Dieser Artikel beruht auf einem Referat, das Lühr Henken, Ko-Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, auf dem Festival der Jugend der SDAJ Ende Mai in Köln gehalten hat. Im ersten Teil in der vorigen UZ-Ausgabe beschäftigte er sich mit den Aufrüstungsplänen deutscher Bundesregierungen seit 2014 und stellte dabei die konkreten Projekte für das deutsche Heer dar. Im zweiten und letzten Teil schildert er die Aufrüstung bei Marine und Luftwaffe und ordnet die Pläne in die geostrategische Orientierung des deutschen Imperialismus ein.
Laut einer Analyse der „FAZ“ entfallen etwa 19 Milliarden Euro des „Sondervermögens“ für die Bundeswehr auf die deutsche Marine. Diese wird ab 2025 in Rostock die Leitung eines Marineführungskommandos der NATO „für Operationen an der Nordflanke des Bündnisses“ übernehmen. Schon heute verfügen die Flotten der NATO-Anrainer der Ostsee über mehr Kriegsschiffe und U-Boote als die russische Baltische Flotte.
Deutschland rüstet weiter auf – und zwar gewaltig: Von Ende März stammt die neueste Planung „Marine 2035 +“. Demnach soll die Flotte statt neun Fregatten 15 haben und statt fünf Korvetten sechs bis neun. Als Neuerung sollen bis zu 18 „Future Combat Surface Systems“ hinzukommen. So viel man bisher über sie weiß, sollen sie unbemannt, schwer entdeckbar und für den Krieg über Wasser und den Beschuss von Land vorgesehen sein. Zusammengezählt steigt die Zahl der Überwasserkampfschiffe von 14 auf bis zu 42. Das ist das Dreifache.
Die Zahl der U-Boote soll von sechs auf bis zu neun steigen. Und auch hier sind neuartige „Large Unmanned Underwater Vehicles“ vorgesehen. Als Ergänzung von U-Booten zu Aufklärungszwecken will man davon sechs, so dass sich die U-Boot-Flotte von sechs auf bis zu 15 und damit um das Zweieinhalbfache vergrößert.
Auffallend ist, dass die deutsche Marine zunehmend Kriegsschiffe entwickelt, die von See aus Landziele beschießen können. Sie sind nicht nur für den Einsatz in Europa konzipiert, sondern auch für den Indischen und den Pazifischen Ozean. Der NATO hat die Bundeswehr bis Ende 2031 zugesagt, „mindestens 15 Kriegsschiffe, also Fregatten, Korvetten und U-Boote, gleichzeitig zum Kampf über und unter Wasser bereitzustellen“.
Größter Brocken für die Luftwaffe
Die Luftwaffe soll den größten Brocken – laut „FAZ“ 41 Milliarden Euro – aus dem „Sondervermögen“ erhalten. Mindestens 7,8 Milliarden Euro davon fließen in 60 schwere Transporthubschrauber des Typs Chinook von Boeing. Sie sollen bis 2030 ausgeliefert sein.
Für 152 Millionen Euro sollen die Kampfdrohnen des Typs HERON TP aus Israel bewaffnet werden. Mit ihrer Einsatzbereitschaft ist ab 2024 zu rechnen.
Fünf Milliarden Euro sind für den Aufbau eines Europäischen Luftverteidigungssystems (ESSI) vorgesehen, dem sich bisher unter deutscher Führung 18 Staaten Europas angeschlossen haben. Es soll bis 2025 fertig sein.
Insgesamt soll im kommenden Jahrzehnt etwa die Hälfte der Luftwaffe erneuert werden. 118 Eurofighter und Tornados sollen durch 128 neue Kampfflugzeuge „ersetzt“ werden. Dabei handelt es sich um zwei neue Flugzeugtypen, die die altersschwachen Tornados der Bundeswehr ersetzen sollen. Die Tornados dienen im Rahmen der sogenannten Nuklearen Teilhabe der NATO derzeit noch dazu, in Büchel gelagerte US-Atombomben in Richtung Russland tragen zu können. Als Tornado-Ersatz gab der Bundestag Ende Dezember 2022 grünes Licht für die Bestellung von 35 Tarnkappenbombern des Typs F-35 in den USA. Sie werden wohl zehn Milliarden Euro kosten. Ausgeliefert werden sollen die F-35 ab 2027.
Die in Büchel gelagerten atomaren 15 Freifallbomben der Typen B61–3 und B61–4 sollen schon ab 2024 durch wesentlich präziser steuerbare Nachfolgemodelle des Typs B61–12 ersetzt werden. Zudem – und das ist von besonderer Bedeutung – können sie „mehrere Meter in das Erdreich eindringen und somit (…) gezielt gegen tiefliegende Bunker eingesetzt werden“.
Mit Elektronik vollgestopfte Drohnen
Eurodrohnen sind Mehrzweckdrohnen Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Spaniens und ein Projekt der militärischen Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) der EU unter deutscher Führung. Airbus Defence and Space entwickelt und baut die Eurodrohnen federführend in Manching bei Ingolstadt.
Die Drohnen dürfen im zivilen Luftraum fliegen, können also überall starten und landen. Das erhöht die militärische Flexibilität. Die Eurodrohne wird mit Elektronik vollgestopft. Mit ihrer SIGINT-Technik spioniert sie die militärischen Führungs- und Kommandostrukturen aus. Zudem legt sie digitale Landkarten an, in welche die mittels SIGINT ermittelten strategischen Orte eingetragen und als Angriffsziele zugewiesen werden.
Die Eurodrohnen, mit elf Tonnen Gewicht mehr als doppelt so schwer wie die derzeit größten Kampfdrohnen HERON TP und Reaper („Sensenmann“) aus den USA, sollen auch bewaffnet werden. Die Eurodrohne wird in Bundeswehrkreisen als „europäische Superdrohne“ und ein „echter Gamechanger“ für die Luftwaffe gepriesen. Von den insgesamt 63 Eurodrohnen, welche die vier Staaten abnehmen wollen, will Deutschland 21. Der Vertrag ist rechtskräftig. „Die Kosten des deutschen Anteils dieses Projekts liegen bislang nahe an vier Milliarden Euro.“ Eine Eurodrohne kostet also weit mehr als ein Eurofighter. Ab 2029 sollen die 21 deutschen Eurodrohnen in Jagel (Schleswig-Holstein) stationiert werden.
Jahrhundertprojekt FCAS
FCAS ist wahrlich ein Jahrhundertprojekt, auf das sich Emmanuel Macron und Angela Merkel 2017 verständigt haben. Spanien kam inzwischen hinzu. Dabei geht es nicht allein darum, die demnächst veralteten Kampfflugzeuge Deutschlands (Eurofighter) und Frankreichs (Rafale) schlicht durch ein neues Kampfflugzeug zu ersetzen – vielmehr geht es um das „Future Combat Air System“ (FCAS) – zu Deutsch etwa „Zukünftiges Luftkampfsystem“.
FCAS soll in den Jahren 2040 bis 2080 eingesetzt werden. Allein seine Entwicklungskosten werden auf über 100 Milliarden Euro geschätzt.
Im Zentrum von FCAS steht ein neu zu entwickelndes Kampfflugzeug der nächsten Generation: der Next Generation Fighter (kurz: NGF). Jedes NGF soll von bewaffneten Drohnen – wie der Eurodrohne – und Drohnenschwärmen in einem digitalen Netzwerk, der sogenannten Kampf-Cloud, umgeben sein. Diese gilt als elektronisches Gehirn, als Kommandozentrale, in der die Daten zusammenfließen. Beim NGF hat Frankreichs Dassault die Führungsrolle inne. Allerdings geht Airbus dabei alles andere als leer aus: „Auf Airbus und seine Zulieferer entfallen mit den deutschen und spanischen Standorten zwei Drittel der Wertschöpfung und auch zwei Drittel des Budgets.“
Das NGF wiederum ist mit anderen NGFs verbunden, mit Satelliten, mit Aufklärungsdrohnen, mit Aufklärungs- und Tankflugzeugen, mit Kriegsschiffen und Heereseinheiten. Die Verbindung schafft Echtzeitbilder und Echtzeitanalysen. In der Kampf-Cloud wird Künstliche Intelligenz die alles durchdringende zentrale Rolle spielen. FCAS stellt eine Revolution der Militärtechnik dar. Es wird deshalb als „System of Systems“ bezeichnet.
Kampf um die Lufthohheit
Das Kampfflugzeug NGF wird als Tarnkappenbomber und als Träger von Atombomben konzipiert und soll auf einem eigens noch herzustellenden französischen oder deutsch-französischen Flugzeugträger starten und landen und möglicherweise auch unbemannt fliegen können. Das militärische Ziel von FCAS ist es, über eine Kampfüberlegenheit in der Luft auch den Krieg an Land und zur See zu gewinnen. FCAS ist vor allem gegen Großmächte gerichtet. Die EU strebt damit militärischen Weltmachtstatus an. Dafür gibt es zwei Belege:
Erstens den gemeinsamen Standpunkt der Luftwaffenchefs Deutschlands, Frankreichs und Spaniens. Sie sagen, worum es ihnen mit FCAS geht: Es „soll in allen Kategorien des Luftkampfes über hervorragende Fähigkeiten verfügen, dadurch die Luftüberlegenheit unserer Luftwaffen und dadurch die erforderliche Bewegungsfreiheit der anderen Teilstreitkräfte sicherstellen“.
Zweitens stellt der französische Senat zur FCAS-Architektur fest: „Die Herausforderung an die künftigen Kampfflugzeuge wird darin bestehen, die Fähigkeit zur Eroberung und Aufrechterhaltung der Luftüberlegenheit zu besitzen, um mit der dritten Dimension sowohl zu Land als auch zu Wasser agieren zu können.“
FCAS ist nur realisierbar, wenn das System oder wesentliche Teile davon auch in Länder außerhalb Europas exportiert werden können, was wiederum nur möglich ist, wenn auf US-amerikanische Bauelemente verzichtet wird, denn sonst könnte die US-Regierung Einspruchsrechte geltend machen.
EU will „strategische Autonomie“
Die EU will sich auf diesem Weg eine militärische „Strategische Autonomie“ – also Unabhängigkeit von den USA – verschaffen, die insbesondere Frankreich für sich anstrebt. „Strategische Autonomie“ ist als Ziel der EU seit 2016, zunächst in ihrer Globalstrategie festgelegt und in ihrem im März 2022 verabschiedeten „Strategischen Kompass“ präzisiert. Mittels „Strategischer Autonomie“ solle die EU „ihre geopolitische Stellung ausbauen“. Konkret wird die Förderung der Entwicklung von FCAS und MGCS (siehe dazu UZ vom 16. Juni) als „strategische Fähigkeit“ angestrebt.
Lars Klingbeil, Ko-Vorsitzender der SPD, setzte dort an, als er forderte, die EU müsse „eine geopolitische Bedeutung entfalten“. Wörtlich sagte er: „Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben.“ Olaf Scholz, der in seiner „Zeitenwende“-Rede bereits angekündigt hatte, MGCS und FCAS mit „höchster Priorität“ angehen zu wollen, hat in einem Grundsatzartikel unterstrichen, die EU müsse ein geopolitischer Akteur werden: Es gelte, in der EU die Reihen zu schließen „beim Aufbau einer europäischen Verteidigung, bei technologischer Souveränität und demokratischer Resilienz“. In seiner Rede in der Universität in Prag Ende August letzten Jahres warb er für den „Aufbau einer schnellen EU-Eingreiftruppe, die mittelfristig über ein ‚echtes‘ Hauptquartier verfügen soll. ‚Deutschland wird sich dieser Verantwortung stellen, wenn wir 2025 die schnelle Eingreiftruppe führen‘, sagte er.“ In seiner Rede vor dem EU-Parlament Anfang Mai in Straßburg warb er für „den Aufbau einer integrierten Verteidigungswirtschaft“. Angesichts seiner Orientierung auf eine militarisierte EU mit geopolitischem Anspruch musste folgende Passage in seiner Straßburger Rede rätselhaft erscheinen: „Wer nostalgisch dem Traum europäischer Weltmacht nachhängt, wer nationale Großmachtfantasien bedient, der steckt in der Vergangenheit.“ Viele bewerteten dies als einen Seitenhieb gen Frankreich – gegen Macron, der eine Strategische Autonomie der EU als gegen die USA gerichtet sieht. Scholz betonte in Straßburg: „Die Vereinigten Staaten bleiben Europas wichtigster Verbündeter.“ Dieser Widerspruch ist nur scheinbar. Die Aufrüstung der EU mit superteuren Waffensystemen, die unabhängig von den USA entwickelt und produziert werden sollen, wird die Rüstungsbasis in Westeuropa stärken. Die Waffen wiederum stärken den europäischen Pfeiler der NATO, können aber eben auch unabhängig von einer Zustimmung der USA eingesetzt werden. Scholz und Macron fahren hier mittel- bis langfristig zweigleisig.
Deutschland will wieder führen
Da Deutschland als größte Wirtschaftsmacht Europas die höchsten Militärausgaben anstrebt und bei den Megamilitärprojekten die technologische und finanzielle Führung beansprucht, formuliert die SPD-geführte Bundesregierung nicht weniger als den Anspruch, die EU mit Deutschland an der Spitze zu einer militärischen Weltmacht ausbauen zu wollen.
Dadurch befeuert Deutschland das Wettrüsten gegenüber Russland, aber auch gegenüber China und den USA. Wird diesem Rüstungswahn nicht Einhalt geboten, droht der Menschheit und dem Globus eine Megakatastrophe. Geld, das dringend nötig ist für die Bewältigung von Hunger und Armut und die Überwindung der sozialen Ungleichheit sowie zum Erhalt der Umwelt, wird sinnlos verpulvert. Die Zukunft des Planeten kann nur durch gleichgewichtige Abrüstung bei gegenseitiger Rüstungskontrolle gesichert werden. Zu beachten ist dabei, dass das strategische Gleichgewicht gewahrt werden muss und die eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer gehen darf.