„Liebknecht kommt!“

Der folgende Text stammt aus der Broschüre „Die rote Fahne über dem Braunschweiger Schloss“. Die Erinnerungen des Kommunisten Hermann Wallbaum erschienen 1978 anlässlich des 60. Jahrestages der Novemberrevolution in Braunschweig. Die DKP Braunschweig hat diese Broschüre wieder aufgelegt.

Hermann Wallbaum war aktiver Teilnehmer der Novemberrevolution und seit ihrer Gründung Mitglied der KPD, Betriebsrat bei der Braunschweiger Maschinen-Anstalt, Vorsitzender des Arbeitslosenausschusses in Braunschweig, Organisationssekretär der KPD im Unterbezirk Braunschweig, Funktionär im Roten Frontkämpferbund (RFB). Durch die Faschisten wurde er verfolgt und musste nach Holland emigrieren. Nach der Besetzung Hollands geriet er in ihre Hände und kam nach Mauthausen. Nach der Befreiung und der Zerschlagung des Faschismus wurde Hermann Wallbaum Funktionär der KPD in Braunschweig und durch die englische Militärregierung zum 2. Bürgermeister Braunschweigs ernannt. Auch er wurde in der Adenauer-Ära wieder verfolgt, saß – ohne Prozess – in Untersuchungshaft in Braunschweig und Karlsruhe. Später wurde er Vorsitzender der VVN in Braunschweig,war 1968 Mitglied des Konstituierungsausschusses der DKP in Braunschweig und Funktionär der DKP.

Im 3. November 1918 fand eine große Protestversammlung auf dem Leonhardtplatz statt, die vom Spartakus initiiert war. August Merges gab die Losungen aus: „Nieder mit dem Krieg! Es lebe die Revolution! Jagt eure Bedrücker zum Teufel! Gewehr bei Fuß! Seid bereit!“

Am Vortag war von Arbeiterjugendlichen in den Straßenbahnen das Gerücht verbreitet worden: „Morgen kommen 1 000 Matrosen!“ Zudem kursierte das Gerücht: „Liebknecht kommt!“, so dass 1 000 Teilnehmer bei dieser illegalen Versammlung gezählt werden konnten. Beides stimmte nicht, jedoch waren die Behörden und besonders die Polizei so eingeschüchtert, dass die Demonstration zum Hagenmarkt ohne Störungen verlief, die Bevölkerung ihre unverhohlene Sympathie bekunden konnte. Die Sozialistische Arbeiterjugend wurde danach dem engsten Vertrauenskörper hinzugezogen und gestaltete die folgenden Aktivitäten wesentlich mit.

Der Aktionsausschuss bestand dann u. a. aus Spartakusmitgliedern, linken USPDlern und eben der Jugend, jedoch sollte man sich keine falschen Vorstellungen von der Organisiertheit machen. Herrmann hierzu: „Das war ein loser Zusammenschluss. Das war eine Absprache von Mann zu Mann. Derjenige, den wir kannten, dem wurde Bescheid gesagt: ‚Gib das weiter‘ und dieses Weitergeben, das hat sich so formiert auf 1 000 Menschen. Das war spontan aus den Zusammenkünften entstanden.“

Die Aktivitäten nahmen zu, es meldeten sich immer mehr Leute, die Neugier trieb den Menschen an das Geschehene.

Bis zum 7. November kursierten in der Stadt die wildesten Gerüchte, besonders das Gerücht „Es kommen 1 000 Matrosen aus Kiel!“ hatte wegen der Erfolge in Kiel am 3. November große Wirkung. Die Bereitschaft der Bevölkerung zum Losschlagen wurde immer größer, es fehlte bloß noch die Initialzündung. Die kam dann schließlich von den Luftflottensoldaten, die eng mit Spartakus zusammenarbeiteten: „Ich entwaffnete damals zusammen mit den Luftflottensoldaten – die hatten auch den Plan gehabt, mit der spontanen Bewaffnung auf dem Friedrich-Wilhelm-Platz – so gegen 10, halb elfe die Bahnhofswache. Die Gewehre von denen wurden die Okerbrücke runtergeschmissen. Daraufhin sah man im gegenüberliegenden Hotel Lorenz einzelne Offiziere, die das Gebäude etwas hastig verließen. Die Telefonleitungen wurden zerrissen (sämtliche öffentlichen Gebäude waren vom Herzog und der Militärregierung besetzt), so dass die Verbindung mit der Post zerrissen war. Von hier aus ging es über den Friedrich-Wilhelm-Platz zu den Büssing-Werken und anderen Betrieben, die Tore wurden von den Arbeiterjugendlichen geöffnet, man ging rein und die Arbeiter marschierten nach kurzer Diskussion sofort die ganze Nacht in ihren Blaumännern mit.

Man begab sich nun zur Polizeiwache in der Münzstraße, eine revolutionäre Gruppe wurde hier vorstellig und man sagte den Beamten: „Geben Sie die Waffen ab, sie brauchen das nicht mehr zu machen, es ist so weit, der Krieg ist aus!“

Die Polizisten wurden im Keller einzeln entwaffnet. Vom Polizeipräsidium mussten die Beamten einzeln mit Händen in den Taschen herunterkommen. Die Menge stand an der Münzstraße bis zum Hagenmarkt, die Straße war proppenvoll mit Menschen (…).

In der Mitte mussten nun die Polizisten bis zum Hagenmarkt laufen. Hätte da einer die Hände rausgenommen, wäre er niedergeschlagen worden, so war die Stimmung, nicht? Denunzianten bekamen ihren Teil Ohrfeigen. Ein Polizeibeamter namens Witte, das war so ein Schwein, der hatte sich besonders hervor getan beim Denunzieren, – dass die Leute an die Front mussten oder eingesperrt wurden, – den haben sie später halb mürbe geschlagen bei der Humboldtkaserne. Die Polizeibeamten auf dem Hagenmarkt wurden nach Hause geschickt. Das war natürlich die Harmonieduselei, die dann einsetzte, das Humane setzte dann ein, obwohl man die Leute ja nicht umbringen wollte, das war ja nicht Sinn der Sache.

Die Jugend hatte dann die Gefangenen im Rennelberg zu befreien. Da kamen natürlich auch Leute raus, die nicht raus sollten, weil die Übersicht fehlte. Das Tor war damals noch aus Holz. Unter dem Druck der Menschen wurde das aufgedrückt.

Ich habe morgens um fünfe die Bahnhofsreparaturwerkstatt stillgelegt. Da bin ich mit‘m Karabiner auf‘m Buckel, nachdem wir eine Besprechung hatten (des morgens und halb in der Nacht) – den Schwarzen Weg runter, wo jetzt Freizeitheim ist, hinter der Oker, da war die Werkstatt. Da bin ich hingegangen und habe zu dem Wächter gesagt:

„Sag mal, heute ist Schluss hier. Es wird nicht gearbeitet.“ Der hatte immer so‘nen großen Hund und der sagte: „Ich lasse Sie hier nicht rein!“ Ich nehm den Karabiner runter und sage: „Ich schieße den Hund tot.“ „Wer sind Sie denn?“ Ich sage: „Lassen Sie man sein, kriegen Sie doch nicht zu erfahren!“ Da ist er reingegangen in seinen Bau und hat mich dann reingelassen.

Des morgens um fünfe, halb sechse, da war der Betriebsleiter schon da – damit will ich bloß sagen, dass der vielleicht auch die ganze Nacht nicht geschlafen hat, – und da sieht er mich vor seinem Fenster, da muss der wohl die Spitze vom Karabiner gesehen haben, und ich geh an die Tür: „Nun machen Sie sich mal fertig, es ist so weit. Um 10 Uhr sind sie am Schlossplatz.“ „Was soll ich denn da?“ „Sind Sie da, ja oder nein?“ Wie der nun meine Knarre gesehen hatte: „Wer sind sie denn überhaupt?“ Ich sage: „Sie sind um 10 da, nich!“ Der war wohl da!

Die Jugend, die Lehrlinge, die sind denn schon alle zur Arbeit gekommen, so lange hat sich das hingezögert.

Als die gehört haben, sie brauchen nicht zu arbeiten, da war natürlich was los. Und somit wurde der Betrieb, die Ausfuhr von Lokomotiven stillgelegt. Wir hatten dann auf‘m Bahnhofsgebäude zwei Maschinengewehre stehen, mit der Richtung nach dem Rüninger Feld.

Um 7 Uhr besetzte dann August Merges mit einem bewaffneten Trupp den Volksfreund, der damit wieder in Händen der USPD war. Da war ich selber nicht dabei. Ich stand draußen in der sogenannten Masse, vorm Volksfreund.

Um 10 Uhr hatten sich dort wohl 20000 Menschen versammelt und August Merges sprach vom Balkon einer kleinen Wirtschaft gegenüber vom Volksfreund. „Der Balkon steht nicht mehr“, da passte auch nur August Merges drauf. Er war ein kleiner Mensch und rief in vollem Hals und vollem Ton, – er hatte ein starkes Organ: „In dem Moment, wo ich hier spreche, wird die rote Fahne auf dem Schloss hochgezogen.“ Und wie auf Kommando, drehte die ganze Masse den Kopf nach‘m Schloss rauf. Das war gediegen.

Paul Gmeiner und Schütz verkündeten die Abdankung des Herzogs und riefen zur Demonstration auf.

Die Demonstration ging Kaiser-Wilhelm-Straße – Altewiekring; die ganze Breite von Altewiekring war voller Menschen, das riss nicht ab, – zur Husarenkaserne hin. In Massen kamen denn über die hohen Mauern die Gewehre, die Bevölkerung hat sich bewaffnet. 50/60 Mann sind inner Kaserne gewesen, die die Gewehre rausgeholt haben, soweit sie an die herankommen konnten. Ich wohnte nun zufällig gegenüber der Husarenkaserne, und somit war ich erst nach Hause vorgegangen und traute meinen Augen nicht, wo die Massen nun überall herkamen. Wir waren froh. Jeder bewaffnete sich, wir schwebten damals in einer politischen Meinung: „Jetzt kann nichts mehr kaputt gehen!“

Am seIben Tage wurde die „Sozialistische Republik Braunschweig“ ausgerufen und August Merges zu ihrem Präsidenten ernannt: die Revolution hatte zum ersten Mal in einem Teilstaat des Deutschen Reiches gesiegt!

Acht Volkskommissare wurden als Regierung eingesetzt, dass Schloss und das Regierungsgebäude wurden vom Arbeiter- und Soldatenrat mit Beschlag belegt. Eine Rote Garde wurde gebildet.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"„Liebknecht kommt!“", UZ vom 23. November 2018



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol LKW.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit