Drei Faktoren bestimmen gegenwärtig die deutsch-russischen Beziehungen:
Erstens die Äußerung des Bundeskanzlers am 8. September im ZDF: „Das ist jetzt der Moment, in dem man auch darüber diskutieren muss, wie wir aus dieser Kriegssituation doch zügiger zu einem Frieden kommen, als das gegenwärtig den Eindruck macht.“ Noch am 15. Juni hatte Scholz Gespräche mit Wladimir Putin abgelehnt.
Zweitens: Die Mitteilung von US- und Bundesregierung vom 10. Juli, dass ab 2026 in Westdeutschland weitreichende US-Raketen, darunter Hyperschallgeschosse, stationiert werden sollen. Russland hatte im Winter 2021/2022 von den USA und der NATO Verhandlungen zur Verhinderung solcher Stationierung verlangt. Das war damals zurückgewiesen worden.
Drittens: Die Forderung Kiews, vom Westen die Erlaubnis zu erhalten, mit westlichen Raketen russische Führungsstellen auszuschalten. Das wurde am Wochenende erneut auf einer internationalen Konferenz in Kiew von Wladimir Selenski und Boris Johnson vorgetragen.
Am 12. September hatte der russische Präsident in St. Petersburg dazu erklärt: „Das wird bedeuten, dass die Länder der NATO, die USA, die europäischen Länder mit Russland kämpfen.“ Damit würde sich das Wesen des Krieges ändern. Zu solchen Einsätzen seien nur NATO-Soldaten in der Lage. Daher gehe es nicht um die Frage, ob Kiew der Einsatz dieser Waffen erlaubt werde oder nicht: „Es geht darum, ob eine Entscheidung getroffen wird, dass sich die NATO-Länder direkt am kriegerischen Konflikt beteiligen oder nicht.“ Anders gesagt: Es geht nicht um „Erlaubnis“, sondern darum, ob der Westen Kiew einen Schießbefehl auf Moskau und andere Regionen Russlands erteilt.
Ähnlich wie Putin hatte Scholz zuletzt am 13. März im Bundestag seine Ablehnung begründet, „Taurus“-Marschflugkörper an Kiew zu liefern. Er sagte damals: „Es ist für mich ausgeschlossen, bei weitreichenden Waffensystemen solche zu liefern, die nur sinnvoll geliefert werden können, wenn sie auch mit dem Einsatz deutscher Soldaten auch außerhalb der Ukraine verbunden wären.“ Das komme für ihn nicht in Frage, weil das eine Verwicklung in den Krieg bedeuten könnte.
Die Übereinstimmung Putins mit Scholz in diesem Punkt kritisierte am Dienstag der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul im Interview mit „web.de“: „Schon daran sollte man merken, dass etwas faul ist.“ Zugleich räumte er ein, erst „in der nächsten Phase des Konflikts“ werde sich zeigen, für wen der Kiewer Vorstoß in Kursk und der russische Vormarsch im Donbass „besser ausgeht“. Auf die Frage, was er damit meine, antwortete Wadephul: „Dass es zu Friedensverhandlungen kommt.“
Ebenfalls am Dienstag sendete der „Deutschlandfunk“ ein Interview mit dem russischen Botschafter in der Bundesrepublik, Sergej Netschajew. Der erklärte darin zu einem solchen Angriffsbefehl gegen Russland mit weitreichenden Raketen: „Wir werden die Situation als absolut neu interpretieren.“ Russland habe „in erster Linie das Ziel, die russische Bevölkerung und die russischsprachige Bevölkerung“ zu schützen. Das hätten die westlichen Länder während der Kontakte im Rahmen der Minsker Abkommen nicht getan. Heute sei die Situation „viel ernsthafter als in den Zeiten des Kalten Krieges.“ Der Westen halte sich an keine Regeln, jetzt gebe es sogar deutsche Panzer in russischen Grenzregionen gegen die Zivilbevölkerung.
Am Montag hatte der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew beim Besuch von Scholz zur Ukraine erklärt: „Eine weitere Eskalation des Kriegs führt zu irreparablen Folgen für die ganze Menschheit und in erster Linie für alle Länder, die direkt an dem russisch-ukrainischen Konflikt beteiligt sind.“ Es sei „Fakt, dass Russland in militärischer Hinsicht unbesiegbar ist“. Am gleichen Tag ordnete Putin wegen der wachsenden Gefahren an den westlichen und östlichen Grenzen Russlands eine Verstärkung der russischen Armee um 180.000 Soldaten auf 1,5 Millionen an.