Agrarindustrie verwendet hohe Dosen von Antibiotika in industriellen Mastanlagen

Massentierhaltung gefährdet unsere Gesundheit

Von Bernd Müller

Das Europäische Parlament verhandelt eine Verordnung über die Verwendung von Antibiotika in der Tierhaltung, was deutschen Mastbetrieben sicherlich nicht gefallen dürfte. Dabei schlägt es vor, grundsätzlich die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „höchst prioritär“ klassifizierten Antibiotika in der Viehzucht zu verbieten. Nun machte auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags auf die Problemlage aufmerksam.

In einer Stellungnahme, die am 30. März erschien, wies der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags darauf hin, dass weltweit die Anzahl der Bakterien, die Resistenzen gegen übliche Antibiotika entwickelt haben, steigt. Als Grund dafür wird der übermäßige und unsachgemäße Gebrauch von Antibiotika „in der Human- und Tiermedizin“ angegeben. Dass Bakterien Resistenzen entwickeln, gehöre dabei zu ihrer Überlebensstrategie, und dies passiert vor allem dort, wo große Mengen der Medikamente angewendet werden – beispielsweise in der Massentierhaltung.

Für Aufsehen habe vor einigen Monaten eine Meldung aus China gesorgt: Dort hatte man ein zwischen unterschiedlichen Bakterienarten übertragbares Resistenzgen gegen das Reserveantibiotikum Colistin gefunden. Dieses Medikament wurde bereits 1959 entwickelt und wird beim Menschen nur als „eine letzte verbliebene Therapieoption“ angewandt, „wenn übliche Standardantibiotika nicht mehr wirken“. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums werden die sogenannten Reserveantibiotika „nur bei schwerwiegenden Infektionen angewendet, wenn der Erreger unbekannt ist oder ein normalerweise für die Therapie empfohlenes Antibiotikum aufgrund von Resistenzen nicht mehr wirkt“. Nun wurde das Resistenzgen gegen Colistin aber nicht nur in China entdeckt: Nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung vom 7. Januar 2016, sei es auch in Darmbakterien von Nutztieren in Deutschland gefunden worden.

Im Sinne des Verbraucherschutzes ist der Vorstoß des Europaparlamentes sicherlich zu begrüßen, doch der deutschen Industrie dürfte dies sicherlich nicht genehm sein. In Deutschland gehört die Verwendung von Antibiotika in industriellen Mastanlagen zur Normalität. Im Jahr 2012 wurden dort 1 619 Tonnen dieser Stoffe eingesetzt, gibt der Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in seinem Bericht „Die Lügen der Agrarindustrie und die Fakten“ bekannt. Die dort eingesetzte Menge war mehr als doppelt so groß wie die beim Menschen. In 82 Prozent der Masthuhnbetriebe, 77 Prozent der Mastschweinbetriebe und 100 Prozent der Mastkalbbetriebe würden Antibiotika eingesetzt, was unter anderem dazu geführt habe, dass bei mehr als der Hälfte der Geflügelfleischproben multiresistente Keime gefunden wurden. Für den Menschen sind sie alles andere als ungefährlich: Ärzteorganisationen haben demnach geschätzt, dass in der Bundesrepublik jedes Jahr rund 30 000 Menschen sterben, weil bei ihnen Antibiotika nicht mehr wirken.

Erst im Januar dieses Jahres hatte der BUND eine neue Studie vorgelegt: Die Umweltorganisation hatte in verschiedenen Städten bei Aldi, Lidl, Netto, Penny und Real Putenfleisch eingekauft und untersuchen lassen. Das Ergebnis ist erschreckend: „Rund neun von zehn Putenfleisch-Proben aus deutschen Discountern sind unseren Tests zufolge mit antibiotikaresistenten Keimen belastet“, sagte damals der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Das ist ein Problem, das untrennbar mit der industriellen Tierhaltung verbunden ist. Denn die Produktion von Billigfleisch bedeute immer, dass eine zu hohe Zahl von Nutztieren auf zu wenig Raum gehalten werde, und das sei nur unter Einsatz großer Mengen von Antibiotika möglich, so der BUND-Vorsitzende.

Die BUND-Agrarexpertin Reinhild Benning wies damals darauf hin, dass kein einziger der Putenfleischlieferanten in der Lage gewesen sei, unbelastetes Fleisch zu liefern. Sämtliche Schlachthofkonzerne und Zerlegebetriebe, die das getestete Putenfleisch an die Discounter geliefert hatten, gehören Benning zufolge, dem von der ­Agrar- und Lebensmittelwirtschaft eingerichteten Qualitätssicherungssystem QS an. Trotzdem sei das Fleisch massiv mit resistenten Keimen belastet. „Das zeigt, dass Änderungen im Tierschutz- und im Arzneimittelrecht notwendig sind, um die Schwächen dieses sogenannten Qualitätssicherungssystems abzustellen“, sagte Benning.

So waren 20 von 21 untersuchten Proben, die vom größten deutschen Geflügelfleischkonzern – der PHW-Gruppe – stammten, belastet. Von 21 Fleischproben der Firma Heidemark waren es 19, ebenso fünf von sechs Proben der Firma Sprehe.

Deshalb müsse der Einsatz von Reserveantibiotika in der Tierzucht verboten werden, fordert Benning. „In den Niederlanden, Dänemark und Frankreich sind diese Wirkstoffe in der industriellen Tierhaltung bereits weitgehend verschwunden, in Deutschland scheinen jedoch die Interessen der Fleischbranche über dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu stehen.“ Darüber hinaus müsse es auch Rechtsänderungen für Tierärzte geben: „Rund 80 Prozent der in der Tierhaltung eingesetzten Antibiotika werden von nur fünf Prozent der Tierarztpraxen verkauft, die bei Großeinkäufen für Riesenställe lukrative Rabatte erhalten“.

Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch setzt im Gegensatz zum BUND auf die Macht der Konsumenten. Diese könnten Berge für den Tierschutz versetzen, wenn es eine Kennzeichnungspflicht für Fleisch gäbe, hieß es in einer im März abgegebenen Erklärung. Bei den Eiern hätte dies schließlich auch geklappt, denn in „Deutschland wählen Verbraucherinnen und Verbraucher zu über 98 Prozent Eier aus tierfreundlicheren Haltungen, wenn sie diese erkennen können“. Der Marktanteil der gekennzeichneten Käfigeier sei auf gerade einmal 1,7 Prozent zusammengeschrumpft. Beim Fleisch sei es dagegen genau andersherum: Weil eine Kennzeichnungspflicht fehle, läge der „Marktanteil bei tiergerecht erzeugten Fleischprodukten bisher bei rund einem Prozent“.

Mehr Transparenz im Sinne von Germanwatch könnte zwar das Einkaufsverhalten der Menschen etwas beeinflussen, aber an der Massentierhaltung und dem mit ihr verbundenen Einsatz von Antibiotika wird es wahrscheinlich nicht viel ändern. Denn die Kennzeichnungspflicht von Eiern hat auch nichts an der industriellen Haltung von Hühnern geändert.

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"Massentierhaltung gefährdet unsere Gesundheit", UZ vom 8. April 2016



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