„Wir wissen: Ihr seid keine Basteltanten.“ Sandy Kirchner, Sprecherin der Bundeselternvertretung der Kinder in KiTas und Tagespflege, unterstützt die Forderungen der Streikenden im Sozial- und Erziehungsdienst auch als Rednerin auf der ver.di-Kundgebung am 28. Mai in Frankfurt. Selbstverständlich ist das nicht, nach wie vor herrscht ein anderes Bild von den Sozial- und Erziehungsberufen vor: Als wäre diese Arbeit weniger anspruchsvoll, weil schließlich jeder auf Kinder aufpassen und ein buntes Fensterbild gestalten könne. Als wäre sie weniger schwer, weil ein bisschen Spielen ja nicht so anstrengend sei. Und als wäre sie weniger qualifiziert, weil es ja doch vor allem um eine soziale Veranlagung gehe (die vor allem Frauen von Natur aus mitbrächten). Als würden Sozialarbeiter den ganzen Tag Kaffee trinken und reden und als wären Erzieherinnen Basteltanten.
Das Prestige dieser Berufe drückt sich auch im niedrigen Gehalt und im hohen Anteil von Teilzeitarbeitsplätzen aus, nur 41 Prozent der Erzieherinnen und Erzieher bundesweit arbeiten Vollzeit – als wäre eine Erzieherstelle nur dazu da, damit die Frau zum Gehalt des Ernährers etwas dazuverdienen kann. Gleichzeitig sind die Anforderungen an die Beschäftigten gestiegen: Kinder und Jugendliche bringen die Probleme, die das Leben in armen Familien in einer unsolidarischen Gesellschaft erzeugt, mit in KiTas, Jugendzentren und Betreuungseinrichtungen. Die Ansprüche an die Inklusion von Menschen mit Behinderung müssen in den Einrichtungen erfüllt werden. Und ganz nebenbei stehen die Dokumentation der betreuten Fälle und die Beratung von Angehörigen auf dem Zettel der Beschäftigten in Jugendämtern und Wohnheimen für Menschen mit Behinderung. Insbesondere in den Sozial- und Erziehungsdiensten seien die Leistungsanforderungen gestiegen, so das Ergebnis einer Befragung des Tübinger Forschungsinstituts für Arbeit, Technik und Kultur.
Ver.di fordert deshalb nicht nur eine Anhebung in der Gehaltstabelle, sondern eine verbesserte Eingruppierung der Sozial- und Erziehungsberufe – darum geht es in den laufenden Tarifverhandlungen – aber auch eine allgemeine Aufwertung dieser Berufe, die sich vor allem, aber nicht nur in der Bezahlung ausdrücken soll. „Aufwerten jetzt!“ ist der zentrale Slogan auch auf der Demonstration in Frankfurt.
Diese Aufwertung entspricht dem Berufsethos vieler Beschäftigter, ihrem Selbstbild von Menschen, die die Arbeit mit Kindern und Alten, mit Menschen mit Behinderung und mit Eltern auch als ihre persönliche Aufgabe sehen, und sie entspricht der gesellschaftlichen Bedeutung dieser Berufsfelder. Dieses Berufsethos ist auf der einen Seite eine Motivation, um für die eigenen Forderungen einzustehen, auf der anderen Seite macht es einen Streik nicht unbedingt leichter. Eine KiTa-Erzieherin aus Wiesbaden erzählt von ihrem schlechten Gewissen, weil sie sich am Streik beteiligt: „Wir sind gerade in der Phase der Eingewöhnungen. Das hält sich die Waage: Ich stehe voll und ganz hinter den Forderungen, aber das schlechte Gewissen den Kindern gegenüber ist doch sehr groß.“
„Ich muss dabei zusehen, wie Kinder auf der Strecke bleiben“, berichtet eine Rednerin auf der Kundgebung, ebenfalls Erzieherin. Mit 28 Jahren leidet sie unter Tinnitus und Migräne. Ein anderer Redner erzählt, wie die Arbeitsbedingungen bei der Betreuung psychisch Kranker dazu führen, dass auch unter den Mitarbeitern die Quote psychischer Erkrankungen relativ hoch ist – „so mancher nimmt sein Päckchen noch mit nach Hause.“ Die steigenden Belastungen bringen die streikenden Kolleginnen und Kollegen in diesen Wochen dazu, das schlechte Gewissen gegenüber den Kindern, den Eltern und den Kollegen, die zur Arbeit gehen, zu überwinden. Eine Gruppe auf der Demo hat ein Schild mitgebracht: „Jugendamt – come in and burn out“.
Dafür nahm die Stimmungsmache gegen die Streiks zu: „So leiden wir Eltern unter dem KiTa-Streik“, berichtet Bild, „Bei vielen Eltern kippt die Stimmung“ ist die sachliche Variante mit der gleichen Stoßrichtung: Eltern und Streikende – und das heißt: unterschiedliche Gruppen von Beschäftigten – werden gegeneinander ausgespielt. Einzelne Kommunen reagieren mit Verweis auf die leeren Kassen mit der Drohung, die KiTa-Gebühren anzuheben, wenn ver.di die Forderungen durchsetzen kann, und selbst unter den Streikenden gibt es einzelne Stimmen, die eine solche Gebührenerhöhung nicht so schlimm fänden.
ver.di wendet sich dagegen eine Aufwertung für die Beschäftigten auf die Eltern abzuwälzen – auch während des Streiks: „Die Kommunen kassieren derzeit von den Eltern Beiträge für Leistungen, die sie gar nicht erbringen, und sparen gleichzeitig Personalkosten, weil die Gewerkschaft diese über die Streikunterstützung übernimmt“, kritisierte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske.
„Wir verstehen die Frustration der Eltern voll und ganz“, sagt eine Erzieherin, „nur sollen sie die bitte bei der richtigen Stelle ablassen und nicht bei uns.“ Am 26. Mai hatten rund hundert Eltern genau das getan: Mit Plakaten „Löhne rauf, KiTa auf“ demonstrierten sie in Wiesbaden vor dem hessischen Landtag. Bei Redaktionsschluss gingen die Streiks in die vierte Woche, ein verhandelbares Angebot der „richtigen Stelle“ – der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) – lag noch nicht vor.
Bei der Demo in Frankfurt machten die Beschäftigten jedenfalls deutlich, dass sie sich von dem öffentlichen Druck kaum beeindrucken lassen. Weil der Frankfurter Römer voll war, verfolgten einige tausend Kolleginnen und Kollegen die Kundgebung auf einer Leinwand auf dem benachbarten Paulsplatz. „Nach diesem Tag heute hat jeder nochmal Auftrieb bekommen und die Bestätigung: Wir tun das Richtige“, sagt eine Erzieherin aus einer KiTa, die seit dem 8. Mai durchgängig geschlossen ist, und eine Kollegin: „Wenn man was erreichen will, muss man es auch mal durchbeißen.“ Und auf die Versuche, einen Erfolg von ver.di auf Eltern oder Kommunen abzuwälzen, antwortet die Elternvertreterin Sandy Kirchner: „Frühkindliche Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“