„Inflationsausgleichsgesetz“ nennt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) seinen neuesten Vorstoß zur Umstrukturierung der Einkommensteuer. Mit einem echten Ausgleich der rapide ansteigenden Preise und Lebenshaltungskosten hat das Vorhaben jedoch nichts zu tun. Es handelt sich vielmehr um ein Steuersenkungsprogramm, von dem vor allem Spitzenverdiener profitieren. Kernstück des Gesetzes ist die Verschiebung der sogenannten „Tarifeckwerte“. So soll der Grundfreibetrag im Jahr 2023 um 285 Euro steigen, zugleich wird die Schwelle zum Spitzensteuersatz um satte 3.375 Euro angehoben. Nach Aussagen des „Sozialverbands Deutschland“ (SoVD) würden 70 Prozent der daraus resultierenden Entlastungen auf die bestverdienenden 30 Prozent der Gesellschaft entfallen. Der SoVD-Vorsitzende Adolf Bauer sprach von einem „Schlag ins Gesicht für Rentnerinnen und Rentner, Geringverdienende sowie viele andere Menschen“ und forderte dringend benötigte Hilfen für die unteren und mittleren Einkommen.
Während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dem Plan aus dem Bundesfinanzministerium mit „grundsätzlichem Wohlwollen“ begegnet, äußern die kommunalen Spitzenverbände Kritik. Der „Deutsche Städtetag“ warnt davor, dass das „Inflationsausgleichsgesetz“ die Kommunen in den kommenden zwei Jahren rund 4,2 Milliarden Euro kosten wird. Die Städte und Gemeinden erhalten 15 Prozent von den Einnahmen aus der Einkommensteuer. Dieser Gemeindeanteil wurde im Jahr 1970 eingeführt, um die Abhängigkeit der Kommunen von der extrem konjunkturabhängigen und schwankenden Gewerbesteuer zu verringern. Im Jahr 2021 machte die Einkommensteuer mehr als 35 Prozent der kommunalen Steuereinnahmen aus. Eine Schwächung dieser verlässlichen Einnahmequelle würde die Schieflage der ohnehin unterfinanzierten Städte und Gemeinden weiter verstärken. Für das laufende Jahr rechnet der „Deutsche Städtetag“ mit einem Gesamtdefizit von 5,8 Milliarden Euro. Schon ohne den Lindner-Plan werden die „Kommunalhaushalte durch Defizite, real sinkende Investitionen und einen Vermögensverzehr gekennzeichnet sein“, wie die Präsidenten der kommunalen Spitzenverbände gemeinsam erklärten.
Um notwendige Ausgaben – insbesondere für den Klimaschutz und den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) – stemmen zu können, fordern die Kommunen eine dauerhaft bessere Finanzausstattung und einen größeren Anteil am Steueraufkommen. Das „Inflationsausgleichsgesetz“ bewirkt das Gegenteil. Wird es beschlossen, sind die Folgen absehbar: steigende Defizite, mehr Privatisierungen und ein weiterer Raubbau an der Daseinsvorsorge. Die Steuersenkungen für Besserverdiener würden dann mittelbar von den Menschen finanziert, die verstärkt auf die kommunale Infrastruktur angewiesen sind. Wer wohlhabend ist, benötigt keinen städtischen Wohnungsbau, keine öffentlichen Sportplätze, Bibliotheken und Schwimmbäder, keine bezahlbaren Kita-Plätze und keinen ÖPNV. Diese Leistungen sind aber wichtig für die große Mehrheit der Gesellschaft, die von Lindners Steuersenkungsplänen nur wenig oder gar nicht profitiert. Der behauptete „Inflationsausgleich“ entpuppt sich bei näherer Betrachtung als reine Klientelpolitik, die Bund, Länder und Kommunen allein im kommenden Jahr rund 10 Milliarden Euro kosten wird. Vorangetrieben wird sie ausgerechnet von dem Minister, der eine Anschlusslösung für das 9-Euro-Ticket für „nicht finanzierbar“ hält und die entsprechenden Forderungen zuletzt als Ausdruck einer vermeintlichen „Gratismentalität“ verdammte.