Betrat man den „Spind“ genannten Arbeitsplatz eines Zustellers bei der Post, fielen einem bis vor Kurzem grüne und rote Merkkarten in den Adressfächern auf. Auf diesen Karten waren die Nachsendeanträge, Lagerungsvermerke und Postfächer der Bewohner der entsprechenden Adresse verzeichnet. Stellte der Zusteller also eine Sendung in den Spind, konnte er vor Ort die entsprechenden Anträge nachsehen.
Inzwischen sind diese Merkkarten fast überall verschwunden. Stattdessen gibt es nun weiße Klebepunkte, sogenannte Indikatoren, auf denen Zahlen vermerkt sind. Diese verweisen auf digitale Einträge, wo Zusteller – mittels eines Handscanners – die Informationen finden, die zuvor schriftlich vorlagen.
Für das Ende der bunten Merkkarten gibt es wohl mehrere Gründe. „Digitalisierung“ ist in allen Strategiepapieren der Post ein Schlagwort – und schon aus Gründen der eigenen Arbeitsplatzsicherung wird es manch einen geben, der alles mögliche an Papieren im Ablauf der Post digitalisieren will. Wesentlich ist aber – mindestens für die gewerkschaftliche Arbeit: Die Digitalisierung erleichtert die Überwachung der Kolleginnen und Kollegen.
Dafür grundlegend ist eine hohe Arbeitsdichte. Die Zustellbezirke werden tendenziell größer, die Zahl der „Stammzusteller“ wird verringert. Sie kennen ihre Bezirke wie ihre Westentasche, im Gegensatz zu den angelernten Kräften, eingesetzten „Springern“, die ohne genauere Kenntnis „blind“ loslaufen. Ihre Zahl hat die Post immer weiter erhöht.
Aushilfskräfte ignorierten die Merkkarten sowieso, weil sie weder die Zeit hatten, diese richtig zu bearbeiten, noch real Verantwortung dafür übernehmen konnten, diese in einem unbekannten Zustellbezirk richtig im Spind zu hinterlegen.
Das wie die gesamte „Pflege“ eines Bezirks, also die Weitergabe von Veränderungen wie Neubauten oder Abrissen im Bezirk, Veränderungen der Straßen oder Hausnummern, wurde den Stammzustellern überlassen. Die Merkkarten galten erst als „angekommen“, wenn ein Stammzusteller diese mit seinem Kürzel und einem Datum versah. Aushilfskräfte wurden so vor „Ansprachen“ wegen Fehlern geschützt – zum Beispiel bei Zustellung von Briefen, die eigentlich hätten nachgesandt werden müssen.
Diese Ansprachen sind zu Recht gefürchtet. Bei der Post kam 2011 ein „Mobbing-Leitfaden“ ans Tageslicht, der gegen jene eingesetzt wurde, die angeblich zu viele Fehler machten, die Zustellung abbrachen oder zu lange brauchten. Auch wenn die Post sich davon distanzierte, das Grundsystem bleibt. Und Teil dieses Systems ist der massive Einsatz von Befristungen, der die Beschäftigten besonders druckempfindlich macht.
In der digitalen Variante können die Stammzusteller die Aushilfskräfte nun nicht mehr schützen. Der Handscanner macht auf neue, nicht bearbeitete Merkkarten aufmerksam und zwingt zu ihrer Bearbeitung. Da sich der entsprechende Zusteller zuvor mit seinem Namen einträgt, ist die Information als durch ihn persönlich bearbeitet jederzeit erkennbar. Findet sich also keine Markierung im Spind oder wird fortan etwas vergessen, kann sich niemand mehr durch die „Nicht-Information“ schützen. Jeder Fehler wird gesehen und dokumentiert – Munition für die nächste „Ansprache“.
Der Arbeitsaufwand hat sich durch die Digitalisierung der Merkkarten dagegen kaum verringert. Bisher wurden diese einmal in der Woche auf ihre Richtigkeit und vor allem darauf kontrolliert, ob sie noch gültig waren. War der Arbeitsdruck zu hoch, wurden diese Kontrollen rein formal oder ganz unterlassen. Technisch ist jetzt ein Zwang zur Kontrolle jederzeit möglich.
Das Grundproblem besteht seit Langem und wird nur umso deutlicher: Der hohe Arbeitsdruck ist die Ursache dafür, dass zeitraubende Tätigkeiten möglichst umgangen werden. Dagegen wiederum richten sich die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen der Post. Doch die Qualität sinkt, weil die Zustellbezirke zu groß sind und die Arbeitsbelastung zu hoch ist. Eine zuverlässige Postzustellung – an der wir alle ein Interesse haben – hängt von guten Arbeitsbedingungen ab. Beides steht im Widerspruch zum Monopolkonzern Post und dessen Profitstreben.
Die Vorteile digitalisierter Arbeitsweisen – wie der einfachere Zugang zu den Informationen oder die Einsparung der Plastikhüllen und der Papiermerkkarten – sind für die Zusteller gleich Null. Einem Weltkonzern, der als Gegenstück zur „GoGreen“-Propaganda Fahrrad- und Fußbezirke in Autobezirke umstellt und darüber hinaus jede Woche Tonnen von Werbemüll verteilt, sollte nicht geglaubt werden, wenn er von Umweltschutz spricht.