Wenn wir unsere Weltanschauung als Wissenschaft begreifen, müssen wir als Partei gemeinsam bei der Verwendung unserer Begriffe wieder präziser werden. Sehr deutlich wird diese Notwendigkeit im Antrag zu China.
China wohlwollend zu betrachten und der Propaganda des Monopolkapitals – vor allem der USA, aber auch anderer führender kapitalistischer Länder – etwas entgegenzusetzen, ist richtig.
Wir sollten aber nicht unsere theoretischen Grundlagen über Bord werfen, indem wir unsere Begriffe unreflektiert und leichtfertig aufgeben. Und wir sollten die sich aus der besonderen Situation Chinas ergebenden Aufgaben nicht zur allgemeinen Theorie erheben. Im Antrag zu China geben wir unseren Begriff von Sozialismus auf.
Karl Marx schreibt im „Kapital“: „Die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals.“ (MEW 25, S. 269) Wenn also die historische Aufgabe der Bourgeoisie die Entwicklung der Produktivkräfte ist und die Bourgeoisie die herrschende Klasse im Kapitalismus, kann die Entwicklung der Produktivkräfte nicht die Hauptaufgabe im Sozialismus sein.
Wenn wir den Sozialismus als die einzig mögliche bestimmte Negation des Kapitalismus begreifen, dessen Wesen und Existenzbedingung die Ausbeutung der Arbeiterklasse ist, ist es falsch und ein Widerspruch zum Sozialismusbegriff von Marx, Engels und Lenin, wenn wir formulieren, die Hauptaufgabe des Sozialismus sei die Entwicklung der Produktivkräfte. Wenn wir von Folgendem ausgehen: Das Wesen des Kapitalismus ist bestimmt durch das Verhältnis zu den Produktionsmitteln und der Hauptwiderspruch im Kapitalismus besteht zwischen Kapital und Arbeit. Dann ergibt sich daraus, dass die bestimmte Negation des Kapitalismus genau diesen Hauptwiderspruch – den zwischen Kapital und Arbeit – aufzuheben hat. Diese Aufhebung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit macht den Sozialismus zur bestimmten Negation des Kapitalismus und ist somit seine Hauptaufgabe. Wenn wir eine andere Hauptaufgabe des Sozialismus definieren, verändern wir unseren Begriff von Sozialismus und er verliert damit seine Funktion, bestimmte Negation des Kapitalismus zu sein.
Mit Verweis auf den Text „Beerdigung unseres Sozialismusverständnisses“ von Paul Rodermund, der eine politökonomische Perspektive in den Vordergrund stellt, komme ich mit einer philosophisch-begrifflichen Perspektive zu einer ganz ähnlichen Schlussfolgerung. Das Gesellschaftssystem in China ist zwar nicht mehr kapitalistisch, aber auch noch nicht sozialistisch. China befindet sich in einer Transformation, die nur aus seiner speziellen Situation zu begründen und zu verstehen ist. Eine allgemeine Theorie daraus abzuleiten und unseren Sozialismusbegriff zu verändern, bedeutet einen zentralen Punkt der Theorie von Marx, Engels und Lenin aufzugeben. Davor, dies mit dem Antrag zu China en passant zu tun, sollten wir uns hüten!