Teilnehmer der Weltsozialforums in Montréal ziehen kritische Bilanz

Links Extremisten, rechts Opportunisten

Von Bernd Müller

Das Weltsozialforum, das vor zwei Wochen im kanadischen Montrèal zu Ende ging, ist von deutlich weniger Menschen besucht worden als in den Jahren zuvor. Laut Angaben der Hilfsorganisation „Brot für die Welt“ nahmen etwa 30 000 Aktivisten an der sechstägigen Veranstaltung teil. Kanadische Medien schätzten die Teilnehmerzahl sogar nur auf 15 000.

Die Organisatoren hatten zu verhindern gesucht, ein blasser Abklatsch der Treffen im brasilianischen Porto Alegre zu Beginn des Jahrtausends zu werden. Damals kamen etwa 100000 Globalisierungskritiker unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“. Gewerkschafter, Ureinwohner, Menschenrechtler, Umweltaktivisten und Pazifisten diskutierten über eine sozial gerechte und ökologisch verträgliche Globalisierung.

„Wenn ich mit gewöhnlichen Einwohnern von Montréal spreche, ist keiner über das Forum auf dem Laufenden“, sagte Henry Mintzberger, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der McGill-Universität in Montréal, laut Nachrichtenagentur AFP. Nur wenige würden es überhaupt kennen. Den Schweizer Skiort Davos, in dem das Weltwirtschaftsforum stattfindet, als dessen Gegenveranstaltung sich das 2001 gegründete Weltsozialforum versteht, kenne dagegen jeder.

Die geringe Teilnehmerzahl sei kein Zeichen dafür, „dass das Weltsozialforum an Kraft verliert“, sagte Carminda MacLorin vom Organisationsteam laut Nachrichtenagentur. Sie verwies darauf, dass das Forum zunehmend auf regionale Treffen rund um die Welt setze. Kritiker hatten die hohen Reisekosten für Montréal beklagt, zudem hatten auch die kanadischen Behörden zahlreichen Gästen nicht rechtzeitig ein Visum ausgestellt, insbesondere solchen aus Afrika und Asien.

So wurde dann auch von einer aus Guinea stammenden Teilnehmerin des Eröffnungsmarsches kritisiert, dass die meisten Teilnehmer aus Kanada und anderen reichen Ländern kämen. „Ich sehe hier nicht viele Afrikaner“, sagte Fatouma Chérif von der westafrikanischen Frauenrechtsgruppe Wopod. „Hier gibt es nur Teilnehmer aus den Ländern des Nordens, und ich sehe nicht, wie das ein Weltsozialforum sein kann.“

Raphael Canet, Koordinator des Forums, zog kritisch Bilanz. Er hob hervor, dass die Bewegung der Empörten (Indignados) oder von „Occupy Wallstreet“ sich dem Forum nicht zugewandt hatten, sondern auf die Straße gegangen seien. Mintzberg machte deutlich, dass die Politiker von Davos im Gegensatz zu ihren Kritikern auch bei allen Meinungsverschiedenheiten an einem Strang ziehen würden. Bei den WSF-Aktivisten herrsche dagegen die Einstellung vor: „Die Leute auf meiner Linken sind Extremisten und die rechts von mir sind Opportunisten“.

Der Soziologieprofessor An­dré Drainville von der Universität Laval in Québec sprach gegenüber der Nachrichtenagentur AFP von ständigen „Spannungen zwischen den Pragmatikern und denjenigen, die im WSF in erster Linie eine soziale Bewegung sehen“. Dieser Konflikt lässt sich unter anderem in einer Stellungnahme der kirchlichen Entwicklungsorganisation „Brot für die Welt“ finden. Dort heißt es beispielsweise, dass die Weltsozialforen bisher vor allem von großen Organisation „zur Selbstdarstellung ihrer Arbeit genutzt“ wurden – mit der Folge, dass andere Gesellschaftsentwürfe zum Kapitalismus kaum noch diskutiert werden. Die Auseinandersetzungen für „eine bessere Welt“ seien konkreter geworden und die „großen Entwürfe von Gesellschaftsveränderung, wie sie noch zu Beginn der Sozialforen dominierten“, würden nicht mehr gebraucht.

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"Links Extremisten, rechts Opportunisten", UZ vom 26. August 2016



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