Kann ECE die Stadt Singen austricksen? – „Investoren“ rechnen bei Center-Projekten gern mit falschen Zahlen

Maximalrendite in der Innenstadt

Von Peter Mannherz

Gegen die städtischen Pläne, den Hamburger Immobilieninvestor ECE in unmittelbarer Nähe des Singener Bahnhofs ein gigantisches Einkaufszentrum errichten zu lassen, hat sich in der Hohentwiel-Stadt die Initiative „Für Singen“ mit ganz unterschiedlichem Hintergrund zusammengefunden. Singen hat etwa 45  000 Einwohner.

Das grundlegende Bewegungsgesetz des Kapitalismus wirkt sichtbar im Handel: Kleine Wirtschaftseinheiten werden von größeren und dann von ganz großen Unternehmen vom Markt verdrängt und ihre Marktanteile geschluckt.

Diese Entwicklung richtet sich gegen gewachsene Einzelhandelsstrukturen in den Innenstädten, am Ende sollen nur noch große Einzelhandelsketten mit krakenähnlichen Handelsstrukturen und ihren Internethandelsplattformen übrig bleiben.

Dabei sind große Einkaufszentren Auslaufmodelle, da die Umsätze rückläufig sind und der Markt gesättigt ist und der Internethandel 2025 voraussichtlich einen Anteil von 25 Prozent hat.

Eine Mall für die Maximalrendite von Finanzinvestoren in der Innenstadt, ohne Verbesserung der Produktqualität und möglichst regionalem Bezug der Angebote und Anbieter, hauptsächlich produziert mit Billigstlöhnen in der sogenannten Dritten Welt, ohne Rücksicht auf soziale Belange und die Umwelt. Verödete Innenstädte sind das Ergebnis, zu besichtigen in Wetzlar, Hameln oder Oberhausen.

Dieser Prozess wird seit langem als Fortschritt gepriesen. Überall die gleichen Kettenläden, egal ob Palermo, Singen oder Berlin und anderswo.

Das blanke Verwirrspiel wird um die schiere Größe eines geplanten Einkaufszentrums betrieben, nicht nur in Singen.

Wollte die Stadt Singen noch 2014 maximal 12 500 m2 „Fläche“ genehmigen, hat es sich nun wundersam auf 16 000 m2 und mindestens 2 000 m2 Gastronomiefläche vergrößert. Gemeint sind wohl die Verkaufsflächen, Nebenflächen werden üblicherweise einfach nicht mitgezählt. Ein übliches Täuschungsmanöver bei der propagandistischen Durchsetzung von Einkaufszentren in den Innenstädten. Nennenswerte Büroflächen kommen noch hinzu, obwohl Singen seit langem ein Überangebot an Büroflächen hat.

Negative Wirkungen werden heruntergespielt

Die Kaufbasis des Shopping-Centers für Investoren ist immer die gesamte vermietbare Fläche, welche den Kundenumsatz aus der Innenstadt abzieht, und zwar aus der gesamten Quadratmetergröße aller vermieteten Flächen und nichts anderes.

Alle Versuche, diese Zahl günstiger darzustellen, nur mit „Verkaufsflächen“ zu operieren und in einzelne Bereiche zu zerlegen, ist eine Täuschung der Öffentlichkeit mit dem Ziel, die negativen Wirkungen des geplanten EKZ öffentlich herunterzuspielen. Die Tricks der Projektentwickler derartiger Einkaufszentren sind nicht neu und auch nicht besonders originell. Viele Center-Projekte sind falsch berechnet worden. Die Investoren täuschen – meist erfolgreich – Öffentlichkeit, Bürger, Einzelhändler, Behörden und Politiker.

Viele Kommunalpolitiker sitzen diesen Täuschungsmövern auf und lassen sich leider in diesem Irrtum nicht mehr umstimmen und glauben gerne, was der Investor erklärt, anstatt selbst nachzurechnen! Die Traumwelt ist allzu verlockend (die ja angeblich die Stadt nichts kosten soll!), und so verteidigen sie oft die völlig falsche Berechnungsmethode. 30 Prozent und sogar 50 Prozent Flächenmehrung zusätzlich mit verheerenden Folgen für den Innenstadthandel sind das Ergebnis.

International gilt für die Berechnung von Flächen für Einkaufszentren das „Gross Leasable Area (GLA)“. Dies bedeutet, dass die Konkurrenz zum Innenstadthandel kein aus dem Gesamtbild herausgegriffener Spezialbereich ist, sondern die gesamte entstehende Geschäftsfläche. Gemeint ist, und das ohne Zweifel, die vermietete Ladendienstleistungs-, Verkaufs- und Gastronomiefläche, über die der Mieter nach Belieben verfügen kann, nicht nur nackte Ladenverkaufsflächen.

So steigert sich die Wahrscheinlichkeit schon zur Gewissheit, dass der Singener Einzelhandel mit Gastronomie in der Innenstadt bis zu 60 Prozent seiner Umsätze an ECE verlieren wird – und dann vielfach dichtmachen muss.

Wenn der Projektentwickler die tatsächlichen Zahlen nicht veröffentlicht, muss die Baurechtsbehörde im Rathaus nachrechnen und im ersten Schritt die gesamten Nutzfläche bekanntgeben.

Nicht nur Singens Bürger werden dann Bauklötze staunen.

Die geplante Größe für das ECE in Singen bildet mindestens eine Verdoppelung der Fußgängerzone für Singen ab. Die bisherige 1a-Lage wird ihre Funktion als Einkaufsstraße verlieren. Sie wird so schlichtweg überflüssig.

Die Immobilienzeitung berichtete 2005 dazu über die Wirkungen von Einkaufszentren in den Innenstädten: „In den allermeisten Fällen verlagerten sich die Wertschöpfung in den Städten von den zahlreichen Geldbeuteln der Immobilienbesitzer in der 1a-Lage auf den einen der Center-Betreiber“, weiter heißt es dort, ein „ganz offensichtlicher Niedergang des lokalen Einzelhandels sei weiter zu verzeichnen“.

Entsprechende Gutachten und Stellungnahmen des City-Rings, der BBE und der IHK und vieler anderer sprechen sich gegen das Projekt aus, lassen für die Singener Stadtentwicklung Schlimmes befürchten.

Öffentlicher Raum bleibt auf der Strecke

Kein Arbeitgeber kann Umsatzeinbußen verkraften, wie sie in der BBE-Studie genannt werden. Vergleichbare ECE-Ansiedlungen, z. B. Hameln, zeigen, dass trotz neuer Unternehmen keine zusätzlichen Arbeitsplätze entstehen.

Bestehende Arbeitsplätze, vor allem tarifvertraglich abgesicherte Vollzeitarbeitsplätze, werden in der Tendenz verschwinden und durch so genannte 450-Euro-Jobs ersetzt.

Diese Konsequenz zeigt eine Langzeitstudie aus Hameln. Viele der Unternehmen, hauptsächlich Ladenketten, die sich üblicherweise in einem Einkaufszentrum befinden, bilden kaum oder gar nicht aus. Gerade eine abgeschlossene Ausbildung ist jedoch der Grundstein für ein erfolgreiches Leben – auch in Singen.

Vorhandene Arbeitsplätze im tertiären Sektor spielen im Rahmen der Planungen leider ebenfalls keine Rolle. Immerhin sind eine Menge Dienstleister für die bestehenden kleineren Betriebe in Singens Innenstadt tätig, wie Werbeagenturen, Rechtsanwälte – aber auch regional tätige Banken und Steuerberater und andere. Filialisten beschäftigen diese regionalen Dienstleister bekanntlich nicht. Auch dort werden Arbeitsplätze verschwinden.

Auf der Strecke bleibt öffentlicher Raum für Leben, Kultur und Freizeit.

Die demokratische Verfügung und Kontrolle über ein großes Areal des vormals öffentlichen Raumes wird dem privaten Betreiber der Einkaufsmall überlassen.

Shoppingmall und Parkhäuser fressen letzte frei verfügbare Flächen in der Innenstadt.

Immerhin soll die Thurgauer Straße zusätzlich dem Center einverleibt werden.

Der Durchgang durch die Mall ist dann nur zu den Öffnungszeiten möglich – kontrolliert durch das private Sicherheitspersonal. In einer Fußgängerzone gilt dagegen öffentliches Recht und nur in den Geschäften das Hausrecht. Den Städten gehörende Flächen in vielen Innenstädten sind doch hervorragend dafür geeignet, dringend benötigten neuen Wohnraum zu schaffen und urbanes Leben zu fördern.

Viele Bürger wehren sich anderswo massiv gegen ECE-Zentren, so wurden entsprechende Einkaufszentren erst in jüngster Zeit verhindert (z. B. in Leer/Ostfriesland, Velbert, Minden und Jena – entweder durch massive Bürgerproteste oder Bürgerabstimmungen). Die Bürgerinitiative „Für Singen“ denkt über die Durchsetzung einer Bürgerentscheidung nach, sollte der OB und die Mehrheit im Gemeinderat bei ihrer bisherigen Linie bleiben.

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"Maximalrendite in der Innenstadt", UZ vom 22. Januar 2016



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