Neue alarmierende Nachrichten trafen aus Marokko ein. Die aus den Volksfrontwahlen hervorgegangene Regierung ließ sich trotz Warnungen der Kommunistischen Partei von den Generalen mit heuchlerischen Loyalitätserklärungen beruhigen.
Die Kommunistischen Parteien Spaniens und Kataloniens, aber auch andere Arbeiterorganisationen riefen alle Genossen zu erhöhter Wachsamkeit auf. Ab 16. Juli 1936 wurden Arbeitergruppen gebildet, die nachts in den Straßen am Hafen und vor den Kasernen Barcelonas patrouillierten. Es waren anstrengende Tage für uns. Die meisten arbeiteten tagsüber in den Betrieben, abends halfen sie im Vorbereitungskomitee für die Volksolympiade, und nachts gingen sie Patrouille.
Am 18. Juli spätabends schickte unser Gruppenleiter meine Frau Golda und mich nach Hause. Wir hatten seit zwei Nächten nicht mehr geschlafen.
Todmüde fuhren wir mit dem Vorortzug nach Sarria, wo wir wohnten. Am frühen Morgen weckte uns ein Genosse mit dem Ruf: „In der Stadt wird geschossen!“ Sofort machten wir uns auf den Weg. Die Vorortbahn fuhr nicht mehr, also zu Fuß in die Stadt. Draußen war es noch ruhig. Wir kamen ohne Schwierigkeiten bis zur Diagonale am Rande der Innenstadt. Dort trennten sich unsere Wege.
Meine Frau musste zur Plaza de Espafia und zum Stadion, wo zahlreiche ausländische Sportler untergebracht waren. Sie war mitverantwortlich für deren Betreuung.
Mein Ziel war das Gebäude der Kommunistischen Partei Kataloniens. (…) In vielen Straßen, von den Dächern und Balkonen, von Straßenecken und aus Häusereingängen schossen Faschisten auf die Arbeiter. Am heißesten wurde an der Plaza de Cataluña gekämpft.
Was war geschehen? Um 4.00 Uhr morgens waren die Soldaten der Kaserne Pedralbes ausmarschiert. Wir erfuhren später von Soldaten, dass ihre Offiziere ihnen vorgelogen hatten, sie müssten die Teilnehmer der Volksolympiade gegen anarchistische Gruppen, die Unruhen angezettelt hätten, schützen. Dasselbe war den Soldaten aus anderen Kasernen gesagt worden. Die Faschisten hatten jedoch die Rechnung ohne das Volk gemacht. Sie hatten nicht mit der Wachsamkeit und der Kampfbereitschaft der Arbeiter gerechnet und nicht erwartet, dass die Guardia de Asalto der Republik die Treue halten würde, dass selbst einzelne Gruppen der Guardia Civil, die eigentlich als Bürgerkriegstruppe gegen die Arbeiterschaft gedrillt war, auf die Seite der Republik übertreten könnten.
Mutig traten die Arbeiter den Soldaten entgegen. Sie sperrten die Straßen und forderten die Soldaten auf, nicht auf ihre Klassenbrüder zu schießen, sondern die Gewehre umzudrehen. Die einen schlossen sich daraufhin den Arbeitern an, die anderen gingen in ihre Dörfer zurück.
Nur eine Artillerieabteilung marschierte ins Stadtzentrum, besetzte die Gebäude an der Plaza de Cataluña, das Telefon- und Telegrafenamt, die Banco Alemana Transatlantica und das Hotel „Colón“, Doch die Gebäude wurden Stockwerk für Stockwerk zurückerobert. Dächer und Balkons wurden von faschistischen Heckenschützen gesäubert.
Inzwischen erreichte ich den Sitz des Zentralkomitees. „Gebt mir ein Gewehr!“ sagte ich zu einem Genossen.
„Wir haben keine Gewehre, du musst dir eins erbeuten“, antwortete er.
„Zeigt mir, wie man mit einem Gewehr umgeht.“ Einer erklärte es mir. Ganze anderthalb Minuten dauerte diese erste militärische Instruktion.
„Wohin soll ich nun gehen?“ fragte ich. Man sagte mir, dass der Sturm auf die Capitania, die Garnisonskommandantur von Barcelona, bevorstehe.
(…) Ich eilte dorthin. In weitem Halbkreis um das Gebäude standen Arbeiter mit den roten Armbinden der sozialistischen und kommunistischen Parteien und andere mit schwarzroten Halstüchern der Anarchisten und ihrer Gewerkschaften.
Nur wenige von ihnen waren bewaffnet. (…) Das Gebäude der Kommandantur war verbarrikadiert, und in den Fenstern, geschützt durch Sandsäcke, sah man Gewehre und Maschinengewehre im Anschlag. Unser Feuer blieb wirkungslos, bis uns eine Gruppe der Guardia de Asalto zu Hilfe kam. Sie zog ein kleinkalibriges Geschütz heran, richtete es aus etwa 300 Meter Entfernung direkt auf das Tor und gab einige Schüsse ab. Durch die Bresche stürmten wir in die Capitania. (…) Wir drangen in die Waffenkammer vor und beschlagnahmten den ganzen Bestand an Waffen und Munition. (…)Das war der erste Tag, und schon an diesem Tag konnten fast überall die Faschisten vertrieben werden, ausgenommen die gut gesicherte Atarazanakaserne am Hafen.
Nachts wurden Barrikaden gebaut. Im Morgengrauen arbeiteten wir uns Meter um Meter vor, und mittags nahmen wir die Kaserne von zwei Seiten unter Feuer. Dann stürmten wir. Endlich gab die Besatzung den Widerstand auf. Die Offiziere wurden gefangengenommen. Damit war, von einigen Schützen auf den Dächern abgesehen, der Putsch in Barcelona niedergeschlagen. Die Volksfront hatte den Sieg davongetragen.
An all diesen Kämpfen nahmen bereits internationale Kämpfer teil, Emigranten oder Teilnehmer an der Volksolympiade, darunter der Genosse Franz Löwenstein und Genosse Werner Hermelin, der in einem der Außenbezirke seinen Mann stand, um die putschenden Faschisten zurückzuhalten. Am 22. Juli wurde das von der Regierung beschlossene „Milizgesetz über die Bildung von Truppenformationen zur Befreiung der von den Faschisten besetzten Gebiete“ veröffentlicht.
Die deutschen Antifaschisten, die an den Straßenkämpfen teilgenommen hatten, schlossen sich zu einer Kampfeinheit im Rahmen der Miliz zusammen und gaben sich mit Zustimmung des Zentralkomitees der am 26. Juli gegründeten Sozialistischen Einheitspartei Kataloniens den Ehrennamen Gruppe „Thälmann“.
(…) Von den Sportlern, die zur Volksolympiade gekommen waren, blieben Gert Wohlrath, Käte Hempel und die polnischen Genossen Emanuel Mink und Krassiolick bei uns.