Seit Mittwoch vergangener Woche ist der „harte Lockdown“ in Kraft. Rechtliche Grundlage dafür bildet die im November beschlossene Novellierung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) durch das „Dritte Bevölkerungsgesetz“. Die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) bemängelt, dass es an einer hinreichenden Rechtsgrundlage fehle. UZ sprach darüber mit ihrem Bundesvorsitzenden Joachim Kerth-Zelter.
UZ: Wie sieht Ihre Kritik am Dritten Bevölkerungsgesetz aus?
Joachim Kerth-Zelter: Unsere Kritik geht dahin, dass wir sagen, hier ist eine massive Einschränkung der Freiheitsrechte der Bürger erfolgt, ohne dass im Einzelnen die dadurch entstehenden Probleme für die Betroffenen ausreichend abgewogen wurden. Im Gesetz steht letztendlich nicht, wann welche Maßnahmen ergriffen werden müssen oder können. Sondern es wird im Wesentlichen an die Infiziertenzahl angeknüpft und damit nicht ausreichend differenziert. Dazu kommt, dass die Maßnahmen nicht unterscheiden, wann welche Maßnahmen ergriffen werden sollten oder nicht sollten. Das sind Probleme, die mit dem Gesetz nicht aus der Welt geschaffen wurden.
Das Gesetz selber sehen wir zumindest insofern als einen ersten Schritt an, dass endlich das Parlament beteiligt wurde. Aus unserer Sicht ist aber die Beteiligung des Parlamentes unzureichend, weil nicht genügend Zeit zur Verfügung gestellt wurde, um die Sache umfassend zu diskutieren. Das wäre bei solch massiven Eingriffen in Grundrechte aber notwendig gewesen.
UZ: Was müsste abgewogen werden?
Joachim Kerth-Zelter: Es gibt einerseits das Grundrecht auf Gesundheit und Leben, aber andererseits auch die Grundrechte auf Freiheit, auf Entfaltung der Persönlichkeit und so weiter. Diese verschiedenen Grundrechte müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Es muss also geschaut werden, wenn wir den Gesundheitsschutz erreichen wollen, welche Einschränkungen wir vornehmen und welche Folgen diese Einschränkungen haben. Ist das noch hinnehmbar oder nicht, ist das noch verhältnismäßig oder nicht?
Durch die Einschränkungen des Lockdowns werden soziale Kontakte auf ein Minimum reduziert, die Entfaltung der Persönlichkeit wird massiv eingeschränkt. Im Frühjahr haben wir erlebt, dass selbst Versammlungen nicht mehr erlaubt waren und damit die politische Meinungsbildung der Bevölkerung nicht mehr möglich war. Das ist jetzt nicht mehr explizit der Fall, aber es ist heute auch so, dass massive Einschränkungen der Freiheitsrechte, der Bewegungsfreiheit und der Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen stattfinden. Die psychischen und gesundheitlichen Folgen, die daraus entstehen, wie Depressionen und ähnliches, wurden nicht ausreichend mit in die Überlegungen einbezogen. Das hätte erfolgen müssen.
UZ: Wie könnte der Lockdown „gerechter“ gestaltet werden?
Joachim Kerth-Zelter: Ich denke, es geht nicht nur um einen gerechteren Lockdown, sondern es geht darum, welche Maßnahmen neben einem Lockdown erforderlich sind. Das ist zum Beispiel die Frage, kann man es weiter hinnehmen, dass Menschen in Flüchtlingsheimen auf engen Raum zusammenleben? Wir hatten dasselbe Problem bei den Werkvertrags-Arbeitnehmern in der Fleischindustrie, die sich dann infiziert haben. Da wäre es notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, die auch effektiv sind, um dort eine Infektionswelle möglichst auszuschließen.
Das andere ist, dass man am Arbeitsplatz dafür sorgen muss, dass Schutzmaßnahmen ergriffen werden und dass die Arbeitgeber dazu verpflichtet sind, das zu tun. Das sind Maßnahmen, die neben dem Lockdown notwendig sind.
Im Hinblick auf den Lockdown ist unsere Kritik auch, dass letztlich das Arbeiten aufrechterhalten bleibt – ohne dass gesichert ist, dass notwendige Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz ergriffen werden. Zudem ist der Mensch als kulturelles Wesen viel zu wenig im Blickpunkt der Maßnahmen gewesen.