Das saß: Hartnäckig blockierte Frankreich auf dem EU-Gipfel Mitte Oktober alle Bemühungen, EU-Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien in die Wege zu leiten. Mit aller Macht hatte sich nicht zuletzt die Bundesrepublik bemüht, den Beginn der Verhandlungen mit den zwei südosteuropäischen Staaten durchzusetzen. Russland und China gewinnen dort zusehends an Einfluss; Beitrittsgespräche mit der Union sollten, so lautete die Idee, die Orientierung der Region in Richtung Westeuropa wieder stärken und Moskau sowie Peking ein Stück weit zurückdrängen. Nun aber stellte sich Paris quer – und es wurde nichts aus dem Berliner Plan. Die Folge: In Skopje kam es zu einer gravierenden Regierungskrise, Neuwahlen wurden anberaumt. Frankreich hatte Nordmazedoniens prowestliche Führungsriege in ernste Probleme gestürzt.
Präsident Emmanuel Macron, der seine Amtszeit im Mai 2017 als Liebling der deutschen Bourgeoisie begonnen hatte, weil er Frankreich klar auf EU-Kurs zu halten versprach, hat Anfang 2019 seine politische Haltung gegenüber Deutschland korrigiert und macht seither massiv Druck. Hintergrund ist das anhaltende Ungleichgewicht in der Union: Während Berlin seine Ziele in Brüssel gewöhnlich weitgehend durchsetzen kann, zieht Paris regelmäßig den Kürzeren. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Reform der Eurozone, die Macron seit über zwei Jahren verlangt, um die deutschen Austeritätsdiktate zu brechen und der französischen Wirtschaft wieder aufzuhelfen; die Bundesregierung blockt sie konsequent ab. Macron hat zunächst auf dem Verhandlungsweg versucht, Bundeskanzlerin Angela Merkel umzustimmen, und etwa in seiner berühmten Sorbonne-Rede für seine Anliegen geworben. Berlin hat sich nicht dafür interessiert. Mittlerweile zieht Macron deshalb andere Saiten auf.
Deutlich wurde das im Februar. Damals sagte Macron nicht nur einen gemeinsamen Auftritt mit Kanzlerin Merkel auf der Münchner Sicherheitskonferenz kurzfristig ab, der der Welt eine vermeintlich geschlossen operierende, schlagkräftige EU hätte vorführen sollen. Er entzog zudem der Pipeline Nord Stream 2, der Berlin hohe Bedeutung beimisst, in einer wichtigen Abstimmung die Unterstützung, was das Projekt beinahe zum Scheitern brachte. Es folgte die nationale Einführung der Digitalsteuer, die auf EU-Ebene nicht zuletzt von Deutschland verhindert worden war; der französische Präsident war nicht mehr bereit, der Bundesrepublik zuliebe auf sie zu verzichten. Während Macron an seiner Weigerung festhielt, die Agrarpolitik in die Gespräche über ein transatlantisches Freihandelsabkommen zu integrieren – das würde Frankreichs Landwirtschaft massiv schaden –, kündigte er im April erneute „Konfrontationen“ mit Berlin an. Und in der Tat: Weitere Auseinandersetzungen blieben nicht aus.
Schon im Mai legte Macron den Staats- und Regierungschefs der EU klimapolitische Forderungen vor, die den Interessen der deutschen Kfz-Industrie widersprachen und die auszuhebeln sich Berlin genötigt sah. Zugleich sprach sich Macron gegen das deutsche Spitzenkandidaten-Modell bei der Wahl des EU-Kommissionspräsidenten aus. Nachdem es der Bundesregierung gelungen war, das Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Staatenbündnis Mercosur durchzusetzen, obwohl es Frankreichs Agrarinteressen klar zuwiderlief, kündigte der französische Präsident an, es nur zu ratifizieren, wenn alle Beteiligten sich an das Pariser Klimaabkommen hielten. Man darf annehmen, dass Brasiliens Präsident Jair Messias Bolsonaro seinem französischen Amtskollegen genügend Anlass bieten wird, seine Unterschrift zu verweigern. Auch in der Militärpolitik und bei gemeinsamen Rüstungsprojekten kämpft Macron mit harten Bandagen darum, eine allzu klare deutsche Dominanz zu vermeiden. Zuletzt hat er sich der Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien widersetzt. Nur eines könne den Präsidenten womöglich umstimmen, hieß es in Paris: eine deutsche Einwilligung in die Reform der Eurozone. Dazu freilich ist Berlin nicht bereit. Der Machtkampf dauert also an.