Bayern will Bundes-Überwachungsgesetz noch toppen

Lizenz zum Schnüffeln

Von Eva Petermann

Mit seiner Vorlage zu einem neuen Verfassungsschutz-Gesetz werde Bayern „erneut seiner Vorreiterrolle in Sachen innerer Sicherheit gerecht“, rühmt sich Innenminister Joachim Hermann. Vorreiter? Faktisch hat sich die CSU-Landesregierung kurz vor Weihnachten mit diesem Papier noch schnell an den großen Zug des Bundesgesetzes zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung gekoppelt. Dieses war im Herbst gegen heftigen Protest der Opposition vom Bundestag beschlossen worden. In diesem Türöffner der Großen Koalition aus CDU-CSU und SPD erspähten die bayrischen Oberwächter der Sicherheit eine Grauzonen-Lücke.

Zur Erinnerung: Noch 2008 hatte das Verfassungsgericht eine Vorratsdatenspeicherung und den entsprechenden Datenabruf als „ schwerwiegenden und nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG (Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses)“ abgelehnt. Nach der gelungenen Verabschiedung in Berlin fühlte sich die Bayerische Staatsregierung ermutigt, ihren eigenen, lang gehegten Entwurf vorzulegen. Demzufolge dürfte auch der rundum in Verruf geratene bayrische Verfassungsschutz (wie andere Behörden auch) die ab 2017 verbindlich zu speichernden Telefon- und Internetverbindungsdaten direkt und völlig legal abgreifen. Nach den Enthüllungen über die Ausspitzelei durch die amerikanische NSA und andere Geheimdienstskandale gerade in Bayern, wo die Terrororganisation NSU die meisten Morde begehen konnte, eine Atem beraubende Dreistigkeit.

Gab es einen Aufschrei? Kaum. Ist doch die demokratische Öffentlichkeit bereits reichlich beschäftigt mit den täglich neuen Scharfmacher-Vorschlägen aus München zum Asylrecht, zur „Integrationspflicht“ für Geflüchtete, nicht zuletzt zur allgemeinen „Bedrohungslage“. Ziel ist, die demokratische Öffentlichkeit an polizeistaatliche Übergriffe zu gewöhnen.

Keine Frage für die Partei „Die Linke“, dass das CSU-Gesetz „Ein Unding!“ sei – so Landessprecher Xaver Merk auf Nachfrage der „Jungen Welt“. Katharina Schulze, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayrischen Landtag, fand die Vorlage verfassungswidrig. Und die SPD, im Freistaat in der Opposition? Fraktionschef Markus Rinderspacher von der SPD, will das neue Produkt aus dem bayrischen Innenministerium trotz gewisser Bedenken nicht generell ablehnen. Demgegenüber hatte sich sein Parteigenosse, Justizminister Heiko Maas, zuvor recht vehement gegen den bayrischen Lücken-Trick verwahrt. Doch vermutlich wollen sich die blau-weißen Sozialdemokraten angesichts der seit den grauenvollen Terroranschlägen von Paris allseits zitierten „Bedrohungslage“ nicht vorwerfen lassen, sie würden diese ignorieren.

Wie zur Bekräftigung besetzten nur zirka vierzehn Tage später, in der Silvesternacht, schwer bewaffnete Polizisten den Münchner Hauptbahnhof und den Bahnhof in Pasing. Trotz intensivster Ermittlungen jedoch konnten auch diesmal die von „befreundeten“ Geheimdiensten gelieferten Informationen über einen Selbstmordanschlag „nicht konkretisiert werden“ (so der Münchner Polizeipräsident Hubertus Andrä). Die Sache wird wohl ebenso im Nebel verlaufen wie in Hannover, wo wegen Anschlagsdrohungen spektakulär ein Fußballspiel abgesagt wurde. Das ist genau die Angstmacher-Kulisse, die das Klima schaffen soll für die vorsorgende, weitere Abschaffung von Grundrechten.

Im selben Gesetz sollen übrigens dem V-Schutz scheinbar doch auch Grenzen gesetzt werden – bei der Auswahl des Personals. Es listet eine Reihe von „klaren Rahmenbedingungen für den Einsatz von V-Leuten“ auf. Verboten soll künftig sein, die Spitzel-Tätigkeit zum Hauptberuf zu machen. Auch sollen weder Minderjährige noch Nazi-Aussteiger als V-Leute rekrutiert werden dürfen, Straftäter nur bedingt. Wie beruhigend! Da fehlt nur noch die Quotierung. Wenn die neuen Agenten dann auch noch den bayrischen Fragebogen zur Überprüfung der Verfassungstreue ausfüllen, dann, lieb‘ Bayernland, magst ruhig sein.

Im Ernst: Nach allem, was wir inzwischen über das Oktoberfest-Attentat wissen und was im NSU-Prozess tagtäglich je länger, desto unappetitlicher ans Licht kam, soll alles nur eine Frage des besseren Personals gewesen sein? Die bayrischen Grünen warfen immerhin die Frage auf, ob V-Leute denn überhaupt irgendwelchen Nutzen bringen oder vielleicht doch nur Schaden anrichten. Solcherart Fragen hat die demokratische Öffentlichkeit bereits seit längerem beantwortet: Dieser Inlandsgeheimdienst ist nicht reformierbar. Er ist abzuschaffen. Die CSU hat nichts anderes vor, als den bis zur Halskrause in Skandalen verstrickten sogenannten Verfassungsschutz mit diesem Vorweihnachtsgeschenk auch noch zu belohnen – mit einer erweiterten Lizenz zum Spitzeln und Schnüffeln. „Bedrohungslage“? Das neue Gesetz selbst ist eine Gefahr – für die Demokratie.

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"Lizenz zum Schnüffeln", UZ vom 8. Januar 2016



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