Neue Aufgaben für Parteitag nach Rücktritt der Ko-Vorsitzenden

Linkspartei wählt neue Führung

Nun der nächste Austritt: Johanna Scheringer-Wright, langjährige Agrarpolitikerin der Linkspartei, gibt ihr Parteibuch ab. Sie gehört zu einer Reihe von bekannten Gesichtern, die den Bruch mit der aktuellen Spitze durch den Austritt besiegeln. Ihren Schritt begründet sie unter anderem so: „Susanne Hennig-Wellsow, Bodo Ramelow und die ihnen zur Seite stehenden Reformer drehen die Partei ‚Die Linke‘ komplett um. Dass sich viele ihrer Aussagen und Vorschläge mit dem Programm der Partei ‚Die Linke‘ nicht decken, ist ihnen bewusst. Ihre öffentlichen und medienwirksamen Ergüsse zum Beispiel zur Frage der NATO zielen doch schon seit Jahren darauf ab, das Erfurter Programm zu relativieren beziehungsweise zu ändern und das Gesicht der Partei dem Mainstream in Deutschland anzupassen. Das große Finale bereiten sie jetzt offensichtlich für den nächsten Parteitag vor. Doch selbst wenn es den Reformern unter Führung von Hennig-Wellsow, Schindler, Ramelow und andere nicht gelänge, das Parteiprogramm in ihrem Sinne zu ändern, wäre das für ihre politische Praxis egal.“

Keine zwei Wochen, nachdem sie das geschrieben hat, tritt die ebenfalls aus Thüringen stammende Ko-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow zurück. Die Hauptstadtpresse interpretiert die öffentlichen Vorwürfe über falschen Umgang mit sexuellen Grenzüberschreitungen als Ursache. Dabei fand ihr Austritt Stunden vor der dazu anberaumten Parteivorstandssitzung statt, welche entsprechende Schlussfolgerungen beschlossen hat. In Hennig-Wellsows schriftlicher Begründung heißt es hingegen: „Eine programmatische, strategische und kulturelle Erneuerung der Linken ist nötig, wir wissen es seit Jahren. Ich habe das mir Mögliche versucht, dazu beizutragen. Wir sind aber auf diesem Weg bisher nicht so weit gekommen, wie es meiner Ansicht nach nötig wäre.“

Der eilig zusammengekommene Parteivorstand beschloss neben den Anti-Sexismus-Maßnahmen auch, dass die zweite Ko-Vorsitzende Janine Wissler erst einmal alleine führen soll, aber der für Ende Juni einberufene Parteitag den gesamten Vorstand mitsamt der Vorsitzenden neu wählen soll. Ursprünglich sollte dieser Parteitag über programmatische Fragen diskutieren. Nun steht also „Erneuerung“ mitsamt Neuwahlen auf der Tagesordnung.

Dabei droht vom Programm gegen Hartz-IV und für Friedenspolitik sowie vom Pluralismus, mit dem die Partei seit ihrer Fusion aus PDS und WASG angetreten ist, wenig übrig zu bleiben. Nachdem der Wagenknecht-Flügel aus der Aktivität gedrängt wurde, spielen sich bewegungsorientierte Aktivisten und regierungsfixierte Funktionäre Bälle zu – mit dem Effekt, die linkssozialdemokratische Ausrichtung der Partei zu brechen. Über einen vielfältig wirkenden Markt der Ideen geht es in Richtung programmatischer Erneuerung und damit weg von den bisherigen Wählern, die ihr Kreuz links der SPD machten.

Anstelle von Forderungen, für die Menschen auf die Straße gehen und die von der Linkspartei dann als parlamentarischem Arm in die Institutionen getragen werden könnten, zu kämpfen (Stichwort: Mietenpolitik), werden auf Netzwerktreffen und in Vorständen Ideen ausgeklüngelt, welche dann einem noch zu erschließenden Klientel schmackhaft gemacht werden sollen.

Mit Blick auf den Parteitag erklärte Wissler, es gehe nun um die Partei. Da mag sie recht haben. Mit Blick auf die Bundespolitik ist damit auch klar: Es wird darum gehen, ob es in Zukunft eine parlamentarische Kraft gibt, die sich gegen Kriegspolitik und Sozialkahlschlag positioniert. Stattdessen kursieren öffentliche Briefe mit Gerüchten und Anschuldigungen. Sollte sich die Linkspartei weiterhin öffentlich zerlegen, droht die Abstrafung an der Wahlurne. Fährt sie ihren Anpassungskurs weiter, wird sie sich als politische Kraft überflüssig machen.

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"Linkspartei wählt neue Führung", UZ vom 29. April 2022



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