Der Spätwestern „The Power of the Dog“

Macht und Ohnmacht

Zwei Brüder führen 1925 eine Ranch in Montana. Der eine, Phil (Benedict Cumberbatch), Typ ungewaschener Macho-Cowboy, der andere, George (Jesse Plemons), kümmert sich als deutlich umgänglicherer Mensch um geschäftliche Seite und Politik. Als George Rose (Kirsten Dunst) heiratet und diese mit ihrem Sohn (Kodi Smit-McPhee) auf die Ranch zieht, kommt das Gleichgewicht ziemlich aus den Fugen.

Klingt langweilig? Ist es aber nicht. Zumindest nicht in dem Spätwestern von Jane Campion nach einer literarischen Vorlage von Thomas Savage, der bei den diesjährigen Internationalen Filmfestspielen von Venedig einen Silbernen Löwen erhielt.

Am Rande des Nichts, in der gleichzeitig öden und spektakulären Landschaft Montanas, kommen die beiden Brüder schon vor dem Eintritt Roses in ihr gemeinsames Leben nicht gut miteinander klar. Zumindest ist Phils Umgang mit George alles andere als nett. Um genau zu sein ist er ein fürchterliches Arschloch. So einer, dem man zutraut, dass er gerne Menschen und Tiere quält. Zum Glück für „The Power of the Dog“ ist aber in diesem Film wenig, wie es auf den ersten Blick scheint. Schon in den ersten Szenen ist immer wieder von Bronco-Henry die Rede, der seit über 20 Jahren tot ist und Phil alles beigebracht hat, was man auf einer Ranch können muss. Der sein Held ist (oder seine große, einzige Liebe?). Als George Rose mit nach Hause bringt, flieht Phil vor den Sexgeräuschen aus dem Nachbarzimmer zu dem Schrein, den es im Stall für Bronco gibt, und pflegt hingebungsvoll dessen alten Sattel.

Rose flüchtet sich vor Phils ständiger Konfrontation, schon vor seiner bloßen Anwesenheit, in den Alkohol, während ihr Sohn, angehender Mediziner, der erst ätherisch-harmlos daherkommt und zu Phils Opfer wird, weil er gern Blumen aus Papier bastelt, zu einer immer beklemmenderen Figur wird, vor deren Unbekümmertheit man sich leise gruselt. Schnell fragt man sich, wer im Hause der Brüder Burbank tatsächlich die Macht hat – und wer ohnmächtig das Geschehen ertragen muss.

Getragen wird diese Geschichte nicht nur durch die teils kalten, präzisen Bilder, sondern vor allem durch die Schauspielkunst des Ensembles, allen voran Benedict Cumberbatch. Kirsten Dunst gibt Rose die Aura einer hilflosen, leicht zerknitterten Prärieschönheit, die mehr zu verstehen scheint, als sie zugibt, sich aber nicht wehren kann. Zu einem der Höhepunkte des Films kommt es, als sie vor dem Klavier sitzt, das der Gatte extra von gefühlt 129 Cowboys hat anschleppen lassen, damit sie der lokalen Politprominenz was vorklimpern kann. Sie versagt schon beim Üben und aus dem oberen Stockwerk spielt ihr Phil auf dem Banjo vor, wie sie am Klavier klingen könnte, wenn sie auch nur etwas Selbstvertrauen hätte.

Banjo spielen hat Cumberbatch für den Film extra gelernt, genauso wie richtig gut reiten, Hufeisen schmieden, Seile flechten, Knoten binden, mit Vieh umgehen, es mit dem Lasso einfangen und den Akzent aus Montana – mehrere Monate brachte er zur Vorbereitung auf die Dreharbeiten auf einer Ranch zu. Auch deswegen bekommt man Cumberbatch in „The Power of the Dog“ so zu sehen wie bisher noch nie. War er bisher ja eher auf den intellektuellen Typ besetzt, von Sherlock über Alan Turing bis zu Dr. Strange im Marvel Cinematic Universe, kommt er hier mit einer Körperlichkeit daher, die einem fast ins Gesicht schlägt. Alles an ihm wirkt rau, klebrig, stinkend und er legt eine unfassbare Kraft in die verzweifelten Versuche Phils, die eigene Verletzlichkeit zu verstecken. Großes Kino.

The Power of the Dog
Regie: Jane Campion
Mit: Benedict Cumberbatch, Kirsten Dunst, Jesse Plemons, Kodi Smit-McPhee
Vereinzelt noch im Kino und abrufbar auf Netflix

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"Macht und Ohnmacht", UZ vom 24. Dezember 2021



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