Nach den Ausschreitungen in Chemnitz gerät Horst Seehofer unter Druck

Lynchen, dann schweigen

Von Christoph Hentschel

Bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung auf dem Chemnitzer Stadtfest wurde am vergangenen Sonntag ein 35 Jahre alter Mann niedergestochen und tödlich verletzt. Mehrere rechte Gruppierungen vermuteten „Ausländer“ als Täter und riefen zu Protesten auf. Die Proteste einer Ultra-Gruppierung aus dem Umfeld des Fußball-Regionalligisten „Chemnitzer FC“ entpuppte sich als Lynchmob. Mit Fußtritten attackierten Neonazis und Hooligans Menschen, die sie für Migranten hielten, und jagten sie durch die Straßen, wie Videoaufnahmen zeigen.

Am vergangenen Montag teilte die Chemnitzer Staatsanwaltschaft mit, dass ein 23-jähriger Syrer und ein 22 Jahre alter Iraker der Tat verdächtigt werden. Schon vorher hatte die Gruppierung „Pro Chemnitz“ zu einer Kundgebung vor dem Karl-Marx-Monument aufgerufen. Verschiedene Schätzungen sprechen von 2 000 bis 5 000 Teilnehmern. Daneben formierte sich eine Gegenkundgebung des Bündnisses „Chemnitz Nazifrei“ mit mehr als 1 000 Teilnehmern, wie „tagesschau.de“ berichtet. Laut Medienberichten gab es immer wieder Versuche, die Polizeikette zwischen den beiden Kundgebungen zu durchbrechen. Bis zu sechs Personen wurden dabei verletzt.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier kommentierte die Ereignisse auf „Twitter“: „Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach!“ und sprach sich damit für die Duldung des rechten Mobs aus. Dem entgegnete Regierungssprecher Steffen Seibert: „In Deutschland ist kein Platz für Selbstjustiz, für Gruppen, die auf den Straßen Hass verbreiten wollen, für Intoleranz und für Extremismus.“ Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) sagte, „Es ist widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen und zur Gewalt aufrufen“. Beide bevorzugen den Ausbau des Polizeistaates. In diesem Sinne zog der sächsische Generalstaatsanwalt Hans Strobl am Montag die Ermittlungen an sich und beauftragte die Sondereinheit „Zentralstelle Ex­tremismus Sachsen“ mit den weiteren Ermittlungen. Die Gewerkschaft der Polizei warnt vor dem Risiko zunehmender Selbstjustiz. Der Staat trage eine Mitschuld an dieser Entwicklung, sagte der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Der jahrelange Abbau von 16000 Stellen bei der Polizei habe dazu geführt, dass alle Einsatzkräfte stets verplant seien.

Unterdessen gerät Innenminister Horst Seehofer (CSU) immer mehr unter Druck. Bis zum Redaktionsschluss äußerte sich Seehofer nicht. Aber die Innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, warf ihm vor, dass der rassistische Mob von Chemnitz nicht vom Himmel gefallen sei. Der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, mit Seehofers Äußerung von einer „Herrschaft des Unrechts“ hätte er „die Legitimationsbasis für einen rechten Mob, der meint, er müsse das Recht selbst in die Hand nehmen“, geschaffen. Seehofer hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Februar 2016 im Zusammenhang mit ihrer Flüchtlingspolitik eine Herrschaft des Unrechts unterstellt. Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP, sagt: „Erst hätscheln und unterstützen die Herrschenden rechte Gruppierungen und Strukturen. Nirgends ist das so gut dokumentiert wie in Sachsen. Und wenn diese Gruppierungen jetzt einen Mob auf der Straße formieren, wird danach geschrien, den Polizeistaat auszubauen.“

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"Lynchen, dann schweigen", UZ vom 31. August 2018



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