Digitalisierung in Schule und Unterricht – Teil 2

Medienpädagogik braucht klare Inhalte

DKP-Branchentreffen Bildung und Erziehung

Genossinnen und Genossen eines aus dem Branchentreffen „Bildung und Erziehung“ der DKP hervorgegangenen Branchenaktivs haben nach gründlicher Diskussion des Themas „Digitalisierung in Schule und Unterricht“ ein ausführliches Ergebnispapier vorgelegt, dessen erster Teil in der UZ-Ausgabe vom 25. November erschien. Im Folgenden dokumentieren wir den zweiten Teil.

Digitalisierung in der Praxis – Schule muss gegensteuern!

Digitalisierung von Bildung und Schule wird wie ein Werbeplakat in jeder Diskussion vor sich hergetragen als das Wichtigste und Notwendigste, was man sich nur vorstellen kann. Und jede Politikerin, jeder Politiker, nur weil sie oder er auch einmal zur Schule gegangen ist, meint zu wissen, wie Schule heutzutage auszusehen hat.

Uns geht es nicht darum, die Digitalisierung an den Schulen generell zu verdammen. Es geht darum, sich die Grenzen künftiger Entwicklungen und mögliche Gefahren bewusst zu machen, um gezielt handeln und gegensteuern zu können. Für alle Schulen muss sichergestellt werden, dass die vorhandenen und auch immer größer werdenden Unterschiede im Hinblick auf finanzielle, materielle und personelle Ausstattung sowie Lerngruppengröße verringert und kurzfristig ganz abgebaut werden. Nur so lässt sich Chancengleichheit herstellen.

Für die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen muss sichergestellt werden, dass sich durch die Organisation und Nutzung digitaler Medien

  • der Stress
  • die private Belastung
  • die Entgrenzung der Arbeitszeit nicht erhöhen, sondern abgebaut werden.

Für die Schülerinnen und Schüler muss sichergestellt werden, dass es auch innerhalb des schulischen Lernens auf die Förderung der eigenen Erlebnis- und Erfahrungsfähigkeit ankommt und damit besonders auf den Praxisbezug zur Umwelt und Lebenswirklichkeit der Schüler. Das Denken sollte auf keinen Fall auf die digitalen Medien ausgelagert („outgesourct“) werden.

Lernmedien sind in der Lage, eine Vielzahl an sensiblen Daten der Lernenden abzuspeichern. Das reicht von den Testergebnissen über Verweildauer bei bestimmten Themen bis zu Aufmerksamkeitswerten oder Tippgeschwindigkeit. Nach den Grundsätzen des Datenschutzes müssen Informationssysteme nach dem Prinzip der Datensparsamkeit beziehungsweise Datenvermeidung gestaltet sein. Es sind daher nur die Daten zu speichern, die für die Unterstützung der Lernenden oder für Lernerfolgskontrollen zwingend notwendig sind. Über alle Speicherungsarten sind die Lernenden (beziehungsweise die Eltern, die Erziehungsberechtigten) in Kenntnis zu setzen. Die Freigabe der Daten für die Lehrenden hat nur mit Zustimmung der Lernenden zu erfolgen.

Digitale Medien spiegeln in wichtigen Bereichen die kapitalistische Gesellschaft wider. Dabei werden sehr oft Stereotype und Vorurteile aus der realen in die digitale Welt übertragen. Aus der größeren Reichweite digitaler Medien ergibt sich eine wirkungsvolle Reproduktion von Bewusstseinsinhalten wie Rassismus, Sexismus oder Homophobie. Gerade bei der Gestaltung digitaler Medien muss die Chance genutzt werden, Inhalte diskriminierungsfrei zu entwickeln.

Entscheidend ist die Voraussetzung, dass die Einbeziehung digitaler Medien integraler Bestandteil einer Medienerziehung ist, die die Medienkompetenz jeder Schülerin und jedes Schülers stärkt und weiterentwickelt. Hierzu bedarf es keines eigenständigen Schulfachs. Die Medienerziehung sollte fächerübergreifend erfolgen.

Wenn Medienpädagogik nicht zu einer leeren Worthülse verkommen soll, müssen klare Inhalte definiert sein, die Eingang in die Lehrpläne finden müssen. Es sollte nicht vergessen werden, dass die gesamte Thematik des lebendigen Lernens sich nur mit Lehrerinnen und Lehrern und einer Schulorganisation bewältigen lässt, die das Methodische (also die praktische Umsetzung) mit ins Auge fasst. Motivierte Lehrerinnen und Lehrer brauchen

  • kleine Klassen und Lerngruppen
  • regelmäßige Fortbildung
  • einen partnerschaftlichen Geist,

um ein demokratisches Schulwesen mit Leben zu füllen.

Die Frage aber bleibt, in wessen Interesse die jetzige, uns bekannte Digitalisierung an den Schulen durchgesetzt wird und weiter intensiviert werden soll.

Wer profitiert von der Digitalisierung des Bildungswesens?

Wenn heute von der „Digitalisierung des Bildungswesens“ die Rede ist, geht es um eine von den Konzernen der IT-Industrie und der Bundesregierung angestrebte grundsätzliche Neuausrichtung der Schulbildung, in der Computer und Algorithmen den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler inhaltlich und formal-organisatorisch steuern.

Die gewaltigen staatlichen Programme zur Anschaffung digitaler Endgeräte und Software stellen einerseits ein kurzfristiges Konjunkturprogramm für die IT-Industrie dar. Andererseits sind die wirtschaftlichen und politischen Interessen an der Digitalisierung im Bildungsbereich noch viel umfassender. Sie ist vordergründig eine Antwort auf die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung der Produktionsabläufe und soll gewährleisten, dass den Unternehmen ausreichend qualifizierter Nachwuchs bereitgestellt wird. Damit ist die Digitalisierung in unserem heutigen Bildungswesen ein wesentlicher Prozess, der durch das Verwertungsinteresse der kapitalistischen Großkonzerne, vor allem im IT-Bereich, vorangetrieben wird.

Dabei dominieren vor allem kurzfristige wirtschaftliche Interessen den Bildungs- und Erziehungsbereich. Ein Interesse an einer umfassenden (Persönlichkeits-)Bildung der Schülerinnen und Schüler ist zweitrangig. Somit erklärt sich, dass so wenig Interesse an einer Grundlagenforschung besteht, die vorab analysiert, wie, wo und ab welchem Alter Digitalisierung des schulischen Lernens sinnvoll sein kann.

Die Umsetzung der Konzeptionen läuft im Kern darauf hinaus, die Schülerinnen und Schüler in die Lage zu versetzen, vorgegebene Programme umzusetzen und im Umgang mit digitalen Medien zu funktionieren. Ein tieferes Verständnis der Prozesse und Programme fällt für die Mehrheit allzu oft weg, ebenso ein kritisches Hinterfragen der Lerninhalte. Die absehbaren Folgen sind nicht nur eine Vereinzelung der Lernenden und eine Vernachlässigung der sozialen Kommunikation, sondern auch eine fatale Fokussierung auf gleichgeschaltete PC-vermittelte Kompetenzen. Darüber hinaus ermöglicht diese Form der Digitalisierung eine umfassende Überwachung und Durchleuchtung der Lernenden.

Ausstattung der Schule

Die Regierungen des Bundes und der Länder preisen die Digitalisierung im Schulwesen medienwirksam als Lösung aller Bildungsprobleme an. Sie meinen, mit der Anschaffung von Tausenden von Computern seien die Probleme im Bildungsbereich gelöst. Ein Strohfeuer, denn ein Konzept für die mittel- und langfristige Planung existiert nicht. Dieser Umstand ist nicht neu, sondern schon lange ein wesentliches Merkmal bundesdeutscher Bildungs- und Schulpolitik.

Materielle Ausstattung

Mit der kurzfristigen Anschaffung von Computern an den Schulen folgen die nicht bedachten Probleme:

  • Räume müssen umgestaltet und eingerichtet werden. Ob dies gelingt, ist von der Schulart und Region abhängig.
  • Reparaturen der Geräte beziehungsweise ein Austausch bestimmter Teile sind häufig nicht möglich.
  • Nach wenigen Jahren sind die Version des Betriebssystems und die Version eines Programms nicht mehr miteinander kompatibel. Die Schule wird zum Elektroschrottplatz. Nachhaltigkeit sieht anders aus!

Personelle Ausstattung

Die Aufgabe der Einrichtung und Betreuung der Computer in den Schulen wird in der Regel Lehrerinnen und Lehrern übertragen. Das ist eine zusätzliche Mehrbelastung und geht bei gleichbleibenden Ressourcen auf Kosten der Schülerinnen und Schüler. Ausgebildete IT-Fachkräfte sind den Schulen zu teuer. Für den IT-Bereich jeder Schule sind aber ausgebildete, hauptamtliche IT-Fachkräfte notwendig, damit der Schulbetrieb störungsfrei laufen kann. Auch fehlen die kontinuierliche individuelle Betreuung, Beratung und Weiterbildung, die zum Aufgabenbereich der IT-Fachkraft gehören.

In welchem Unterrichtsfach die Arbeit mit dem Computer eingesetzt wird, bleibt den einzelnen Lehrerinnen und Lehrern beziehungsweise Abteilungen und Schulen überlassen. So bastelt sich jede Schule ihr eigenes Konzept zum Einsatz von Computern. Dadurch führt Digitalisierung zu einer Arbeitsverdichtung und damit zu einer weiteren Arbeitsbelastung des Personals. Durch die ständige digitale Erreichbarkeit wird die Arbeitszeit beliebig und grenzenlos ausgedehnt. Eine gesundheitliche Schädigung ist die langfristige Folge.

Forderungen der DKP

Wir, die Beschäftigten im Bildungssektor, erleben täglich die Digitalisierung an den Schulen in vielfältiger Weise. Beschrieben haben wir die wirtschaftliche, gesellschaftliche und (bildungs-)politische Bedeutung der Digitalisierung und vor allem auch die Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen.

Daraus ergeben sich für uns, Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei, die folgenden Forderungen:

Voraussetzungen

Die Einführung von Computern wird erst dann vollzogen, wenn sichergestellt ist, dass

  • jede Schülerin und jeder Schüler einen eigenen ergonomischen Arbeitsplatz vorfindet
  • die Anforderungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes gewährleistet sind
  • die Sicherheit der Daten auf einem Schulserver gewährleistet ist
  • nur zwingend notwendige Daten gespeichert werden und Transparenz über die Datennutzung hergestellt ist
  • eine vollständige Planstelle für die IT-Fachkraft eingerichtet und besetzt wird.

Einsatz von Computern

Alle Schulen sollen entsprechend den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler ausgestattet werden. Hierzu ist ein geeigneter, bundesweit gültiger Sozialindex zu entwickeln und anzuwenden. Die Rahmenbedingungen müssen eine Diskriminierung von Schulen aufgrund des sozialen, demografischen und ökonomischen Schulumfelds durch wirksame Maßnahmen verhindern.

Computer als kontinuierliches methodisches Arbeitsmittel für alle Schülerinnen und Schüler werden in der Regel erst ab Jahrgang 7 in den Unterricht eingeführt. Die Gründe hierfür sind vor allem die – von den Entscheidungsträgern ignorierten – wissenschaftlichen Studien, zum Beispiel aus dem Bereich der Neurowissenschaften und der Entwicklungspsychologie mit ihren Ergebnissen, die diese Forderung aus wissenschaftlicher Sicht begründen.

Es werden nur die Computerprogramme zugelassen, bei denen garantiert wird, dass sie auch in Zukunft über einen längeren Zeitraum mit weiteren Versionen des Rechner-Betriebssystems kompatibel sind. Dabei ist die Arbeit mit Open-Source-Programmen – soweit möglich – zu bevorzugen. Die Programme müssen interaktiv zu gestalten sein, das heißt: Sie müssen durch die Lehrenden an die individuellen Bedürfnisse der Lernenden anpassbar sein und den Lernenden ein individuelles Feedback geben können. Es ist sicherzustellen, dass die genutzten Programme diskriminierungs- und barrierefrei sind.

Finanzierung

Die Schuletats werden vonseiten des Schulträgers so erhöht, dass durch diese Erhöhung die Anschaffungen (Hard- und Software), die Lizenzen und der kontinuierliche Unterhalt des digitalen Bereichs bezahlt werden können, ohne dass für andere Bereiche Etatkürzungen vorgenommen werden müssen.

Mitbestimmung

Das Gesamtkollegium muss Mitbestimmungsrechte hinsichtlich des pädagogischen Konzepts der Digitalisierung seiner Schule erhalten.
Jedes Fachkollegium (Kolleginnen und Kollegen, die an einer Schule dasselbe Fach unterrichten) erarbeitet, wie und in welcher Klassenstufe das methodische Mittel der Computerarbeit eingesetzt werden kann beziehungsweise wird. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass mit denselben Programmen gearbeitet wird.

Aus- und Fortbildung

Die Qualifizierung der Lehrerinnen und Lehrer sowie die anschließenden Fortbildungen müssen verbindlich sein, dürfen aber zu keiner Mehrbelastung führen. Gleiches gilt für die IT-Fachkräfte, die eine kontinuierliche Beratung und Fortbildung benötigen.

Verbindliche Standards

Wir fordern die schnelle Entwicklung von verbindlichen Standards zu folgenden Themen der Medienbildung/-kompetenz für die Unterrichtsinhalte an allgemeinbildenden Schulen:

  • Datenschutz, Datensicherheit
  • digitale Kommunikation
  • Internetrecherche und -bewertung
  • Nutzung digitaler Lernmedien
  • wertschätzender Umgang in Social Media.

Vorbild kann dabei die neue Standardberufsposition „Digitale Arbeitswelt“ für die berufliche duale Ausbildung sein.

Wissenschaftliche Begleitung

Es ist unbedingt erforderlich, wissenschaftliche Studien zum Bereich der ­athermischen Strahlung (Strahlung, die der Mensch nicht wahrnehmen kann, zum Beispiel Röntgenstrahlung, elektromagnetische Strahlung) speziell für den schulischen Raum durchzuführen, auszuwerten und in der weiteren Entwicklung zu berücksichtigen.

Wer künftig am Branchentreffen „Bildung.Erziehung“ teilnehmen oder einen Diskussionsbeitrag zum vorstehenden Ergebnispapier einreichen möchte, meldet sich bitte direkt: bildung.erziehung@dkp.de

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"Medienpädagogik braucht klare Inhalte", UZ vom 2. Dezember 2022



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