Mit einem Kurzbesuch in Bagdad hat Außenminister Heiko Maas Mitte Dezember dem Berliner Dringen auf einen größeren Einfluss im Irak Nachdruck verliehen. Das Land befindet sich aktuell in einem Regierungswechsel, dessen Folgen noch nicht abschließend einzuschätzen sind. Der Außenminister kündigte an, Deutschland werde dem Irak „als Freund und Partner weiter verlässlich zur Seite stehen“. Bagdad erhofft sich nicht zuletzt finanzielle Unterstützung. Die Kriegszerstörungen sind umfassend; nach Angaben der Weltbank beläuft sich die Summe, die für den Wiederaufbau veranschlagt werden muss, auf 80 Milliarden Euro. Die Bundesrepublik zählt bisher zu den wichtigsten Geldgebern des Irak.
Allerdings fordert Berlin Gegenleistungen von Bagdad. Berichten zufolge hat sich Außenminister Maas unter anderem um einen Großauftrag für Siemens bemüht. Dabei geht es um den Wiederaufbau der Stromversorgung; notwendig sind zunächst die Reparatur des maroden, teils zerstörten Stromnetzes und die Instandsetzung und der Neubau von Kraftwerken. Der Auftrag wird auf einen Wert von mindestens 13 Milliarden Euro geschätzt. Siemens hatte den Zuschlag nach einer unmittelbaren Intervention deutscher Regierungsstellen in Bagdad sicher geglaubt, muss jetzt allerdings zur Kenntnis nehmen, dass Washington zugunsten von General Electric (GE) Druck ausübt und der US-Konzern zumindest lukrative Teilaufträge erhalten soll.
Darüber hinaus ist Bagdad der Bundesregierung mit einem Aufruf an irakische Flüchtlinge entgegengekommen, den Heimweg anzutreten. Rund 245 000 Iraker sind in die Bundesrepublik geflohen. Es handelt sich um die zweitgrößte nationale Gruppe von Flüchtlingen in Deutschland nach den Syrern. „Der Irak ist ein sicheres Land“, erklärte Al Hakim; lediglich im Nachbarland Syrien gebe es noch „viele Dinge, die (…) Grund zur Besorgnis liefern“. Damit entsprach Al Hakim nicht nur dem Interesse Berlins, die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland zu reduzieren. Er bestätigte auch die offizielle Haltung der Bundesregierung, wonach der Irak sich auf recht gutem Wege befinde, in Syrien hingegen immense Schwierigkeiten fortbestünden.
Tatsächlich sind die Probleme im Irak insbesondere in den sunnitisch geprägten Landesteilen, die von der IS-Herrschaft und vom Krieg gegen den IS besonders betroffen waren, riesig. Beobachter warnen, dem IS gelinge es inzwischen, sich im Untergrund zu konsolidieren; die Aktivitäten der Regierung in Bagdad, der Behörden und insbesondere der schiitischen Milizen seien geeignet, der Rückkehr der Dschihadisten den Boden zu bereiten. So komme etwa der Wiederaufbau in den kriegszerstörten Städten, insbesondere in der einstigen IS-Zentrale Mossul, nicht voran; Bagdads schiitisch dominierter Regierung widerstrebe es offenbar, sunnitisch geprägten Gebieten in ausreichendem Maße Geld zur Verfügung zu stellen. Zuletzt habe Bagdad auf massiven Druck hin 100 Millionen US-Dollar für den Wiederaufbau locker gemacht; gebraucht würden jedoch Milliarden. Die irakischen Sunniten fühlten sich von der Regierung massiv benachteiligt und diskriminiert. Dies wiegt schwer: Die Benachteiligung und Diskriminierung der sunnitischen Minderheit hatte einst dem IS, der sich aus den sunnitischen Bevölkerungsteilen speiste und der schiitischen Mehrheit den mörderischen Kampf angesagt hatte, den Aufstieg erleichtert.
Katastrophale Zustände herrschen in Lagern, in denen tatsächliche oder angebliche Ehefrauen von IS-Kämpfern mit ihren Kindern interniert werden. Internierte, die – ob zu Recht oder zu Unrecht – mit dem IS in Verbindung gebracht würden, erhielten nicht genug Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung; die Frauen müssten sich in vielen Fällen prostituieren, um zu überleben; sie würden von Wächtern und von anderem Lagerpersonal vergewaltigt. „Entsprechend erziehen sie ihre Kinder“, berichtet ein Zeuge, „und ihre Söhne werden nach Rache streben“: „Die Samen für den nächsten Konflikt sind alle da.“