach provokativ von einer „Überheblichkeit von CDU, SPD und Grünen“, wenn die kritisierten, dass eine Sitzung auch mal ein bisschen länger dauere.
Stringenter und ergebnisorientierter Verfassungsbruch
Das soll nun anders werden. Der Stimmanteil einer Partei von weniger als 2,5 Prozent wird nicht mehr in Sitze umgerechnet. Diese Parteien werden vom Rathaus ausgesperrt. Damit diese Strategie wasserdicht wird und nicht wieder – wie 1999 – scheitert, wird nicht eine einfache Wahlrechtsänderung, also mit einfacher Mehrheit, angestrebt. Vielmehr wird die Verfassung mit Zweidrittelmehrheit verändert. Damit wird die Rechtslage auch an dieser Stelle „stringent und ergebnisorientiert“. Und zwar bis in alle Ewigkeit: „Es handelt sich um ein verfassungsänderndes Gesetz. Von einer Befristung ist deshalb abzusehen.“
Die Umsetzung des neuen Gesetzes könnte zu schnelleren Entscheidungen in den Ratsversammlungen und in den Fachverwaltungen führen. Das läuft dann unter dem Stichwort „Effektivierung durch Verschlankung der Hierarchien“ oder „Abbau von ‚Überregulierung’ – etwa im Umweltschutz – und Transparenzansprüchen (Stichwort: TTIP und die Kommunen)“.
Artikel 78, Absatz 1 der NRW-Landesverfassung soll nun folgende dubiose Ergänzung bekommen: „Die Räte in den Gemeinden, die Bezirksvertretungen, die Kreistage und die Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer, geheimer und freier Wahl gewählt. Wahlvorschläge, nach deren Ergebnis sich die Sitzanteile in den Räten der Gemeinden, den Bezirksvertretungen, den Kreistagen und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr bestimmen, werden nur berücksichtigt, wenn sie mindestens 2,5 vom Hundert der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben.“
Im Landtag bezeichnen CDU, SPD und Grüne ihren gemeinsamen Entwurf zum „Kommunalvertretungsstärkungsgesetz“ nicht schlicht im Sinne Merkels mit der Vokabel „alternativlos“. Hier lautet die Formel im vollständigen Satz: „Alternative Instrumente von aus der zunehmenden Zersplitterung resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen sind nicht erkennbar.“ Die nächste parlamentarische Beratung erfolgt im Hauptausschuss des Landtages vermutlich am 28. April.
Die Fraktion der „Piraten“, die sich mehrfach vehement gegen die Sperrklausel („Demokratieabbaugesetz“) ausgesprochen hat, kündigte Verfassungsbeschwerde an. Auch Ralf Michalowski, Sprecher des NRW-Landesverbandes „Die Linke“, attestierte die Rechtswidrigkeit der geplanten Verfassungsänderung. „Die Linke“ erwägt ebenfalls eine Klage. Michalowski rechnet für die juristische Klärung mit einem Zeitraum bis ins Jahr 2020. MdL Christian Dahm, Kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, erklärte auf Anfrage: „Nach den Empfehlungen der Sachverständigen aus der Anhörung werden weitere Veränderungen diskutiert und ein Änderungsantrag zum Gesetz vorbereitet.“ Das liege noch nicht vor. Dahm rechnet damit „voraussichtlich erst Ende April/Anfang Mai.“ Damit würde auch ein Wunsch des NRW-Städtetages, das Scharnier zwischen Kapital und Kommunen, endlich Wirklichkeit. Der Vorstand des Spitzenverbandes hatte schon 2014 in Köln und erneut im Jahr 2015 behauptet, dass es zu einer „merklichen und fortwährend verstärkenden Zersplitterung der Räte und den damit einhergehenden zunehmenden Verlust der vollen Handlungsfähigkeit der Räte und Kreistage“ gekommen sei.
Die DKP-Bezirke Ruhr-Westfalen und Rheinland-Westfalen unterstützen den Protest gegen das „Kommunalvertretungsstärkungsgesetz“. Sie werden das von CDU, SPD und Grünen angemaßte kommunalwahlpolitische „Demokratie-Monopol“ beim UZ-Pressefest demaskieren.