Die Berliner CDU fordert ein härteres Durchgreifen

Links ist im Visier

Von Nina Hager

Die Zeitung „Die Welt“ macht mobil: „Linke Gewalt“ eskaliere in Berlin. Man reibt sich verwundert die Augen. Aufhänger eines Beitrags, der am Montag in der Zeitung erschien, waren die erneuten Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und der Polizei in der Rigaer Straße unweit der Frankfurter Allee, die es Ende Mai gab. Brandsätze und Steine flogen, Polizisten wurden verletzt. Das wird dem Anliegen der Bewohner und Nutzer der autonomen Hausprojekte in der Rigaer Straße nun gerade nicht nutzen und auch nicht den anderen Anwohnern, die im Augenblick die Sorge haben, dass ihr Kiez durch den Neubau von Wohnungen „aufgewertet“ wird und sie bald die eigene Miete nicht mehr stemmen können. Unter anderem will Bauunternehmer Christoph Gröner mit seinem Unternehmen, der CG Gruppe, in dem Friedrichshainer Kiez einen Komplex mit Wohnungen bauen, u. a. mit mehr als 100 Mietwohnungen für elf bis 13 Euro pro Quadratmeter.

Der Konflikt schwelt jedoch schon lange, eskalierte im vergangenen Jahr, als der damalige Innensenator Henkel (CDU) immer wieder Polizei zur Belagerung und Durchsuchung sowie letztlich Teilräumung des autonomen Hausprojektes in der Rigaer Straße 94 schickte. Als die Polizei dort im vergangenen Jahr mit 500 Beamten anrückte, herrschte im Kiez Ausnahmezustand. Die Räumung, die im Interesse eines dubiosen Eigentümers erfolgte, der das Haus teuer von einem anderen Eigentümer gekauft hatte und nun – endlich – seine Erwartungen an eine ordentliche Rendite umsetzen wollte, war, wie später ein Gericht feststellte, rechtswidrig. Den Schriftzug „Rigaer 94“ konnte man damals auch außerhalb von Berlin-Friedrichshain an vielen Häuserwänden lesen. Es ging um mehr als nur ein autonomes Hausprojekt.

Doch auch unter dem neuen Senat scheint der vor allem von Politikern der Linkspartei und der Grünen, aber auch vielen Bewohnern des Kiezes, geforderte Dialog nicht voranzukommen. Der Berliner SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber fordert mehr Polizeipräsenz rund um die umstrittenen Häuser und die Einbindung der Anwohner sowie Gespräche mit der Sympathisanten-Szene der Linksautonomen. Das Innenressort sieht das problematisch, will auf verstärkte Polizeipräsenz vor Ort nicht verzichten und Straftaten konsequent verfolgen, zugleich aber einen Dialog mit „den friedlichen Anwohnern“ und dem Bezirk führen. Warum nicht einen Dialog mit allen, auch wenn das schwierig erscheint?

Am Montag hieß es in „Die Welt“, dass die rot-rot-grüne Landesregierung „gegenüber linksradikaler Gewalt“ insgesamt eine „laxe Haltung“ zeige. Der Eindruck wurde dadurch erweckt, dass diese in der Rigaer Straße Gesetzlosigkeit zulasse und es bald noch mehr „gesetzlose Gebiete“ in der Hauptstadt geben könnte. Anwohner der Rigaer sind dagegen empört, wenn einige Politiker nun direkt oder indirekt behaupten, die Rigaer sei eine No-Go-Area. Die CDU, die in der vergangenen Legislaturperiode Berlin gemeinsam mit der SPD regierte und in dieser Zeit den Innensenator gestellt hatte, der die Eskalation vorantrieb, fordert jetzt „einen umfassenden Ansatz“, einen „Dreiklang aus Präventionsmaßnahmen, hartem Durchgreifen und Aussteigerprogrammen“, möglichst „im breiten Konsens der demokratischen Parteien“. Der Berliner CDU-Generalsekretär Stefan Evers wurde in „Die Welt“ zitiert: Den Schmusekurs und das Schweigen könne die linksradikale Szene nur als Einladung verstehen, die Gewalt zu verstärken. Nach Meinung von FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja „legt der Senat einen Schutzmantel über … Chaosextremisten“.

Was er tatsächlich will, machte der Evers kurz nach den erneuten Ausein­andersetzungen in der Rigaer Straße deutlich. In einem Post schrieb er in Reaktion auf einen „Morgenpost“-Artikel, in dem über diese aktuellen Auseinandersetzungen in der Rigaer Straße berichtet wurde, auf seiner Facebook-Seite: „Widerwärtiges Gesindel! Ich hoffe, der Innensenator erwacht endlich aus seinem politischen Koma und räuchert dieses Nest von Linksfaschisten aus!“ Mit der Linkspartei sitze „der verlängerte Arm der Hausbesetzer inzwischen am Senatstisch“. „Da packt einen die Wut!“ Nachdem ein Sturm der Kritik über ihn hereinbrach ob „der AfD-lastigen Wortwahl“, ergänzte er den Satz um die Formulierung „mit allen Mitteln des Rechtsstaats“. Im Kommentaren wurden ihm „NS-Sprech“ sowie Aufruf zum Mord vorgeworfen. Andere Kommentare von Leserinnen und Lesern in den bürgerlichen Medien sind dagegen voller Hass. Evers wird zugestimmt und ein hartes Durchgreifen gefordert.

Doch es geht offenbar um weitaus mehr: Der „Opposition“ im Berliner Abgeordnetenhaus gehen zum einen die Vorschläge und Maßnahmen des Berliner Senats zur „Inneren Sicherheit“, die diese kürzlich präzisierte, nicht weit genug. Darin wird u. a. auf Prävention und Überzeugungsarbeit gesetzt. Vorgesehen sind mehr Personal bei der Polizei und eine bessere technische (und waffentechnische) Ausrüstung, ein gemeinsames Lagezentrum zum Beispiel mit BVG, Bahn, Vattenfall und Wasserbetrieben, um bei Anschlägen oder Katastrophen die schnelle Kommunikation zu gewährleisten. Vorgeschlagen wird – gemeinsam mit Bund und Brandenburg – in Brandenburg ein gemeinsames Einsatztrainingszentrum zu schaffen.

Man behauptet zudem, dass der Senat mit Linken viel zu freundlich umgehe. In „Die Welt“ hieß es dazu: „Im 250 Seiten starken Koalitionsvertrag taucht das Wort Linksextremismus nicht ein einziges Mal auf. Dafür wird dem Antifaschistischen Pressearchiv und anderen Einrichtungen, die Gewaltandrohungen der ultrarechten Szene gegen die politische Linke dokumentieren, versprochen, sie ‚dauerhaft institutionell’ abzusichern.“ Gemeint sind also nicht Steinewerfer u. ä. Es geht also offenbar um etwas ganz anderes. Antifaschismus und antifaschistische Dokumentationszentren sind unerwünscht. Und jeder Protest, an dem sich Linke – gleich welcher Couleur – beteiligen, ist im Visier.

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"Links ist im Visier", UZ vom 9. Juni 2017



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