In Brasilien entscheidet sich erst in einer Stichwahl am 30. Oktober, wer das Land in Südamerika künftig als Staatschef führen wird. Zwar konnte Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva am 2. Oktober mit 48,43 Prozent der Stimmen die erste Runde der Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden, doch Amtsinhaber Jair Bolsonaro liegt mit 43,20 Prozent knapper dahinter, als dies im Vorfeld prognostiziert worden war. Mehr als 57 Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer votierten für Lula, aber immerhin gut 51 Millionen für den amtierenden Staatschef. Alle anderen Kandidatinnen und Kandidaten blieben bedeutungslos – die drittstärkste Bewerberin Simone Tebet kam gerade einmal auf 4,16 Prozent. Das zeigt, wie tief gespalten und polarisiert Brasilien derzeit ist.
In der Wahlnacht hatte es lange sogar so ausgesehen, als könnte Bolsonaro als Sieger aus der ersten Runde hervorgehen. In den offiziellen Zwischenergebnissen der Wahlbehörde lag er zunächst in Führung, auch wenn der Abstand zu Lula immer mehr schrumpfte. Erst nach Auszählung von mehr als zwei Dritteln der Stimmen drehte sich das Ergebnis und Lula ging in Führung, bis er am Ende doch sechs Millionen Stimmen mehr auf sich vereinigen konnte als sein rechter Rivale.
Hinter Lula steht das Bündnis „Brasil da Esperança“ (Brasilien der Hoffnung), zu dem sich die Arbeiterpartei (PT), die Kommunistische Partei Brasiliens (PCdoB) und die Grüne Partei (PV) zusammengeschlossen haben. Ihre Ziele sind unter anderem ein sozial gerechteres Brasilien, ein Stopp der unter Bolsonaro rapide beschleunigten Umweltzerstörung und die Beachtung der Menschenrechte. Als Vorbild gilt den Partnern die erste Amtszeit Lulas, der das Land schon zwischen 2003 und 2010 regiert hatte. Wie damals ist mit Lula kein revolutionärer Bruch mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu erwarten, aber durchaus ein progressiver Kurswechsel.
Bolsonaro will dagegen seinen reaktionären bis faschistischen Kurs fortsetzen. Auf seiner Agenda stehen die Militarisierung der Gesellschaft und eine noch dramatischere Zerstörung des Regenwaldes zugunsten der Großgrundbesitzer. Außerdem stärkt er den Einfluss evangelikaler Gruppen, die zu seinen wichtigsten Verbündeten gehören.
Vor diesem Hintergrund rief die Vorsitzende der PCdoB, Luciana Santos, bereits zu Großkundgebungen für Lula und gegen Bolsonaro auf. Dies sei die wichtigste Wahl in der jüngeren Geschichte Brasiliens: „Wir werden jeden brauchen! Aber ich habe keinen Zweifel, am 30. Oktober werden wir feiern, Lula wird mit der Kraft des Volkes gewinnen!“ Die Menschen hätten in den Umfragen deutlich gemacht, dass sie nicht noch mehr Hass, Spaltung, Gewalt, Hunger und Autoritarismus wollten. „Wir werden die Straßen besetzen und mit allen Menschen sprechen, um die Bevölkerung zu sensibilisieren und Lula noch mehr Unterstützung zu sichern“, kündigte die Kommunistin an. „Die Mehrheit des Volkes hat bereits signalisiert, dass sie unser Projekt will, ein integratives Projekt für das Land, für Demokratie, für Gerechtigkeit, für die Liebe. Wir werden gemeinsam daran arbeiten, dieses Land wieder aufzubauen.“
Auch die Brasilianische Kommunistische Partei (PCB) rief dazu auf, bei der Stichwahl Lula zu wählen. Sie war in der ersten Runde mit einer eigenen Kandidatin, Sofia Manzano, angetreten. Auf sie entfielen 45.620 Stimmen, was 0,04 Prozent entsprach. „Dies sind Stimmen, die die Bereitschaft zum Kampf zeigen, die der brasilianischen Arbeiterklasse im harten Kampf für den Aufbau der Volksmacht zum Sozialismus bevorsteht“, heißt es dazu in einer Stellungnahme der Parteiführung. „Mit dem Ende des ersten Wahlgangs entfällt auch die Möglichkeit, ein unabhängiges proletarisches Programm vorzulegen. Nun wird die breite Masse des brasilianischen Volkes gezwungen sein, zwischen zwei Projekten zu wählen, die beide nicht kommunistisch sind. Die PCB positioniert sich in dieser zweiten Runde klar: Für Lula stimmen, um Bolsonaro zu besiegen. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Tiefe der Krise, in der wir uns befinden, nicht dadurch gelöst werden kann, dass man versucht, die Interessen der Bourgeoisie mit denen der Arbeiter in Einklang zu bringen, wie es der Kandidat der PT vorschlägt. Wir wissen, dass der Bolsonarismus auch nach einer Wahlniederlage nicht von der Bildfläche verschwinden wird, sondern auch in den kommenden Jahren eine politische Bedrohung für die Arbeiterklasse sein wird, solange er nicht entwaffnet und zerschlagen wird. Die Methoden der Schlichtung bereiten die Arbeiterklasse nicht darauf vor, der Bedrohung durch den bürgerlich-militärischen Putsch wirklich entgegenzutreten, und sie sind auch nicht in der Lage, den wirtschaftlichen und politischen Krisen sowie dem Erstarken von Chauvinismus und Militarismus in Brasilien und der Welt ein Ende zu setzen.“