Spanien: Kandidatinnen des „Podemos“-Spektrums zu Bürgermeisterinnen gewählt

Linke Frauen an der Regierung

Von Pierre Poulain

Für spanische Verhältnisse ist das durchaus eine Sensation: Die zwei größten Städte, die Hauptstadt Madrid mit 3,2 Millionen Einwohnern und die zweitgrößte Stadt Barcelona mit 1,6 Millionen, werden seit dem vergangenen Samstag erstmals in der Geschichte von zwei Frauen als Bürgermeisterinnen regiert.

Und dann auch noch von Frauen, die mit linken Bündnissen aus der Bewegung der „Indignados“ („Die Empörten“) und der daraus entstandenen Partei „Podemos“ sowie vielfältigen weiteren globalisierungs- und kapitalismuskritischen Linksvereinigungen einschließlich der „Vereinigten Linken“ (Izquierda Unida – IU) und der Kommunisten (PCE) bei den Kommunalwahlen am 24. Mai stärkste bzw. zweitstärkste Kraft wurden.

In Madrid gelang es der „roten Richterin“ Manuela Carmena, 71 Jahre alt und parteilos, mit dem erst am 6. März 2015 geschaffenen Bündnis „Ahora Madrid“ („Madrid jetzt“) mit 32 Prozent der Stimmen den zweiten Platz zu erreichen (obwohl es hier zu einer Spaltung innerhalb der Linken gekommen war und ein Teil der IU eine eigenständige Kandidatur unterstützte). Da sich die „Sozialisten“ der PSOE nach einigem Zögern entschieden, die Kandidatur von Frau Carmena an die Stadtspitze zu unterstützen, konnte die in Madrid seit 24 Jahren regierende rechtskonservative „Volkspartei“ (PP) des gegenwärtigen spanischen Regierungschefs Rajoy abgewählt werden. Carmena erhielt die Stimme von 29 der insgesamt 57 Stadtverordneten.

Die linke Richterin a. D. hatte wohl aus Altersgründen lange gezögert, dem Wunsch von Podemos und anderen Linken nachzukommen und den Spitzenplatz auf der Kommunalwahlliste zu übernehmen. Sie entschied sich dann aber doch dafür, als bekannt wurde, dass die Konservativen eine rechte „Hardlinerin“ an die Spitze stellen wollten.

Manuela Carmena gehört zu der Generation spanischer Linker, die noch im Widerstand gegen die Franco-Diktatur ihre ersten politischen Schritte taten. In Studentenzeiten sympathisierte sie mit der damals illegalen Kommunistischen Partei (PCE) und war an der Verbreitung von deren illegaler Zeitung „Mundo Obrero“ beteiligt. Nach dem Studium gründete sie als Anwältin eine Gemeinschaftskanzlei, die auf die Vertretung von Arbeitern und Angestellten in Arbeitsrechtskonflikten spezialisiert war, aber auch die Verteidigung von Kommunisten und anderen Linken gegenüber der Franco-Justiz übernahm. 1977 kam es zu einem folgenschweren Zwischenfall: ein Trupp der Falange (Franco-Partei) überfiel zusammen mit Soldaten die Kanzlei, fünf KollegInnen wurden getötet, vier weitere verletzt. Manuela Carmena entging dem Massaker, weil sie an diesem Tag nicht anwesend war. Später engagierte sie sich insbesondere im Kampf gegen Korruption und „Trinkgelder-Praxis“ in der Justiz und gegen Polizeigewalt und polizeiliche Übergriffe. „Ich möchte das Bindeglied zwischen einer alten Demokratie und jenen sein, die das Repräsentativ-Modell ändern möchten“, erklärte sie in einem Interview zur Amtsübernahme. Sie unterstrich dabei ihre Orientierung auf den Versuch einer „basisdemokratischen“ Amtsführung in der Großstadt Madrid, was sicher keine leichte Aufgabe sein dürfte.

Von ganz anderer Statur ist – bei aller Gemeinsamkeit in den politischen Grundeinstellungen – die 41-jährige Ada Colau, die mit dem von ihr angeführten Bündnis „Barcelona Comu“ („Barcelona gemeinsam“) bei den Kommunalwahlen stärkste Kraft geworden war und am 13. Juni an die Stadtspitze der zweitgrößten Großstadt Spaniens gewählt wurde.

Sie ist eine „Aktivistin“ der Bewegung gegen Immobilienspekulation und Zwangsräumungen. Ihre ersten politischen Aktivitäten entwickelte sie 2003 bei Demonstrationen gegen den Golf- und Irak-Krieg der USA. Ab 2006 gehörte sie zu denen, die die wilde Spekulationswelle mit Grundstücken und Häusern, die zum Auslöser für die Krise 2008/9 wurde, nicht nur mit Worten kritisieren, sondern auch mit Aktionen bekämpften wollten. Dazu gehörte die Besetzung leerstehender Häuser und Blockadeaktionen gegen die Exmittierung von kleinen Hausbesitzern oder Mietern, die mit der Abzahlung ihrer Kredite in Rückstand geraten waren. 2009 gründete sie zusammen mit anderen Aktivisten die „Plattform der Opfer der Immobilienkredite“, die mit solchen Aktionen in gut 1600 Fällen das Auf-die-Straße-Setzen von schuldenüberlasteten Hausbesitzern und Mietern durch Gerichtsvollzieher und Polizei verhinderte oder mindestens erheblich verzögern konnte. Logischerweise gehörte Ada Colau ab 2011 zu den Aktivistinnen der Bewegung der „Indignados“, die in ganz Spanien öffentliche Plätze besetzten und gegen die Zwangssparpolitik der Regierungen protestierten. Ada Colau sieht sich als Teil einer „demokratischen Revolution“, die sich derzeit in Spanien vollzieht, wie sie der französischen Tageszeitung „Le Monde“ sagte. „Die großen Parteien, die in der Korruption baden, erleben eine schwere Legitimationskrise“, stellte sie fest. Doch mit der EU-Wahl 2014 habe ein neuer Wahl-Zyklus begonnen, bei dem die Menschen ihren Wunsch zum Ausdruck brachten, „Politik auf andere Weise zu machen“.

Beide Frauen haben angekündigt, dass sie diesem Wunsch Rechnung tragen wollen. Zum Beispiel, indem sie ihre Gehälter auf 2 200 Euro monatlich absenken, während ihre Vorgänger noch das Fünffache beansprucht hatten. Oder indem die Stadtbediensteten statt mit Dienstfahrzeugen künftig mit dem öffentlichen Nahverkehr oder dem Fahrrad zur Arbeit kommen. Vor allem aber wollen sie im Rahmen des Möglichen für mehr praktizierte soziale Gerechtigkeit wirken, die Situation der Verarmten und Ausgegrenzten verbessern, Zwangsräumungen verhindern und für bezahlbare Hauspreise und Mieten sowie Strompreise tätig werden.

In ganz Spanien waren am letzten Samstag die 8 100 Stadt- und Gemeinderäte zu ihren konstituierenden Sitzungen zusammengetreten. Das Ergebnis war vor allem für die regierende rechtskonservative PP ein Fiasko. Stand sie bisher in 35 von 52 Provinzhauptstädten an der Spitze, so verlor sie nun in fast der Hälfte die Führung, neben Madrid auch in Valencia, Sevilla, Saragossa, Cadiz und Palma de Mallorca. Von den 10 größten Städten stellt die PP nur noch in zweien den Bürgermeister, nämlich in Malaga und Murcia.

Allerdings ist dabei nicht zu vergessen, dass die PP trotz der schweren Verluste infolge ihrer rigorosen, von den EU-Zentralen diktierten rigorosen Spar- und Privatisierungspolitik landesweit noch immer stärkste Partei blieb und die „Sozialisten“ der PSOE ebenfalls mit Verlusten, allerdings geringeren, landesweit den zweiten Platz halten konnten. Die spannende Frage, die in Spanien nun ansteht, lautet, ob es den Bündnissen der „radikalen Linken“ nach den Erfolgen bei den Kommunal- und Regionalwahlen, die nicht ganz das erhoffte Ausmaß erreichten, gelingen wird, eine weiter ansteigende linke Dynamik bis zu den Parlamentswahlen zu entwickeln, die voraussichtlich im November oder Dezember 2015 abgehalten werden.

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"Linke Frauen an der Regierung", UZ vom 19. Juni 2015



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