Der Schulterschluss der Schweinepresse – „The Sun“ – mit der Qualitätspresse – „The Guardian“ – gelang: einhellig identifizierten die britischen Medien vom ersten Tag an Russland als den Urheber des Nervengasanschlags auf einen russischen Ex-Doppelagenten und dessen Tochter in Salisbury am 4. März. Und „Russland“ steht hier gleichbedeutend mit Wladimir Putin, dem gleich auch noch die persönliche Verantwortung für das Attentat zugeschrieben wurde.
Premierministerin Theresa May reagierte prompt und so, als hätten die Pläne für die dramatische Eskalation der antirussischen Dauerkampagne in den Ländern des Westens schon in ihrer Schublade gelegen. Einem Ultimatum an Russland, sich zur Sache zu erklären, folgte die Ausweisung russischer Diplomaten wegen des „Mordversuchs“, der Ruf nach Verschärfung von Sanktionen gegen Moskau. Das Arsenal des Kalten Krieges wurde sperrangelweit geöffnet. Der Zwischenfall gebe „Anlass zu großer Besorgnis“, teilte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit. Ähnlich äußerte sich Bundeskanzlerin Merkel. Britanniens Außenminister Boris Johnson freute sich über Solidaritätsbekundungen des US-Präsidenten und von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Die EU solidarisierte sich am Montag „uneingeschränkt“ mit der britischen Regierung, die 28 Außenminister nähmen die britische Einschätzung „äußerst ernst, dass höchstwahrscheinlich die Russische Föderation verantwortlich ist“. Widerstand der griechischen Tsipras-Regierung konnte verhindern, dass eine direkte Schuldzuweisung an Moskau in die Erklärung aufgenommen wurde. Eindeutig ist es Theresa May gelungen, Russland als Drahtzieher des Anschlags darzustellen, ohne auch nur einen einzigen schlüssigen Beweis vorzulegen. Ein wichtiger Erfolg für ihre Regierung, die wegen ihrer Unfähigkeit, einen vernünftigen Fahrplan für den Brexit vorzulegen, diplomatisch vereinsamt war.
Auch innenpolitisch saugen Britanniens Konservative Honig aus dem Mordanschlag. Während May für ihre schrille Rhetorik bejubelt wird, muss sich Oppositionsführer Jeremy Corbyn als „Handpuppe Putins“ („The Sun“) verleumden lassen. Er hatte vernünftigerweise verlangt, vor Angriffen auf Russland erst einmal Belege für eine Beteiligung russischer Staatsorgane an dem Mordanschlag vorzulegen. Überdies forderte er in Übereinstimmung mit der Chemiewaffenkonvention von 1997, dass die britischen Behörden den russischen Ermittlern Proben des angeblich verwendeten Nervengases „Nowitschok“ zur Verfügung stellen sollten, um diesen eigenständige Bewertungen des Vorfalls zu ermöglichen. Das brachte dem von seiner Parteibasis getragenen linken Labour-Vorsitzenden hysterischen Widerspruch von Unterhausabgeordneten seiner eigenen Fraktion ein. Ein weiterer Punkt für May, ihr Sinkflug in den Meinungsumfragen ist jetzt erst einmal gestoppt. In dieser Atmosphäre der Gleichschaltung ist es sogar möglich, dass die angesehene konservative „Times“ die Tageszeitung „Morning Star“ rügt, eine ganze Woche lang die Vergiftung von Sergej Skripal nicht zum Aufmacher gemacht zu haben – dem „linksradikalen Blatt“ sei die Berichterstattung über den Bankrott von „Toys R Us“ und einen Skandal im britischen Eisenbahnwesen empörenderweise wichtiger gewesen.
Bemerkenswert ist, dass die russischen Reaktionen auf die organisierte Hasswelle zwar robust, aber selbstbewusst und vernünftig bleiben. Die Ausweisung russischer Diplomaten wurde mit der Ausweisung der gleichen Anzahl britischer Gesandter beantwortet. Die russische Regierung ist bereit, bei der Aufklärung zu kooperieren. Regierungssprecher Peskow forderte London auf, unbegründete Behauptungen entweder zu belegen oder sich zu entschuldigen. Es gehe um „einen schwer zu erklärenden, unmotivierten, unbegründeten Strom an britischen Verleumdungen“, sagte Peskow der Agentur Interfax zufolge. Präsident Putin nannte die Vorwürfe „unsinnig“ und kündigte nach seinem triumphalen Wahlsieg vom Sonntag Kürzungen bei den Rüstungsausgaben an. Ein scharfer Kontrast zum westlichen Propagandagetöse, das an die Lügen erinnert, mit denen die USA ihre Kriege der vergangenen Jahrzehnte begründeten. In diesen Kriegen hatten sie die jeweilige britische Regierung stets als getreuen Pudel an ihrer Seite.