Am 8. Januar begann in Hanoi ein Prozess gegen mehr als 20 Manager, Politiker und ehemalige Funktionsträger des staatlichen Ölgiganten PetroVietnam (PVN). Ihnen werden Unterschlagung, Korruption und andere Wirtschaftsstraftaten vorgeworfen. Der Name, der in Vietnam am meisten aufhorchen ließ, ist Dinh La Thang, der nicht nur Vorsitzender von PVN, sondern auch Parteivorsitzender von Ho-Chi-Minh-Stadt war und aus dieser Position entfernt wurde. Warum dieser Prozess in Deutschland aber Aufsehen erregt, hat einen anderen Grund. Ein weiterer hochrangiger Manager von PVN, der auf der Anklagebank in Hanoi sitzt, ist Trinh Xuan Thanh. Er war 2016 aus seinen Management-Funktionen wegen Unterschlagung und Misswirtschaft entlassen worden und daraufhin nach Deutschland geflohen, um sich einem Strafverfahren zu entziehen. Vietnam ließ seit September 2016 mit internationalem Haftbefehl nach ihm suchen.
Im August war Thanh plötzlich aus Berlin verschwunden und wenige Tage danach in Hanoi im Fernsehen vorgeführt worden. Eine Berliner Rechtsanwältin des Beschuldigten und große Teile der deutschen Medien (einschließlich der Zeitungen „taz“ und „Neues Deutschland“) bezeichnen das Verschwinden als gewaltsame Entführung. Vietnams Behörden behaupten, Thanh sei freiwillig zurückgekehrt. Der Vorgang belastet die eigentlich sehr guten Beziehungen zwischen Vietnam und Deutschland sehr – vor allem weil Thanh bei einer Verurteilung die Todesstrafe drohen könnte. In den Hintergrund tritt bei der Medienoffensive gegen Vietnam der Vorwurf gegen den Angeklagten. Er wird der Unterschlagung und anderer Wirtschaftsdelikte beschuldigt. Die Anklage spricht von einem Schaden über 140 Millionen US-Dollar. Vielmehr ist in den Medien ständig die Rede von einem Machtkampf in der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV), bei dem der „stalinistische rückwärtsgewandte chinahörige“ Flügel um den KP-Vorsitzenden Nguyen Phu Trong gegen den Flügel der „Modernisierer und Wirtschaftsreformer“ kämpft. In der Tat hat der Generalsekretär der KP Vietnams zu einem Machtkampf aufgerufen. Zum Machtkampf gegen die Korruption. Und dieser Anti-Korruptions-Kampf richtet sich gegen eines der schlimmsten Übel in Vietnams Wirtschaft und Politik einschließlich der KPV.
Korruption ist in Vietnam schon seit langem ein Problem, das als Negativeffekt von Wachstum und zunehmendem Wohlstand zunehmend und heftig kritisiert wird. Bislang haben die Maßnahmen aber nicht die gewünschte Wirkung gezeigt, weil auf höchster politischer Ebene zu viele Funktionsträger selbst in das Geflecht verstrickt waren bzw. sind. Seit über einem Jahr fordert nun der Generalsekretär der KPV mehr Engagement im Anti-Korruptions-Kampf und bemängelt, dass „eine sinkende Moral und ein dekadenter Lebensstil unter den Parteimitgliedern um sich greife. Korruption, Vetternwirtschaft, Bürokratie, Opportunismus und Individualismus seien offensichtlich. Solche Kader hätten sich „meilenweit von der Öffentlichkeit und dem womit sich die normalen Menschen befassen, entfernt“, erklärte Trong Mitte Oktober 2016. Anfang des Jahres 2017 bekräftigte er dies und forderte, dass der Anti-Korruptions-Kampf „um jeden Preis vorangetrieben werden“ müsse. Er wies dabei vor allem auf Missstände in Vietnams ÖL-, Energie- und Bankensektor hin. Dutzende von Unternehmen und Managern wurden im Laufe des Jahres überprüft, mehrere (aus dem Bankwesen) inhaftiert und bereits verurteilt. Nun stehen erneut mehr als 20 Personen vor Gericht – darunter die PVN-Manager.