Interview mit dem Grazer Gesundheitsstadtrat Robert Krotzer

Lügengeschichten und katastrophale Impfstrategie

In Graz, der Hauptstadt des österreichischen Bundeslandes Steiermark, hat die KPÖ bei den letzten Kommunalwahlen 20 Prozent der Stimmen erzielt. In der Stadtregierung ist Robert Krotzer seither zuständig für das Ressort Gesundheit und Pflege. UZ sprach mit dem 33-jährigen Stadtrat über den Umgang mit der Corona-Pandemie in der Kommune und in der Steiermark.

UZ: Graz ist aus der Impfplanung des Landes Steiermark herausgefallen. Was ist der Grund dafür?

Robert Krotzer: Die Antwort auf diese Frage liegt zum Teil im Verborgenen. Das Bundesland Steiermark setzt in der Abwicklung des Impfens auf einen privaten Betreiber. Eine Privatklinik ist beauftragt worden, die rund 20 öffentlichen Impfstraßen in der Steiermark zu organisieren. Die KPÖ hat das auch auf Landesebene scharf kritisiert, weil wir hier weitere Tendenzen sehen, dass mit der Gesundheit und dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung private Profitinteressen bedient werden. Eine Entwicklung, die europaweit, weltweit zu beobachten ist, sich in der Steiermark aber noch einmal deutlich zuspitzt.

Ein Ergebnis war, dass die Impfstelle der Stadt Graz, die wochenlang in die Vorbereitungen eingebunden war und viel organisatorische und konzeptionelle Vorarbeit geleistet hat, dann wenige Wochen vor Impfstart erfahren hat, dass sie nicht beteiligt sein wird. Ob dahinter steht, dass einerseits die Privatklinik Kastanienhof exklusiv bedient werden sollte oder ob das politische Gründe hat, insoweit als die ÖVP das Gesundheitsressort des Landes, aber auf Stadtebene die KPÖ das Gesundheitsressort leitet und man sich hier nicht in die Karten schauen oder reinreden lassen will. Darüber kann man letztendlich nur spekulieren.

UZ: Wie ist derzeit die Lage in Graz?

Robert Krotzer: Es sieht derzeit so aus, dass wir eine für österreichische Verhältnisse moderate 7-Tage-Inzidenz haben von etwas über 100. Der gesamtösterreichische Schnitt liegt mittlerweile bei über 200, in den östlichen Bundesländern teilweise gravierend darüber. Dort tritt die britische Virusmutation besonders häufig auf und in den letzten Tagen hat es dazu eine Reihe von Sondertreffen der Bundesregierung mit den Landesvertretern gegeben. Herausgekommen ist außer regionalen Maßnahmen wenig.

UZ: In den deutschen Medien hören wir immer wieder von Ischgl und dem Versagen der österreichischen Regierung. Wie bewertest du die Impfstrategie deiner Landesregierung?

Robert Krotzer: Die Impfstrategie der Steiermark kann man nicht anders als katastrophal bezeichnen. Da liegt viel im Argen. Das beginnt mit dem Impfstoffmangel, der viel damit zu tun hat, dass diese Impfstoffe in privater Hand sind, obwohl sie weitgehend öffentlich finanziert worden sind: Das setzt sich dann fort auf der Ebene der österreichischen Bundesregierung: Hier sind der Bevölkerung mitunter offensichtliche Lügengeschichten erzählt worden. Ich erinnere daran, dass Bundeskanzler Kurz am 7. Januar verkündet hat, dass alle über 80-Jährigen noch im Januar geimpft werden. Er muss da schon gewusst haben, dass in diesem Zeitraum nicht die entsprechende Menge an Impfstoff in Österreich ankommen wird. Daraus ergibt sich großer Unmut in der Bevölkerung über leere Versprechungen, über mangelnde Organisation, schlechte Kommunikation, und von allen Bundesländern ist es die Steiermark, wo am meisten im Argen liegt. In der Steiermark ist man jetzt gerade mal dabei, die Personengruppe der über 85-Jährigen voll zu impfen und erst in den kommenden Wochen werden die Impfungen der Personen zwischen 80 und 85 anlaufen. Entsprechend schwankt die Stimmung in der Bevölkerung irgendwo zwischen Wut und Resignation.

UZ: Was konntest du in deiner Funktion als Gesundheitsstadtrat bis jetzt bewirken?

Robert Krotzer: Wir haben im letzten Jahr ein Projekt „Grazer Telefonkette gegen Covid-19“ gestartet, das wir mit verschiedenen Sozialeinrichtungen, Migrantinnen- und Migrantenorganisationen und Rentnerverbänden umgesetzt haben. Es ging darum, insbesondere Personen der Risikogruppen zu kontaktieren, aufzuklären über verschiedene Hilfsangebote und ganz einfach auch Bewusstsein zu schaffen für gesundheitsschützende Maßnahmen. Das war in der ersten Phase der Pandemie, in der es ja nicht nur in Graz, sondern österreich- und europaweit vergleichsweise niedrige Fallzahlen gab. Wir haben damals aber auch schon festgestellt, dass die personellen Kapazitäten des Gesundheitsamts für die Kontaktnachverfolgung bei weitem nicht ausreichen. Ich bin dann noch vor dem Sommer mit einem offenen Brief an die Bundesregierung herangetreten mit der Forderung, dass österreichweit die personellen Ressourcen der Gesundheitsämter massiv aufgestockt werden müssen. Da hat sich aber nichts oder sehr wenig bewegt, was dazu geführt hat, dass im Herbst, insbesondere Oktober/November, das Infektionsgeschehen völlig außer Kontrolle geraten ist.

In Graz ist es uns allerdings gelungen, über den Sommer eine massive Personalaufstockung zu erreichen, mit der die Kontaktnachverfolgung selbst bei den größten Spitzen im Oktober/November bis jetzt aufrecht erhalten werden konnte. Wir haben vergleichsweise überschaubare Zahlen. Man soll sich aber nie in Sicherheit wiegen, es kann mitunter schnell gehen, wie die aktuelle Entwicklung in Wien zeigt.

Gleichzeitig bin ich ja auch zuständig für die Kontrolle in privaten Pflegeheimen, wo wir ein engmaschiges Kontrollsystem eingeführt haben mit wöchentlicher Berichterstattung über die Situation. Dadurch ist es uns gelungen, die Ansteckungsfälle in den Grazer Pflegeheimen überschaubar zu halten. Wir haben dann auch auf eigene Kosten Corona-Schnelltests angekauft für die Pflegeheime, während Bundes- und Landesregierung große Versprechungen gemacht haben, aber diese Hilfen lange Zeit nicht in den Heimen angekommen sind.

Was noch zu erwähnen ist: Wir haben vor Weihnachten eine Corona-Teststation ins Leben gerufen, wo Menschen, die Covid-Symptome hatten, kostenlos getestet wurden. Dieses Angebot ist mittlerweile mehrere tausend Male in Anspruch genommen worden und hat dazu beigetragen, dass wir Infektionsketten unterbrechen konnten.

UZ: Die KPÖ Steiermark hat jetzt mit dem Kommunistischen Studierendenverband eine Beratungsstelle ins Leben gerufen. Wie helft ihr Studienanfängern während der Pandemie und wie sieht es mit anderen Hilfsangeboten, Mieterhilfe und so was, aus?

Robert Krotzer: Um es vorweg zu sagen: Alle Hilfsangebote der KPÖ Graz und der steirischen KPÖ sind auch in der Pandemie fortgesetzt worden. In manchen Fällen oder in Phasen der höchsten Verbreitung oder in den Lockdown-Phasen haben wir auf telefonische Beratung umstellen müssen, es hat diese Angebote aber immer gegeben und sie sind nötiger denn je. Das erleben wir bei allen Beratungen, sei es für Studierende, sei es aber auch für alle anderen Personengruppen. Soziale Notlagen spitzen sich enorm zu, auch durch Jobverlust, durch Einkommenseinbußen, durch Kurzarbeit. Rund um Mietrückstände tauchen viele Probleme auf, die Menschen müssen mit deutlich weniger Geld auskommen als bisher. Wir erleben, dass viele Menschen zu uns kommen, die bisher finanziell ganz gut über die Runden gekommen sind, die noch nie bei uns waren und sagen, sie hätten nie gedacht, dass sie jemals unser Angebot in Anspruch nehmen müssen. Das betrifft auch die Studierenden. Da merkt man, dass viele Nebenjobs weggefallen sind, insbesondere in der Gastronomie, und das zieht eine Kette an Folgeerscheinungen nach sich. Was wir da machen, ist eine umfangreiche Beratung, welche Hilfsangebote gibt es, welche Sozialtöpfe gibt es, die die Leute beanspruchen können, um Mietrückstände oder Stromrückstände und so weiter abfedern zu können.

Es ist ja auch so, dass wir nach wir vor zwei Drittel unserer Monatseinkünfte aus der kommunalen Arbeit weitergeben und damit Menschen ganz konkret unterstützen. Das ist mitunter nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber es schärft den Blick dafür, welche Parteien außer leeren Worten nichts anzubieten haben und wer konkret hilft.

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"Lügengeschichten und katastrophale Impfstrategie", UZ vom 9. April 2021



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