Der Historiker Prof. Eckart Mehls lebt in Berlin. Der vollständige Text ist in „GeschichtsKorrespondenz“, Nr. 3/2018 veröffentlicht.
Es bleibt mir hier aus Platzgründen nur noch die Möglichkeit, von den vielen Kapiteln, die zur Charakterisierung der Geschichtspolitik der PiS zu berühren wären, nur noch eine aus meiner Sicht herausragende Ebene des Umschreibens der Geschichte Polens etwas näher zu beleuchten. Dass die eigene Staatlichkeit und Unabhängigkeit Polens im gesellschaftlichen Bewusstsein unseres Nachbarlandes einen hohen Stellenwert besitzt, ist bekannt und verständlich. Dass dies aber zu einem absolut dominierenden Wert für die Sicht auf die Geschichte des Landes und zu einem Ausschließlichkeit beanspruchenden Kriterium für die Beurteilung der in der Vergangenheit Handelnden erhoben wird, kann nicht anders als ein unverantwortlicher und brutaler politischer Akt der Vergewaltigung der realen Geschichte des Landes bewertet werden. Deutlichster Ausdruck dessen ist die gegenwärtig gehandhabte Praxis, alles, was nach Meinung der Herrschenden, und seien es noch so zweifelhafte oder gar verbrecherische Handlungen, dem gebotenen Streben nach Unabhängigkeit zuzuordnen sei, als patriotisch, heldenhaft, bewunderns- und bewahrenswert zu bewerten. Mit riesigem Aufwand wird ein Kult der „verfemten Soldaten“ gestaltet und propagiert, also jener Kämpfer verschiedener Organisationen und Einheiten des „Unabhängigkeitsuntergrundes“, die sich teilweise mit ungehemmter Brutalität und auch verbrecherischen Methoden der Errichtung der volksdemokratischen Ordnung in Polen entgegenstellten und bis zur Mitte der 50er Jahre in den Waldgebieten Polens einen unerbittlichen Kampf gegen die nach der Befreiung des Landes den Wiederaufbau tragenden Kräfte führten. Dies geht so weit, dass der gegenwärtige Ministerpräsident in München an den Gräbern einer Einheit, die nachgewiesenermaßen in ihrem Kampf gegen sowjetische Partisanen und an der Seite der Roten Armee kämpfenden polnischen bewaffneten Kräfte mit den faschistischen Besatzern kooperierten, in ehrendem Gedenken Blumen niederlegte. Die Kehrseite ist die Verleumdung und nachträgliche Bestrafung (unter anderem durch Aberkennung ihres vorherigen Kombattantenstatus) der Kämpfer der sogenannten Berling-Armee. Ihre opferreiche Teilnahme am Kampf für die Befreiung ihres Vaterlandes wird als Verrat an Polen diskreditiert, während zugleich die Kämpfer des „Unabhängigkeitsuntergrundes“ durch die Einführung eines speziellen Gedenktages (1. März jeden Jahres) geehrt werden.
Einzuordnen in diese Politik ist das jüngst vom Parlament beschlossene Gesetz über die Degradierung von Militärangehörigen, die in der Zeit von 1943 bis 1990 die polnische Staatsräson verraten haben. Es ermöglicht, Personen den militärischen Rang abzuerkennen, die, wie es im Gesetz heißt, „auf der Grundlage der totalitären kommunistischen Ideologie die Armee gegen das eigene Volk führten … und in den Jahren 1943–1990 die polnische Staatsräson verrieten“. Ausdrücklich werden mit dem Gesetz allen Mitgliedern des „Militärrates der Nationalen Rettung“ mit sofortiger Wirkung die militärischen Ränge aberkannt.
Damit werden zugleich die Kämpfer der sogenannten Berling-Armee, die unter schweren Opfern einen bedeutenden Beitrag zur Befreiung Polens und, was nicht vergessen werden sollte, auch Deutschlands, der Kategorie der „Verräter“ zugeordnet, die sich angeblich in den Dienst „Fremder“, und damit sind nach PiS-Lesart die sowjetischen Okkupanten gemeint, stellten, während den an der Westfront und an anderen Kriegsschauplätzen kämpfenden Polen selbstverständlich der Status von „Unabhängigkeitskämpfern“ zugestanden wird. Dieser skandalösen Abwertung und Verleumdung der für die Befreiung Polens und Deutschlands an der Seite der sowjetischen Streitkräfte kämpfenden polnischen Soldaten widmete die Zeitschrift „Przeglad“ das Titelblatt der Nummer 17–18 (23.4.–6.5.2018) mit einem Bild und dem nicht weiter kommentierten Text: „Verfemt von der PiS. 17 500 Gefallene/10 000 Vermisste/40 000 Verwundete. Sie schlugen sich für Polen, aber heute nimmt man ihnen die Ehre und die Altersversorgung.“