Warum die Bertelsmann-Stiftung fordert, Krankenhäuser zu schließen

Lieber weniger, aber profitabler

Von Männe Grüß

OP dichtmachen? Aus Sicht der Bertelsmann-Stiftung verbessert das die Versorgung.

OP dichtmachen? Aus Sicht der Bertelsmann-Stiftung verbessert das die Versorgung.

Die Neuordnung der Krankenhauslandschaft ist eine Frage der Patientensicherheit und muss vor allem das Ziel verfolgen, die Versorgungsqualität zu verbessern.“ So schön klang es, als Brigitte Mohn im Juli die Studie „Zukunftsfähige Krankenhausversorgung“ der Bertelsmann-Stiftung vorstellte. Mohn gehört zu dem Oligarchen-Klan, der den Bertelsmann-Konzern kontrolliert, und ist im Vorstand der Stiftung für Gesundheit zuständig. Patientensicherheit durch verbesserte Versorgungsqualität – wer wäre dagegen? Die Bertelsmann-Stifung nutzte diese einfache und beliebte Wahrheit, um ihr eigenes „Narrativ“ zu entwickeln – nämlich Profitinteressen in der Gesundheitswirtschaft als Interessen der Allgemeinheit darzustellen.

Die Stiftung hatte für ihre Studie das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) mit einer Fallanalyse beauftragt, wie die Versorgung durch Kliniken aussähe, die sich in erster Linie an der Verbesserung der Versorgungsqualität orientiere. Wie ist eine verbesserte Versorgungsqualität nach Meinung der Bertelsmann-Stiftung zu erreichen? Ausgehend von der IGES-Studie liegt für sie auf der Hand: Durch die Schließung von Krankenhäusern. Sie empfiehlt, 800 der 1 400 Krankenhäuser in Deutschland zu schließen.

Bessere Versorgungsqualität durch weniger Krankenhäuser? Klingt unsinnig – und ist es auch. Um nachzuvollziehen, wie die Bertelsmann-Stiftung zu diesem Ansatz kommt, lohnt es sich, die IGES-Studie genauer zu betrachten.

Was heißt Versorgungsqualität?

Aufgabe des IGES war, für die Region Köln-Leverkusen zu untersuchen, wie die Zahl der Krankenhäuser in dieser Region mit einer Verbesserung der Versorgungsqualität zusammenhängt. In ihrer Modellrechnung bezogen auf das Jahr 2030 errechnete das IGES, dass zur Verbesserung der Versorgungsqualität 14 statt der aktuell 38 Krankenhäuser in der Region die Versorgungsqualität erhöhen würden.

Nur: Was verstehen die Autoren der Studie unter „Versorgungsqualität“? In erster Linie geht es ihnen um die Qualität hochspezialisierter Eingriffe in Folge von Herzinfarkten und Schlaganfällen oder auch Organtransplantationen und Krebstherapien. Auf Grundlage der Zahl solcher Eingriffe pro Krankenhaus zeigt die Studie auf, dass sich kompliziertere Eingriffe vor allem in entsprechend großen Krankenhäusern konzentrieren, während in kleineren Krankenhäusern diese komplizierten Eingriffe gar nicht oder in nicht ausreichender Mindestzahl erfolgten. Spezielle Eingriffe werden in kleinen Krankenhäusern durch medizinisches Personal vorgenommen, das nicht über ausreichend Routine und Erfahrung verfügt. Das gehe zu Lasten der Versorgungsqualität. Klingt plausibel – wo ist der Haken?

1. Dieses Verständnis von Versorgungsqualität ist selektiv: Hochspezialisierte Eingriffe spielen quantitativ in der Versorgung eine geringe Rolle. Den Alltag prägen Geburten, Knochenbrüche und in ländlichen Regionen geriatrische (altersmedizinische) Behandlungsfälle. Für diese Behandlungen, die auch in kleinen Krankenhäusern mit entsprechender Mindestmenge und damit Qualität geleistet werden, ist aber vor allem eines entscheidend: die Erreichbarkeit. Die Erreichbarkeit ist auch deshalb so wichtig, weil kleinere Krankenhäuser neben der stationären Behandlung wegen des Ärztemangels in der Fläche – vor allem Fachärzte fehlen – auch eine Rolle für die ambulante Behandlung spielen. Eine Schließung dieser kleineren Krankenhäuser würde bedeuten, dass vor allem ältere Menschen auf dem Land mit einem steigenden Bedarf an ambulanten Behandlungen halbe Tagesreisen auf sich nehmen müssten.

2. Der zweite Haken an der Logik der Studie: Natürlich ist es nicht sinnvoll, dass eine kleine Klinik komplizierte Eingriffe durchführt, auf die sie nicht spezialisiert ist. Die Frage ist nur: Warum tut sie das eigentlich? Was spräche dagegen, den Patienten in diesem Fall in eine spezialisierte Klinik zu überweisen? Den Grund dafür hat erst die Privatisierung der Krankenhäuser erzeugt. Selbst Häuser in kommunaler Trägerschaft werden wie Unternehmen geführt – und das heißt: Sie stehen in Konkurrenz zueinander und dadurch unter wirtschaftlichem Druck. Für die Einnahmen eines Krankenhauses sind die so genannten Fallpauschalen entscheidend, die die rot-grüne Bundesregierung 2004 durchgehend eingeführt hat. In diesem System ist es auch aus Sicht eines kleinen Krankenhauses sinnvoll, Eingriffe vorzunehmen, die entsprechend lukrativ abgerechnet werden können. Was also rentabel für ein Krankenhaus ist, kann aufgrund der Profitlogik im Gesundheitswesen für den Patienten von Nachteil sein und auch volkswirtschaftlich kontraproduktiv. Es geht also um Profitinteressen im Gesundheitsbereich – nicht um die Versorgungsqualität in kleineren Krankenhäusern.

Statistische Taschenspielertricks

Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei der Studie um eine Modellberechnung am Beispiel einer Region für das Jahr 2030, die auf das ganze Land übertragen wird. Aber bei der ausgewählten Region Köln-Leverkusen handelt es sich um eine Metropolregion – 50 Prozent der 2,2 Mio. Einwohner der Region leben allein in Köln. Es wird also ein Schlüssel errechnet, der – bezogen auf das Bundesgebiet – ergibt, dass vor allem kleine Krankenhäuser in der Fläche schließen müssten und damit die Versorgung der dort lebenden Bevölkerung auf der Strecke bleibt.

Bei der Berechnung der Fallzahlen für das Jahr 2030 geht die Studie nicht nur von einem demographischen Faktor aus. Sie nimmt auch an, dass es ein „Ambulantisierungspotenzial“ gebe, um die Fallzahlen in den Krankenhäusern um bis zu 20 Prozent zu senken. Damit gemeint ist: Die ambulante Versorgung soll zugunsten einer stationären Behandlung ausgebaut werden. Das heißt: Menschen, die eigentlich eine stationäre Betreuung, Beobachtung und Pflege benötigen, werden entweder vorzeitig entlassen („blutige Entlassung“) – oder OPs werden gleich ambulant durchgeführt und die Menschen anschließend sich selbst überlassen. Das ist das Gegenteil einer besseren Versorgungsqualität – und genau das kaschiert die Studie.

Problem wird Lösung

Die Bertelsmann-Stiftung argumentiert, dass die Schließung von Krankenhäusern dazu beitragen könne, den – tatsächlich vorhandenen – Mangel an Pflegefachkräften zu bekämpfen. Das heißt: Sie propagiert die Vernichtung von Arbeitsplätzen – also eine Maßnahme auf Kosten der Arbeiterklasse –, um ein Problem zu lösen, das die Krankenhausunternehmen selbst verursacht haben durch die unerträglichen Arbeitsbedingungen und die schlechte Bezahlung in den Kliniken. Und wieder folgt die Bertelsmann-Stiftung ihrer ganz eigenen Logik: Weniger Personal in weniger Krankenhäusern verbessere die Versorgungsqualität.

Zwischen 1997 und 2017 sind rund 300 Krankenhäuser geschlossen worden – und damit auch Ausbildungsstätten für Pflegekräfte. Die Fallpauschalen haben auch dazu geführt, dass Krankenpflegeschulen für kleine Häuser zu Kostenfaktoren wurden, die sie sich mehr leisten konnten. Die Schließung von Krankenhäusern und ihre Orientierung auf Rentabilität haben den Mangel an Fachkräften befördert – die Bertelsmann-Stiftung behauptet nun, dass weitere Schließungen zum Gegenteil führen würden.

Inhumane Maßnahme gegen die Arbeiterklasse

Die Forderungen der Bertelsmann-Stiftung liefen darauf hinaus, vor allem kleine Häuser im ländlichen Raum zu schließen. Das würde breite Bevölkerungsschichten treffen, die sich angesichts explodierender Lebenshaltungskosten ein Leben in den Metropolen immer weniger leisten können. Die Bertelsmann-Stiftung propagiert also das Gegenteil von dem, was eigentlich nötig wäre, um den wachsenden Stadt-Land-Gegensatz zu überwinden, dessen Zuspitzung so charakteristisch ist für den Kapitalismus.

Den Resonanzboden für die Bertelsmann-Propaganda bildeten die Medien – vom Staatssender ARD bis zur „Bild“. Die SPD-Führung hat schon 2013 über die Friedrich-Ebert-Stiftung öffentlich eine „Qualitätsverbesserung der Krankenhausversorgung“ durch „Überkapazitätsverringerung der Krankenhausversorgung“ gefordert. Die Studie der Bertelsmann-Stiftung ist somit ein neuer Angriff auf die sozialen Rechte breiter Bevölkerungsschichten – ihre Argumentation ist alter Wein in neuen Schläuchen.

Männe Grüß leitet die Kommission Kommunalpolitik beim Parteivorstand der DKP.

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"Lieber weniger, aber profitabler", UZ vom 13. September 2019



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