Elektromobilität gilt als Schlüssel zur Zukunft der Autokonzerne. Immer mehr Länder erklären, aus Gründen des Klimaschutzes künftig keine neuen Autos mit Verbrennungsmotor mehr zulassen zu wollen. In deutschen Konzernzentralen versucht man noch, den Wandel auszubremsen. Wie ein kürzlich erschienener Bericht des Internetmagazins „klimaretter.info“ nahelegt, haben deutsche Lobbyisten erneut einen Entwurf der EU-Kommission für die europäische Förderung von Elektroautos entschärft – zum Wohle deutscher Konzerne.
Dem Bericht zufolge wollte sich die EU-Kommission auf der Weltklimakonferenz in Bonn wieder als Vorreiter in Sachen Klimaschutz präsentieren. Ihr Plan habe unter anderem enthalten, Europas Autoindustrie auf verbindliche Klimaziele zu verpflichten. Matthias Wissmann, Chef des deutschen Verbandes der Automobilindustrie (VDA) habe dies mehreren Quellen zufolge verhindert. Wissmann habe den Stabschef von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker angerufen und ihm Instruktionen gegeben, den Vorschlag der EU-Kommission abzumildern, erklärte demnach Greg Archer vom europäischen Dachverband „Transport and Environment“, in dem 51 Organisationen aus 23 Ländern aus dem nachhaltigen Verkehrsbereich zusammengeschlossen sind. Konkret habe Wissmann durchsetzen wollen, dass den Autokonzernen keine Sanktionen drohten, wenn sie die Zielvorgaben für Elektroautos nicht erreichten. Sprecher der EU-Kommission dementierten die Einflussnahme.
Bislang gilt die Flottenregelung: Jeder Autokonzern darf bis 2021 im Gesamtdurchschnitt seiner produzierten Autos einen Ausstoß von 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer nicht überschreiten. Anfang Oktober hatte die Agentur Reuters einen Gesetzentwurf der EU-Kommission öffentlich gemacht, nach dem die europäischen Pkw-Flotten ihren durchschnittlichen CO2-Ausstoß bis 2030 um 25 bis 35 Prozent reduzieren sollen, Lkw sogar um 30 bis 40 Prozent.
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU), der zuvor Energiekommissar und Ministerpräsident von Baden-Württemberg gewesen war, sprach sich schon Ende Oktober beim „Auto-Gipfel 2017“ des „Handelsblatts“ gegen diese Klimaziele aus. Sie würden oft zu ehrgeizig und unrealistisch festgelegt. Später stelle man dann fest, dass diese nur „mit Ach und Krach“ oder gar nicht erreicht werden könnten. Außerdem: „Flottenvorgaben sind eigentlich Planwirtschaft“, sagte er. Und einen bedenklichen Fall von Planwirtschaft sah er in der Diskussion um eine Quote für Elektroautos. Lobbyist Wissmann pflichtete ihm bei.
Hinter den Kulissen der Europäischen Kommission tobt der Konkurrenzkampf der Autokonzerne. Deutsche Konzerne bauen vor allem Premiummodelle mit hohem Spritverbrauch und entsprechend hohem Ausstoß von Kohlendioxid. Um die Flottenvorgaben zu erreichen, bauten sie vor allem auf den Dieselmotor, dessen Absatz aber nach den letzten Skandalen schrumpft. Andere Konzerne bauen vor allem leichtere Wagen mit geringerem Spritverbrauch. Ihnen fällt es deshalb leichter, schärfere Klimavorgaben einzuhalten. Konzerne wie Volvo und Renault setzen schon seit längerem auf Elektro- und Hybridautos, weshalb sie ebenfalls ein Interesse an schärferen Klimavorgaben und einer stärkeren Förderung von Elektroautos haben dürften. So verwundert es nicht, dass Deutschland im Mai im Streit um strengere Abgastests von anderen EU-Ländern überstimmt wurde. Es wird auch klar, weshalb einzelne Länder wie Frankreich die EU-Kommission zu einem ehrgeizigen Klimaschutzvorschlag gedrängt haben. 2013 waren strenge Vorgaben noch durch einen Anruf der Bundeskanzlerin Angela Merkel verhindert worden.
Während die deutschen Lobbyisten angebliche Planwirtschaft in den neuen Vorgaben der EU-Kommission wittern, setzen Konzernvertreter auf andere Formen von staatlicher Planung. Volkswagen-Chef Matthias Müller schlug beim „Autogipfel 2017“ vor, ein Infrastrukturministerium zu schaffen, das den Aufbau neuer Netze für Energie und Information koordiniert. Dass es bei der Elektromobilität nicht vorangeht, liegt für ihn vor allem an den zersplitterten Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und dem Wirtschafts- und Verkehrsministerium. „Wir müssen zu einer Planung kommen, die auch verschiedene Industriebranchen mit einschließt“, sagte er in einem Handelsblatt-Interview. In einer solchen Zusammenarbeit müssten konkrete Pläne entstehen, die dann wirklich verbindlich seien.
Als Vorbild diene ihm das japanische Wirtschaftsministerium MITI, in dem die Kompetenzen so gebündelt seien, wie es Müllers Vorstellungen entspreche. Diese zentrale Planung widerspreche nicht nur den deutschen Vorstellungen von Marktwirtschaft, gibt das Handelsblatt zu bedenken. Sie stünde auch im Widerspruch zum deutschen Föderalgedanken, der den Belangen von Ländern und Gemeinden in vielen Bereichen Vorrang gibt. Doch die notwenige Einführung neuer Stromnetze für Ladestationen nehme auf solche Gepflogenheiten wenig Rücksicht.