Thüringens Gebietsreform sorgt für Gerangel im Wahlkampf

Linkspartei im Reformstreit

Von Roman Stelzig

Eine Gebietsreform in Thüringen scheint nötig, weil in den blühenden Landschaften, die Helmut Kohl versprochen hat, karge Früchte geerntet werden: Der Abbau von Industrie und Arbeitsplätzen lässt die Bevölkerung schwinden und die großzügigen Geldgeschenke, die die Bundesregierung an Konzerne und Baken verteilt, fehlen in Kommunen, Gemeinden und Ländern. Die Lösung des bürgerlichen Staates besteht wie üblich darin, selbst geschaffenes Elend besser zu verwalten. Nach Gebietsreformen in Sachsen (2008) und Mecklenburg-Vorpommern (2011) sollen auch in Thüringen die 17 Kreise und sechs kreisfreien Städte auf acht Landkreise und vier kreisfreie Städte verringert werden, um Kosten zu sparen und die Verwaltung effektiver zu gestalten.

Beschlossen wurde das im Koalitionsvertrag von Linkspartei, SPD und den Grünen 2014.

Nun herrscht in Thüringen Streit um diese Reform der Verwaltung. Die jüngste Meldung dazu lautet, dass SPD-Politiker Harald Zanker zum Staatssekretär für die Gebietsreform gewählt werden soll. Weil seine Haushaltsführung als Landrat des Unstrut-Hainich-Kreises 2014 einem Zwangsverwalter unterstellt wurde, steht er in der Kritik der Opposition. Seiner Partei diente er als treuer Befürworter der Reform, nachdem sich vier SPD-Landräte im August dagegen ausgesprochen hatten. Die Einrichtung des neuen Amtes deutet auch auf Risse in der Regierungskoalition. Linke-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow sprach von einem Misstrauensvotum gegenüber SPD-Innenminister Holger Poppenhäger. Dieser kann sich mit der Wahl seines Genossen gegen die Versuche behaupten, seine Befugnisse einzuschränken.

Ein Vorschaltgesetz legte 2016 Einwohnerzahlen und Flächen der zu bildenden Kreise fest. 2019 sollte die neue Gliederung des Landes abgeschlossen sein. Doch daraus wurde nichts. Nach Diskussionen in Land und Kreisen und einer Klage der CDU-Landtagsfraktion erklärte das Thüringer Verfassungsgericht im Juli die Gebietsreform zwar grundsätzlich für möglich, das Vorschaltgesetz aber aus formalen Gründen für nichtig. Wirtschaftliche Verflechtungen sowie regionale und lokale Besonderheiten müssten bei der Neugliederung berücksichtigt werden.

Umgesetzt wird sie nun bis 2021, wie ein Koalitionsausschuss am 16. August entschieden hat. Die neuen Gesetze sollen bis August 2019, also vor der Landtagswahl im September, verabschiedet werden. Der Haken dabei: Die neuen Landräte werden zwar im Juni 2018 gewählt, sollen aber nur drei Jahre ihrer üblichen sechsjährigen Regierungszeit im Amt bleiben.

Nicht nur das stößt auf Kritik. Die Ergebnisse einer Studie des ifo-Institutes Dresden führten im November 2016 Wasser auf die Mühlen derer, die die Koalition scheitern sehen wollen. Darin wird festgestellt, dass Gebietsreformen, wie sie in anderen Ländern verwirklicht wurden, weder Kosten sparen noch zu einer effizienten Verwaltung führen. Ein Grund dafür ist, dass das meiste Geld der Landkreise für Sozialleistungen ausgegeben wird, die sich mit einer Zusammenlegung von Kreisen nicht verringern. Auch Anträge werden nicht schneller bearbeitet, wenn sich der Verantwortungsbereich einer Behörde erhöht. Als negative Folge der Reformen beschreibt die Studie eine geringere Bürgernähe der Verwaltung.

Man mag es für Zufall oder einen Schelmenstreich halten, dass solche Erkenntnisse erst gewonnen werden, wenn sie die Politik eines von der Linkspartei regierten Landes betreffen. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, wo die CDU an der Regierung beteiligt ist, lagen die Ergebnisse anscheinend noch nicht vor. Dass nun ausgerechnet auch die Industrie- und Handelskammer Erfurt der Koalitionsregierung Schützenhilfe bietet, indem sie die Verschiebung der Gebietsreform bedauert und anmahnt, „die Wirtschaft brauche zukunftsfähige und effektive Strukturen“, macht die Gemengelage in Thüringen für die Linkspartei nicht weniger ironisch. Ihre klassische Wählerschaft dürfte sich damit kaum angesprochen fühlen.

Und darin liegt wohl ihr größtes Problem. Es ist offenkundig, dass der Streit um die Gebietsreform in Thüringen zu einem Thema des Wahlkampfes gemacht wird. Eine Verwaltung von Missständen wird die Bedürfnisse der Menschen kaum befriedigen, sondern durch längere Wege und Bearbeitungszeiten viele Probleme erst sichtbarer machen. Kritik von Bürgern und von Gemeinde- oder Landräten, auch der eigenen Partei, nutzen bürgerliche Parteien wie die CDU für sich, und folgt man den Meinungen, die in Kommentaren von Nachrichtenportalen geäußert werden, haben sie damit Erfolg. Anscheinend fühlen sich viele Thüringer von der Koalitionsregierung in ihren Interessen nicht vertreten.

Verursacht hat die Probleme aber nicht die Linkspartei, sondern Regierungen, die Kapitalinteressen vertreten auf Kosten von öffentlicher Wohlfahrt und Infrastruktur, was sich in Kommunen und Gemeinden niederschlägt. Doch wer mit dem Teufel tanzt, darf keine Fairness erwarten. Der Thüringer Streit zeigt, was „Mitgestalten“ im Kapitalismus heißt: Eine Gebietsreform, wo der Kampf um Umverteilung angebrachter wäre.

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"Linkspartei im Reformstreit", UZ vom 25. August 2017



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