Zur wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich

Lohn, Preis und Profit

Ach“, mag manche von Geldsorgen niedergedrückte Lohnabhängige, mancher Rentner und manche Studierende am letzten Wochenende geseufzt haben, „wäre ich doch Unternehmer!“ Wenige Tage zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sein Volk zum Auftakt der „konzertierten Aktion“ auf eine lang­anhaltende Krise eingeschworen und etwas kleinlaut darauf hingewiesen, kein Staat der Welt könne die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise vollständig kompensieren. Im Klartext: Ihr da unten müsst für unsere Embargopolitik gegen Russland zahlen. Wer das nicht kann, konnte der „BILD“-Zeitung die Nachricht entnehmen, dass die ersten Vermieter nun den Bezug von Warmwasser nachts abstellen und der bundesweit größte Wohnungskonzern die Temperaturregler um ein Grad nach unten stellt. Keine fünf Tage später aber war klar, dass Scholz und seine Koalitionspartner nicht alle im kalten Regen stehen lassen: „Wir haben uns entschieden, dass wir Uniper helfen wollen“, verkündete er nach einem Spitzengespräch mit der deutschen Wirtschaft in München zum Wochenende.

Damit setzt sich eine unselige Traditionslinie aus der jüngsten Vergangenheit fort: Während Millionen Schüler nach Hause geschickt wurden, weil den Kommunen die Mittel fehlten, die Klassenzimmer rechtzeitig mit Lüftern auszustatten, die Corona-Viren von Schülern fernhalten können, standen binnen weniger Tage Millionensummen bereit, um Konzernen wie der Lufthansa das Überleben zu sichern.
Die Finanzmittel, die demnächst – über welche Finanzkonstruktion auch immer – an Uniper und andere Energiekonzerne ausgereicht werden, sammelt der Staat mit seinen Finanzämtern bei denen ein, die jetzt Angst vor dem nächsten Winter haben. Das betrifft nicht nur diejenigen, die von ihren real schrumpfenden Tariflöhnen Lohn- oder Einkommensteuer bezahlen. Das betrifft jeden, der irgendwo etwas kauft und automatisch fast ein Fünftel des Einkaufspreises an den Staat abführt – damit der den Unternehmern helfen kann.

Im Juni 1865 hielt Karl Marx seinen dank seiner Tochter Eleanor der Nachwelt überlieferten Vortrag zu „Lohn, Preis und Profit“, in dem er klar machte, dass ohne entschiedenen Kampf der lohnabhängigen Klassen gegen die besitzenden Klassen die Arbeiter und Angestellten immer ärmer, die Vermögenden aber immer vermögender werden – vor einer Krise, in einer Krise und nach einer Krise. Marx empfahl, die Kräfteverhältnisse illusionslos zu analysieren, und meinte fast lapidar: „Sicher ist es der Wille des Kapitalisten, zu nehmen, was zu nehmen ist. Uns kommt es darauf an, nicht über seinen Willen zu fabeln, sondern seine Macht zu untersuchen, die Schranken dieser Macht und den Charakter dieser Schranken.“

Das gilt nach wie vor. Zunehmend deutlich wird jedenfalls in diesem Teil der Welt, in dem das Kapital noch ungehemmt herrscht, dass dessen Macht nur noch zu sichern ist, wenn der Staat immer häufiger und immer schamloser den großen Monopolen bei der Sicherung ihrer Profite hilft und sowohl Lohnabhängige als auch Kleinunternehmer zur Finanzierung dieser Stützmaßnahmen das Geld aus den Tauschen saugt. Dabei machen sie – wie die Pläne von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zur Kürzung der Leistungen für Langzeitarbeitslose zeigen – selbst vor den Ärmsten der Armen nicht mehr halt.

Wir hier unten können uns die Profite da oben immer weniger leisten. Es wäre ein guter Neustart in ein erneuertes Klassenbewusstsein, sich in Vorbereitung auf die kommenden Lohnrunden gemeinsam noch einmal mit dem Zusammenhang von „Lohn, Preis und Profit“ zu befassen.

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"Lohn, Preis und Profit", UZ vom 15. Juli 2022



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