ver.di beschließt Tarifforderungen für den öffentlichen Dienst

Mehr Geld, mehr Zeit, ein „Meine-Zeit-Konto“

Rund drei Monate vor der ersten Verhandlungsrunde für die 2,5 Millionen Beschäftigten des Bundes und der Kommunen hat die ver.di-Bundestarifkommission (BTK) für den Öffentlichen Dienst die Forderungen beschlossen. In der anschließenden Videokonferenz mit mehr als 1.000 Tarifbotschafterinnen und Tarifbotschaftern erläuterten die ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke und Christine Behle die Hintergründe. Grundlage des Beschlusses waren die Forderungsbeschlüsse der einzelnen ver.di-Landesbezirke sowie die Ergebnisse der Arbeitszeitbefragung im Frühjahr und der Forderungsbefragung der letzten drei Monate. Insbesondere die Arbeitszeitbefragung von ver.di, an der sich fast 260.000 Beschäftigte beteiligt haben, machte deutlich, wie die Arbeitssituation im kaputtgesparten Öffentlichen Dienst für die Beschäftigten aussieht: „Die 2,5 Millionen Kolleg*innen ächzen unter dem Druck durch Arbeitsverdichtung, unbesetzte Stellen und Personalknappheit. Dagegen nicht entschieden vorzugehen, gefährdet die Zukunft des öffentlichen Dienstes. Die Arbeit muss attraktiver werden und dazu gehören neben mehr Geld vor allem mehr Zeitsouveränität und mehr Entlastung!“, so Werneke auf dem bundesweiten ver.di-Flugblatt zur Tarifforderung.

In der Videokonferenz stellte der ver.di-Vorsitzende erneut heraus, dass sich 56 Prozent der Beschäftigten nicht vorstellen können, unter den aktuellen Bedingungen bis zur Rente „durchzuhalten“. Zwei Drittel der Befragten fühlen sich nach der Arbeit leer und ausgebrannt, können sich nicht mehr richtig erholen. Auch die Forderungsbefragung mit 150.000 Teilnehmenden wies der Bundestarifkommission die Richtung, neben der Erhöhung der Entgelte auch die Frage von Arbeitszeit und -verdichtung in die Tarifrunde zu tragen. Die Herausforderung sollte allerdings sein, aus der Vielzahl von individuellen Arbeitszeitbedürfnissen (Reduzierung der Wochenarbeitszeit, 4-Tage-Woche, Sabbaticals, wirksamen Altersteilzeitregelungen, mehr freie Tage …) eine kraftvolle Forderung zu machen, hinter der sich die Beschäftigten vereinen und für die sie auch streiken würden.

Gefordert wird eine Entgelterhöhung von 8 Prozent, mindestens aber 350 Euro, über angestrebte 12 Monate Laufzeit des Tarifvertrages. Sowohl Frank Werneke als auch Christine Behle sprachen von einer starken Entgeltforderung, die im Kontrast zu den gesunkenen Inflationswerten und der stagnierenden Wirtschaft eher hoch sei. Begründet werden könnten die Forderungen primär mit dem Nachholbedarf der Beschäftigten im öffentlichen Dienst gegenüber der Privatwirtschaft, vor allem aber mit der Stützung der Binnennachfrage durch Steigerung der Kaufkraft. Zu dieser Einordnung passte dann auch, dass innerhalb der 8 Prozent diverse weitere Forderungen für besonders belastete Beschäftigte beinhaltet sein sollen, etwa die Erhöhung von Zulagen für Wechselschicht- und Schichtarbeit, Nachtdienste, Überstunden und so weiter. Dadurch steht die Lohnerhöhung für alle in Konkurrenz zu einer hohen Anzahl von Einzelforderungen.

Noch komplizierter wird es für die Beschäftigten aber durch die Forderung nach einem individuellen „Meine-Zeit-Konto“. Hierdurch soll eine Alternative zur Auszahlung der Entgeltsteigerungen geschaffen werden. Anstatt das Geld zu nehmen, kann es auf das Konto gebucht und für eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit, für zusätzliche freie Tage oder längere Freistellungsphasen genutzt werden. Auch die zusätzlichen drei freien Tage, die ver.di als Ausgleich für die hohe Verdichtung der Arbeit zusätzlich fordert – für Gewerkschaftsmitglieder sind es vier freie Tage – können von den Beschäftigten auf das Konto gebucht werden.

Das Zusammenspiel der Forderungen mit dem, was am Verhandlungstisch in Zwischenschritten und Teilergebnissen passieren kann, wird es den Beschäftigten nicht einfach machen, die Verhandlungen zu verfolgen und nachzuvollziehen, welche Forderung vielleicht auf der Strecke bleibt. Vor allem aber wird die Herausforderung sein, in den Betrieben Stärke aufzubauen und sich streikstark hinter den Forderungen zu vereinen. Nur so können überhaupt relevante Entgeltsteigerungen und erste Regelungen zur Arbeitszeitverkürzung erreicht werden.

Der Gegenwind wird höher sein als in der Vergangenheit, darauf gilt es sich vorzubereiten. Denn die Euros, die nicht für die Beschäftigten da sein sollen, werden zuallererst in Konzerngewinnen und Rüstungshaushalten versteckt, in der Daseinsfürsorge schon lange nicht mehr.

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"Mehr Geld, mehr Zeit, ein „Meine-Zeit-Konto“", UZ vom 18. Oktober 2024



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