Am 26. März stellt Dirk Krüger sein Buch „Friedrich Engels aus der Sicht der Kommunisten heute“ vor. Es gibt bisher keine Schrift, in der Engels ausführlich in seinem Werden zum späteren Kommunisten beschrieben wird. Diese Lücke schließt das Buch und beleuchtet vor allem die ersten Lebensjahrzehnte des Mitbegründers des wissenschaftlichen Sozialismus und seine Prägung in Wuppertal. UZ sprach mit dem Autor über sein Werk.
UZ: In deinem Buch konzentrierst du dich auf die ersten 30 Lebensjahre von Friedrich Engels. Wieso nimmst du gerade den „jungen Engels“ in den Fokus?
Dirk Krüger: Es waren zwei Gründe, die mich dazu bewogen haben: Da war zunächst der Wunsch der DKP-Kreisorganisation, in ihrem „WupperReport“ zum 200. Geburtstag des „größten Sohnes“ unserer Stadt eine Artikelserie zu veröffentlichen, die sich besonders an jugendliche Leserinnen und Leser richten sollte. Die Zeitung wird vor allem in der Nordstadt, einem Teil von Elberfeld, verteilt. Das ist ein traditioneller Arbeiterbezirk.
Ein zweiter Grund war ein persönlicher. Als ich damit begann, mich mit dem jungen Engels zu beschäftigen, habe ich festgestellt, dass seine jugendlichen Helden auch meine Helden waren. Das Aufbegehren gegen Ausbeutung, Unterdrückung und geistige Indoktrination hat auch mich in meiner Jugend geprägt.
UZ: Engels wurde in eine pietistische Fabrikantenfamilie geboren. Er wurde streng religiös-preußisch erzogen, geworden ist er zu einem „vernünftigen Atheisten“. Welche besonderen Bedingungen siehst du für seine Entwicklung?
Dirk Krüger: Es war ja nicht nur der junge Engels, es gab weitere Kämpfer für sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt, die aus großbürgerlichen Familien stammten. In der Literatur sprechen wir gar von „revolutionärer Romantik“. Viele der damals Aufbegehrenden erkannten den unüberbrückbaren Gegensatz von humanistischen Ansprüchen, die in ihren Familien propagiert wurden, und ihrer tatsächlichen politischen und sozialen Praxis gegenüber den Menschen. Sie stellten sich deswegen ganz konsequent auf die Seite der Ausgebeuteten, der Unterdrückten und Geschändeten. Der junge Engels klagte in seinen „Briefen aus dem Wuppertal“ die Kinderausbeutung scharf an. Das war, ohne ihn zu nennen, ein Frontalangriff auf seinen Vater, der in seinen Fabriken die Kinderausbeutung ohne Hemmungen praktizierte. Das waren die ersten deutlichen Zeichen seiner Entwicklung zum Revolutionär. Er wurde zum „schwarzen Schaf“ der Familie. In einem Brief an seine Frau macht der Vater seine „tiefen Sorgen“ um die Entwicklung des Sohnes deutlich. Der hat dann nach seiner Rückkehr aus Manchester im Sommer 1844 in Barmen das Buch „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ geschrieben und ist dann nach Brüssel geflohen. Er kehrte nur noch einmal zur Beerdigung seiner Mutter nach Barmen zurück.
UZ: Engels lernte in Manchester nicht nur die leidende Arbeiterklasse kennen, sondern auch die Arbeiterbewegung …
Dirk Krüger: Noch vor Engels’ Geburt kam es zu Klassenkämpfen und aus diesen entstand eine selbstbewusste Arbeiterbewegung, mit der sich Intellektuelle verbanden. Der britische Poet Percy Bysshe Shelley beschäftigte sich etwa ab 1819 sehr kritisch mit den sozioökonomischen Zuständen in seinem Geburtsland. In diesem Jahr wurde der Aufstand der Arbeiterinnen und Arbeiter der baumwollverarbeitenden Industrie von den Herrschenden blutig niedergeschlagen. Dieses Blutbad ist als „Peterloo-Massaker“ in die Geschichte der Arbeiterbewegung eingegangen. Es hat den Poeten Shelley tief erschüttert. Er schrieb das politisch aufrüttelnde Gedicht „The Masque of Anarchy“. Das war seine Hinwendung zur Arbeiterbewegung. Engels hat darauf hingewiesen, dass Shelleys Literatur vor allem von den Arbeiterinnen und Arbeitern gelesen wurde. Shelleys Gedichte hat er ins Deutsche übersetzt.
UZ: Das europäische Festland war zu der Zeit geprägt von den Nachwirkungen der Französischen Revolution und dem Aufbruch deutscher Intellektueller einerseits und der Reaktion der „alten Mächte“ andererseits. Engels entschied sich für den Fortschritt, engagierte sich und lernte Karl Marx kennen. Welche Bedeutung hatte dieses Treffen?
Dirk Krüger: Als Engels nach Berlin kam, war Marx schon weg. Er hat ihn also nicht getroffen, aber in einem wunderbaren, von uns zu wenig beachteten Gedicht herrlich und zutreffend porträtiert.
Auf die Frage, wie und wann es zu ersten echten Begegnungen mit Marx kam, gibt es verschiedene Antworten. Meine ist: Als Engels das erste Mal alleine in Manchester war, wurde er mit der unglaublich starken, entwickelten und einflussreichen britischen Ökonomie konfrontiert. Er erkannte, dass er bei dem Wust von Indoktrination, seinen Vorstellungen, Überlegungen und Kämpfen die Ökonomie völlig übersehen hatte. Er studierte fortan mit der ihm üblichen Intensität und Gewissenhaftigkeit die reale Ökonomie. Er erkannte die Ökonomie als wichtigste Grundlage des menschlichen Daseins. Er erkannte aber auch die negativen Auswirkungen durch den Privatbesitz. Am Schluss seiner Beschäftigung mit dem Thema verfasste er die Schrift „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“. Diese Schrift schickte er an Marx, der gerade an den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“ bastelte. Der war natürlich unheimlich bewegt, denn auch er hatte sich mit der Ökonomie und ihrer Bedeutung für das menschliche Dasein beschäftigt. 1844 veröffentlichte Marx die Schrift von Engels in den „Jahrbüchern“. Auf seiner Rückreise von Manchester nach Barmen machte Engels einen Umweg zu Marx. Das waren die ersten auch inhaltlich bedeutenden Begegnungen. Seit diesen Tagen datiert ihre Freundschaft, wurde die Ökonomie zum beherrschenden Thema der beiden Revolutionäre.
Friedrich Engels
Die frech bedräute, jedoch wunderbar befreite Bibel.
Oder: Der Triumph des GlaubensWer jaget hinterdrein mit
wildem Ungestüm?
Ein schwarzer Kerl aus Trier,
ein markhaft Ungetüm.
Er gehet, hüpfet nicht, er springet
auf den Hacken
Und raset voller Wut und gleich,
als wollt’ er packen
Das weite Himmelszelt, und zu
der Erde ziehn,
Streckt er die Arme sein weit
in die Lüfte hin.
Geballt die böse Faust, so tobt er
sonder Rasten,
Als wenn ihn bei dem Schopf
zehntausend Teufel fassten.In seinem Gedicht aus dem Jahr 1842 schildert Engels den Kampf der Junghegelianer und Atheisten gegen die Wortführer des Pietismus und die Glaubenseiferer in Berliner Studentenkreisen. In dem hier abgedruckten Auszug spielt er auf Marx an, der zu dieser Zeit die Stadt schon verlassen hatte.
UZ: Engels war 27, als er mit Marx Anfang 1848 das „Manifest“ fertigstellte. Wenige Monate später stand er auf den Barrikaden …
Dirk Krüger: Das war typisch für ihn. Er war ein Mann der Wissenschaft, aber auch ein Mann der Tat. Als er hörte, dass auch in Elberfeld gekämpft wurde, reiste er eilig von Köln über Solingen dorthin. In Elberfeld hatte man an zentralen Punkten Barrikaden errichtet, um den Vormarsch der preußischen Truppen zu verhindern. Engels wurde zum Inspekteur gewählt. Als die Revolutionäre feststellten, dass sie zu wenig brauchbare Waffen hatten, stürmten sie in Solingen ein Waffendepot der Reaktion und verteilten die erbeuteten Gewehre an die Barrikadenkämpfer. Diese Aktion und Engels’ politische sowie soziale Vorstellungen führten dazu, dass die Führung der Elberfelder Bewegung Schiss bekam und Engels aufforderte, die Stadt sofort zu verlassen. Er wurde zur Fahndung ausgeschrieben und wich ins Badische aus. Dort kämpfte er weiter mit der Waffe in der Hand gegen die Reaktion.
Nach der Niederlage erreichte Engels über die Schweiz den italienischen Hafen Genua und ein Schiff nach Britannien. Er lebte, arbeitete und kämpfte danach jahrelang in Manchester. Erst im hohen Alter zog er nach London zu Marx und seiner Familie. Dort ist er auch gestorben.
UZ: Zu seinem 200. Geburtstag musste Engels’ Heimatstadt Wuppertal ihren „größten Sohn“ feiern. Die Bedeutung seines Werks für heute wurde dabei umschifft.
Dirk Krüger: Es wurden etwa Veranstaltungen zum Thema „Friedrich Engels und die Natur“ durchgeführt: Was hätte er zum Umgang der Menschen mit der Natur gesagt? Ein anderes Thema war „Friedrich Engels und die Frau“. Dabei ging es nicht um seine Beziehung zu den beiden irischen Arbeiterinnen Lydia und Mary Burns, sondern um die vielen Fragen, die die heutige Frauenbewegung diskutiert. Engels hatte sich in Manchester sehr viel und sehr intensiv mit der Lage der Arbeiterinnen beschäftigt.
Sichtbar geworden ist erneut, dass man sich scheut, Leben und Werk von Engels und natürlich auch von Marx für die heutige Zeit, zur Lösung aktueller Probleme, nicht nur zu studieren, sondern auch zu nutzen – sie in die Praxis umzusetzen. Dass man sich scheut, ist nicht verwunderlich, denn die Umsetzung der Vorstellungen der beiden Freunde bedeutet den revolutionären Kampf zur Überwindung des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung.
Dirk Krüger
Friedrich Engels aus der Sicht der Kommunisten heute
CommPress Verlag, Essen 2024
104 Seiten, 8 Euro, Subskriptionspreis bis zum 26. März: 6 Euro
Erhältlich im uzshop.de