Ob ein Staatschef in westlichen Medien und Politik Machthaber oder Präsident genannt wird, hängt weniger davon ab, ob er die Macht usurpiert hat oder für sein Amt eine Wahl die Grundlage war, sondern wie die Stellung seines Landes im internationalen Gemenge ist. Genauer: Es hängt ursächlich von einem gefügigen Verhältnis zu den imperialistischen Staaten ab.
Im Grunde müsste ohne diese Unterscheidungshilfe ein Staatschef, der seinen eigenen Sohn begnadigt oder zur Bekämpfung der Opposition das Kriegsrecht ausruft, ein Machthaber sein. Oder wer dschihadistische Kämpfer bewaffnet, damit diese den (natürlich auch) Machthaber im Nachbarland stürzen, müsste ebenfalls unter diese Bezeichnung fallen, aber es handelt sich im Fall von Erdoğans Türkei um ein NATO-Land – das zudem gerade Russland mit dem vollzogenen Umsturz in Syrien ein erhebliches politisches und militärisches Problem bereitet.
Und dann gibt es noch an die Staatsspitze gekommene Personen, die nach Ablauf der Amtszeit ihre Mandatszeit verlängern oder einfach anstehende Wahlen nicht zulassen. Nun könnte man aus diesem Grund die Idee vertreten, dass der Ukrainer Wladimir Selenski ein Machthaber ist, da er seit einem guten halben Jahr sein Amt ohne Mandat ausübt. Sein Betragen mit Blick auf den Imperialismus könnte besser nicht sein, aber so ganz ohne Wahl? Das ist ein Problem für Medien und Politik, deshalb hier eine Argumentationshilfe: Wie soll denn der ukrainische Präsident ein Machthaber sein, wenn er gar keine Macht hat? Eben.
Denn er ist auf jede Zahl von ausländischen Krediten angewiesen, um den Staatshaushalt auszugleichen, sein Militär wäre ohne Waffenhilfe hoffnungslos unterlegen und nicht einmal über die Beendigung des Kriegs kann er entscheiden. Als er 2022 ein Friedensabkommen mit der Russischen Föderation wollte, übten Johnson, NATO und verbündete Faschisten auf ihre je eigene Art Druck aus und konnten sicher sein, in ihm keinen Allende anzutreffen: Sein eigenes Leben war ihm näher als das von mehreren hunderttausend Landsleuten an der Front. Seine Machtlosigkeit kaschierend, ließ er Gespräche mit Russland per Verfassung verbieten. Mit sich und diesem Schachzug zufrieden, geht es für ihn nun jedoch militärisch derart schnell bergab, dass sich am plötzlichen Verhandlungswillen des Westens abermals zeigt, wie wenig Selenski irgend jemanden in den NATO-Hauptstädten tatsächlich interessiert. Er wird übergangen wie sein Land, das aus westlicher Sicht bestenfalls Nutzen als Aufmarschgebiet hat.
Denn je größer die russischen Erfolge auf dem Schlachtfeld, umso größer wird auch die Gefahr irrationalen Agierens der NATO. Selbstverständlich wird sie den Konflikt weiter nutzen, wenn nach einer Waffenstillstandsvereinbarung ihre Truppen die Restukraine vor einer Demarkationslinie besetzt halten. Die Möglichkeit künftiger Enthauptungsschläge gegen Russland bleibt.
Bis dahin wird, wie im November beim G20-Gipfel, die Mär von der „Einbeziehung Asiens“ in den Ukraine-Konflikt verbreitet, weil nordkoreanische Soldaten in Russland stationiert wurden. Damit soll der über zwei Jahre andauernde Ukraine-Einsatz von Söldnern aus Dutzenden Ländern vertuscht werden – doch Dinge verschwinden nicht, nur weil hiesige Medien sie verschweigen. Während des G20-Gipfels haben die Außenminister Kolumbiens und Russlands eine bilaterale Arbeitsgruppe vereinbart, die sich mit der Frage befasst, was mit den von der Ukraine für monatlich 3.000 Dollar unter Vertrag genommenen kolumbianischen Söldnern geschehen soll, die in großer Zahl in russische Gefangenschaft geraten sind.
Machthaber zu sein hat offenbar den Vorteil, Politik gestalten zu können. Je länger man darüber nachdenkt, umso mehr fragt man sich, ob die Bezeichnung „Machthaber“ diffamierend klingen soll, aber im Grunde doch eher Neid ausdrückt. Denn wo das Kapital bestimmt, haben Präsidenten ein paar Kompetenzen – aber entschieden wird woanders.