Boris Johnson atmete auf. Am Abgrund seiner Karriere ließ das Medienfeuer vom politisch wankenden und nach elitären Corona-Feten moralisch angeknockten britischen Premier ab. Schlagzeilenträchtiger erschien beim Einmarsch in der Ukraine die Wesensdeutung des Chefs im Kreml. Bei so viel Massel nahm Boris stracks seine Einträge in die Liste antirussischer Sanktionen vor und ließ seine Außenministerin verkünden, das Vereinigte Königreich werde nun gegen die Besitzstände russischer Oligarchen vorgehen. Eine erste „Abschussliste“ sei erstellt. Was? Londongrad, dem Tummelplatz des russischsprachigen Jet-Sets, stünde eine moralische Reinigung ins Haus? Klang wie die Erfüllung eines Herzenswunsches der bestohlenen Russen. Doch sogleich folgte das enttäuschende Aber der Dame, man beginne mit Personen, die der russischen Regierung nahestehen. Da war die Hälfte der Freude dahin, denn die ausgebüxten wie die heimisch verbandelten Geldsäcke waren Brüder im Ungeist, als sie sich die materielle Erbschaft der Sowjetunion unter den Nagel rissen.
Die britischen Mühlen mahlen langsam und diskret. Nur das Spektakulärste dringt nach außen. Die Konten von Abramowitsch, legendärer Besitzer des Fußballklubs Chelsea, sind eingefroren, und gegen ihn besteht Einreiseverbot. Subtilere Vorgänge ereignen sich im Londoner Nebel, denn die Sanktionen könnten peinlichen Staub im Terrain des Ungekämmten aufwirbeln. Etwa die alte Geschichte, wie sich der spätere Tory-Finanzminister Osborne und der „New-Labour“-Spezi Mandelson zum Tête-á-tête mit dem russischen Milliardär Oleg Deripaska in Korfu einfanden. Londons Offizielle bangen um ein einträgliches Geschäftsmodell, das bislang noch den suspektesten Superreichen aus aller Welt sicheren Unterschlupf gewährte. Die Scheinwerfer aufgeregter Öffentlichkeit könnten die amoralische Komplizenschaft erhellen.
Inzwischen wurden Luxusjachten in illustren Tabuzonen gesichtet und großes Geld schwamm rechtzeitig in die sicheren Anlageparadiese. Wenn russische Oligarchen nun doch der westalliierte Bannstrahl trifft, geschieht das einzig mit dem Ziel, ihre Verlustängste gegen Putin zu richten. Abtrünnige Oligarchen vom Schlage Chodorkowskis haben nichts zu befürchten. Sie sind längst die Guten. Die sich von der Putin-Aura abwenden, könnten es wieder werden. Gerafftes, Gestohlenes bleibt sakrosankt, wenn es nur politisch korrekt in Stellung gebracht wird. Das ist das verlogene Credo der sich als Freiheitsengel kostümierenden Kriegsanstifter. Der Ungekämmte begeht keinen Klassenverrat. Womit er und seinesgleichen russische Oligarchen behelligen, ist Kleingeld, verglichen mit dem, was sich die Magnaten der Waffen- oder Brennstoffindustrie in den USA und Vasallenstaaten an Pfründen sicherten, als sie die Ukraine zum Spielball ihrer Interessen auserkoren. Immer Brzezinskis Prophezeiung auf dem Panier: „Ohne die Ukraine ist Russland keine Großmacht.“ Mission geglückt. Die „hirntote“ NATO reanimiert. Die Rüstungsausgaben der westlichen Entente zum Jubel der Mordgeräteindustrie in hirnverbrannte Höhen getrieben. Den eingeknickten Ökomoralisten so schmutziges wie teures amerikanisches Fracking-Gas angedreht. Einfach gestrickte Hirne mit „Cancel Russian Culture“ vergiftet, als wären Puschkin und Tolstoi nicht Weltliteratur und auf dem Erdball gäbe es für alles Russische kein Morgen. Die Ukraine von der einst selbst gehegten neutralen Brückenfunktion weggestoßen. Und dann dieser falsche Krieg, das entsetzliche Waffengeklirre zwischen zwei Brudervölkern.
Die Ursache solchen Unheils kleidete Oskar Lafontaine jüngst in die Worte, eine Wirtschaftsordnung, in der eine Minderheit große Vermögen anhäuft, führe zu Kriegen. Heißt: Dauerhafter Frieden wird nur sein, wenn die Verhältnisse, die dem Kapital seine ruinöse Allmacht verleihen, überwunden sind.