Wer nach Ursachen des Ukraine-Kriegs fragt, gilt als „Putinversteher“. Wer daran zweifelt, dass russisches Militär ein vom russischen Militär kontrolliertes Atomkraftwerk beschießt, um der Ukraine Kriegsverbrechen anzuhängen, oder daran, dass Russland die teuer erbauten Pipelines Nord Stream 1 und 2 gesprengt hat, um kein Gas mehr nach Deutschland zu liefern, wird ja wohl vom Kreml bezahlt.
Antirussische Propaganda hat Hochkonjunktur. Keine Behauptung ist zu abstrus, um nicht in Dauerschleife quer durch die bürgerlichen Medien getrötet zu werden – bis sie der letzte glaubt. Ein geleaktes Dokument zeigt nun, welche Anstrengungen die Bundesregierung unternimmt, um den medialen Diskurs über den Krieg in der Ukraine zu kontrollieren.
Das Dokument „Laufende Aktivitäten der Ressorts und Behörden gegen Desinformation im Zusammenhang mit RUS Krieg gegen UKR“, datiert auf den 27. Juni dieses Jahres, bekamen die „NachDenkSeiten“ von einem Whistleblower aus Regierungskreisen zugespielt. Das Online-Magazin berichtete zuerst am 29. September. Auf zehn Seiten listet das Dokument tabellarisch nach Ministerien und Behörden sortiert bereits unternommene sowie geplante „Aktivitäten im Bereich der strategischen Kommunikation und gegen Desinformation im Kontext RUS/UKR“. Der Begriff „Desinformation“ wird in dem Dokument häufig verwendet, aber nicht definiert. Er wird nur auf Russland bezogen.
Neun Ministerien, das Bundesamt für „Verfassungsschutz“, der Bundesnachrichtendienst, die Bundeszentrale für politische Bildung, das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und die Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie für Migration, Flüchtlinge und Integration sind an der Kontrolle des Narrativs beteiligt. Zentral ist der regelmäßige „Austausch“ mit den Betreibern sozialer Netzwerke wie Facebook, Instagram, Twitter, YouTube, TikTok und LinkedIn. Das Innenministerium, das Ministerium für Digitales und Verkehr sowie das Presseamt haben ihre Kontakte zu den Plattformbetreibern seit dem 24. Februar intensiviert mit dem Ziel, die Betreiber „für staatlich gesteuerte Desinformation zu sensibilisieren“ und selbst über „Maßnahmen zeitnah informiert zu werden“. Die Bundesnetzagentur unterstützt das Verbreitungsverbot russischer Medien wie „RT“ und „Sputnik“ durch eine aktuell gehaltene Liste zu sperrender Websites für Internet-Provider. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat ein umfangreiches eigenes Online-Angebot zum Krieg in der Ukraine erstellt.
Besonders fleißig ist auch die Kultur- und Medienbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen). Sie hat aus der Ukraine, Russland und Belarus geflüchtete „kritische“ Medienschaffende mit einer Million Euro unterstützt und plant, vier Millionen Euro zusätzlich für Programmarbeit der „Deutschen Welle“ auf Russisch und Ukrainisch auszugeben. Aus diesen Mitteln soll der Aufbau einer russischen Exilredaktion in Riga finanziert werden. Roth plant überdies Förderprogramme „zum Schutz journalistischer Arbeit“ und zur „Nachrichtenkompetenzförderung“. Über das Medienprojekt fragFINN e. V. möchte sie 6- bis 14-jährige Kinderreporter einbinden. An Minderjährige richten sich auch Projekte des Familienministeriums, darunter das Projekt „The Game is not Over“ der Bildungsstätte Anne Frank, sowie das Verteidigungsministerium mit dem Einsatz von Jugendoffizieren an Schulen.
Federführend ist das Innenministerium, das die „Erkennung und Abwehr hybrider Bedrohungen, insb. Desinformation“ ressortübergreifend koordiniert. Das Auswärtige Amt kümmert sich um die „intensive Vernetzung“ mit anderen Ländern und internationalen Zusammenschlüssen. Genannt werden EU, G7, NATO und zwei 2018 gegründete Institutionen, die sich dem Kampf gegen „Desinformation“ aus Russland und China verschrieben haben: International Partnership to Counter State-Sponsored Disinformation (IPCSD, dt.: Internationale Partnerschaft zur Bekämpfung staatlich geförderter Desinformation) und Counter Foreign Interference Group (CFI, dt. „Bekämpfung der ausländischen Einmischung“-Gruppe). Das Finanzministerium schließlich kommuniziert „Finanz- und Wirtschaftshilfen für UKR bzw. vom Krieg betroffene inländische Unternehmen sowie Maßnahmen zur finanziellen Entlastung der Bevölkerung“.
Trotz aller Anstrengungen verfängt die Propaganda der Bundesregierung nicht überall, nicht vollumfänglich: Einer Ende August im Auftrag von RTL durchgeführten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa zufolge sind 77 Prozent der Bundesbürger der Meinung, der Westen solle konkrete Bemühungen unternehmen, um Verhandlungen zur Beendigung des Ukraine-Krieges einzuleiten.