Noch am Morgen des 5. Juli, als in Griechenland bereits darüber abgestimmt wurde, ob man in Athen dem Nötigungsdruck des Exportweltmeisterimperialismus nachgeben sollte oder nicht, boten die deutschen Medien ein absonderliches Bild. Ob gedruckt, gesendet oder online abrufbar – überall wurden die abenteuerlichsten Logikschrauben in die letzten Löcher gedreht, um die in Berlin zusammengezimmerte Konstruktion „Nur der Sparkurs kann die Griechen retten“ vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren.
Das Muster war primitiv: Wer den Griechen rate, auf all die Zumutungen mit „nein“ zu antworten, stelle die Sache einseitig dar, man müsse sehen, dass jeder sichtbare Nachteil der Knauserpolitik einen Vorteil für alle nach sich ziehe. Beliebtes Beispiel: Eure Löhne sind zwar gefallen, aber das macht griechische Produkte billiger, und davon werdet ihr am Ende was haben, denn der griechische Kapitalist will mehr Zeug ins Ausland verkaufen, damit er in der nächsten Runde seinen abhängig Beschäftigten endlich wieder mehr bezahlen kann.
Das ist so vernünftig wie die Bauernregelvariante: Auf Regen folgt Sonnenschein, darum lasst uns für mehr Regen beten, damit die Sonne scheint. Die Griechen stehen aber nicht gern im Regen, und der besondere Sonnenschein, der dazugehört, hat sich als knochenbleiche Dürre erwiesen.
Nun hatten sie die Wahl, sich beim Abstimmen entweder nach ihrem Kontostand oder nach Hoffnungen auf die Solidarität des heimischen Kapitals im Fall eines hypothetischen Konjunkturaufschwungs zu richten. Sie entschieden sich für ihre fünf Sinne und gegen die Gesinnung, die in Deutschland mit seltsamen Argumenten wie dem zitierten ausgegeben wurde. Die deutschen Medien hatten offenbar vergessen, dass die Griechen sie nicht lesen, ihnen nicht zuschauen und sie nicht hören.
Hätte man statt der Griechen aber die Deutschen darüber abstimmen lassen, was für die Griechen annehmbar sein soll und was nicht, wäre die Sache womöglich anders ausgegangen. Denn hierzulande hat man leider immer wieder gern an die nationale Lösung der sozialen Frage geglaubt – daran also, dass einheimisches Kapital und einheimische Arbeit mehr miteinander gemeinsam haben als mit irgendwem im Ausland. Diese nationale Lösung der sozialen Frage, für die derzeit etwa Frauke Petry mit ihrer AfD einsteht, wäre eine Katastrophe.
Das Abstimmungsergebnis in Griechenland muss zum Startsignal einer den ganzen Kontinent erfassenden Bewegung für die soziale Lösung der Europafrage werden.
Unser Autor Dietmar Dath ist Schriftsteller