Es scheint weit hergeholt, die Besprechung einer Biographie Wiglaf Drostes – „Berufszyniker“ („Spiegel“), „Autor und Kabarettist“ („perlentaucher“), „Tucholsky unserer Tage“ („Süddeutsche Zeitung“), „Satiriker“ („Deutschlandfunk“) – mit dem Anfang der Homerschen „Odyssee“ zu beginnen: „Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes, welcher so weit geirrt nach des heiligen Troja Zerstörung.“
Angeregt wurde dieser Start durch das Buch des „ND“-Feuilletonchefs Christof Meueler (von 2000 bis 2019 „junge Welt“-Feuilletonleiter, was in der biographischen Vorstellung weggelassen wird) „Die Welt in Schach halten. Das Leben des Wiglaf Droste“.
Letzteres ist wörtlich gemeint: Meueler hat mit archäologischem Interesse im Lebensverlauf Drostes gebuddelt und das Gefundene weitgehend chronologisch aufgeschrieben. Er zitiert Bekannte, Freundinnen und Freunde bis in die Gymnasialzeit zurück, wird nur schmallippig bei Drostes Verbindung zur „jungen Welt“. Welchen Rang aber Droste in der deutschsprachigen Literatur einnimmt, erschließt sich dabei nicht.
Deswegen sei hier an den Anfang gesetzt: Wiglaf Droste war ein großer Schriftsteller, der „vollständige Erzählungen“, wie er oft sagte, verfasste, manchmal in zwei Zeilen. So einer weiß schnell so ziemlich alles über Menschen, ihr oft bizarres Verhalten und auch über die Verhältnisse, die sie oft zwingen. Kein Wunder, dass ein Dichter vom Rang Peter Hacks’ gern mit ihm Umgang pflegte. Im von Hacks verfassten Anekdotenband („Was ist das hier?“) wird Droste erwähnt: Hacks habe ihm gesagt, die jüngste Textsammlung sei „matter ausgefallen als ihre Vorgänger“. Droste habe böse gefragt, ob seine Texte nach Meinung von Hacks schlechter geworden seien, worauf jener antwortete: „Ich sage, wiederholte Hacks geduldig, die Gegenstände ihrer Satiren werden schlechter.“ Das traf. Denn Droste kannte sich im Leben aus, war „vielgewandert“ und „weit geirrt“. Der vom deutschen Faschismus entfesselte Zweite Weltkrieg, der Überfall auf die Sowjetunion und der Völkermord an den Juden Europas waren sein „Troja“ – Hintergrund seiner Texte, in Gesprächen kam er öfter als im Geschriebenen darauf. Die endlosen Kriege des Westens nach 1991 trieben ihn um.
Das alles zusammengenommen brachte ihn zur „jungen Welt“, insgesamt rund 25 Jahre, aber Inhalte und Haltungen kommen in diesem Buch zu kurz. Insofern sind das Reduzieren und Ignorieren des Schreibens für jW nicht ganz nebensächlich. Es ist Gewohnheit der Bürgermedien, in den wenigsten Nachrufen wurde die Zeitung erwähnt. Denn Drostes jW-Texte waren klarerweise stets eine politische Stellungnahme „in Zeiten, in denen Kriege moralisch begründet und gerechtfertigt werden“, wie er im August 1999 zu Hetze und Lügen der „taz“ zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien schrieb.
Sein Leben, wie Meueler es darstellt, folgt Alt-BRD-Versatzstücken: westdeutsche Provinz, Berlin-Kreuzberg in den 1980er Jahren, Bohème, „taz“ und so weiter. Das ist fleißig recherchiert, warum aber zum Beispiel der schreibende und musizierende Koch Vincent Klink mit ihm die Zeitschrift „Häuptling eigener Herd“ betrieb, erschließt sich nicht befriedigend, schon gar nicht das Kapitel mit der „jungen Welt“, das offenbar keins gewesen sein soll.
Das gilt auch für den nicht immer schönen letzten Lebensabschnitt, als Droste an seiner Alkoholkrankheit verzweifelte. Er sprach mich, den damaligen jW-Chefredakteur, 2010 nach einer Veranstaltung der DDR-Reihe „Jazz, Lyrik, Prosa“ im Hof des Rathauses von Berlin-Köpenick an, ob die Zeitung ihm Platz für einen täglichen Text einräumen könne. Es sei für ihn lebensnotwendig. Ich wusste nichts vom Alkohol und „sagte sofort zu, denn“, so die Darstellung Meuelers, für jW sei „Wiglaf ein Aushängeschild für Leser, denen die Zeitung ansonsten zu langweilig, zu kommunistisch, zu antiisraelisch oder was auch immer war“. Ach Herrje, Herr Biograph, war es so schlimm, dass danach die Dresche auch noch dem 2014 verstorbenen „letzten Starautor“ der Zeitung, Werner Pirker, und seinen Kommentaren erteilt wird: „Ging es um Israel, USA und den Westen, wusste man schon immer vorher, was drinstand.“
Und im gleichen Blatt schrieb Droste? Fast täglich neun Jahre lang? Der nichts vergaß und kurz vor seinem Tod zu mir meinte, er sei Kommunist geworden: „Anders ist das alles nicht auszuhalten.“
„Das alles“ waren für ihn jene, die ständig anderen Unsägliches vorwerfen, Krieg angeblich wegen Moral führen und das auch noch schmerzfrei und völlig gleichgültig rechtfertigen. Er zähle sich zu denen, sagte er mir im April 2019, die Vernunft und Verstand folgen, und, das sei wichtig, das mit „Herzensbildung“ verbinden. Große Kunst und Literatur, gute Ästhetik und gute Politik – war sein Credo schon lange – sind eng miteinander verbunden. Ich fand es folgerichtig, dass ihn das zu Kommunisten führte. Er war auch in dieser Hinsicht ein ziemlich Großer.
Christof Meueler
Die Welt in Schach halten. Das Leben des Wiglaf Droste. Eine Biographie
Mit einem Nachwort versehen von Klaus Bittermann
Edition Tiamat, 304 Seiten, 30 Euro