Bis zum Freitag, den 17. Dezember, können die Mitglieder des Berliner Landesverbandes der Partei „Die Linke“ im Rahmen einer Mitgliederbefragung über den rot-grün-roten Koalitionsvertrag abstimmen. Der Unmut in der Partei ist groß. UZ sprach mit Ferat Koçak, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, der mit Nein stimmen will.
UZ: Sie sind seit der letzten Wahl für die Partei „Die Linke“ Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Obwohl Ihre Parteispitze sich für eine Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Ihrer Partei stark macht, werben Sie dafür, beim Mitgliederentscheid mit Nein zu votieren. Aus welchem Grund?
Ferat Koçak: Die SPD und Franziska Giffey haben sich mit einem rechten Kurs in den Verhandlungen durchgesetzt. Die Realität ist eine Verdrängungspolitik auf dem Wohnungsmarkt und ein Pakt mit den Konzernen statt der Vergesellschaftung von hunderttausenden Wohnungen. Es riecht nach Klientelpolitik und „Law and Order“. In dieser Konstellation haben wir es als kleinster Partner extrem schwer. Ich war in den Verhandlungen dabei und weiß, dass viele Genossinnen und Genossen hart um bessere Ergebnisse gekämpft haben, aber wir müssen an dem Punkt ehrlich sein: das hat kaum funktioniert. „Die Linke“ ist nicht machtlos in der Opposition, das beweist die Geschichte dieser Partei. In Neukölln haben wir in Oppositionsjahren zum Beispiel erfolgreich an der Seite der Bewegung für den Volksentscheid gegen die Bebauung des Tempelhofer Felds gekämpft oder an der Seite der Beschäftigten der Charité für den ersten Tarifvertrag für mehr Personal an den Krankenhäusern. Ich bringe es auf die Formel: Lieber richtig in die Opposition als falsch in die Regierung.
UZ: Halten Sie das gesamte Verhandlungsergebnis für fragwürdig oder haben Sie besonders an einzelnen Punkten Kritik, die Sie zu Ihrer Ablehnung bewogen hat?
Ferat Koçak: Mir fällt es schwer, eine deutliche linke Handschrift zu erkennen. Ich erkenne aber eine deutliche sozialdemokratisch-neoliberale Handschrift der SPD und der Grünen. Ganz besonders besorgniserregend ist das Verschieben des erfolgreichen Volksentscheids „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Mehr als eine Million Berlinerinnen und Berliner haben für Vergesellschaftung gestimmt, stattdessen bekommen sie lediglich eine Expertenkommission, die „gegebenenfalls“ 2023 zu einem Ergebnis kommt. Franziska Giffey hat immer wieder betont, dass es mit ihr keine Enteignungen geben wird. Die Mietenproblematik ist aber jetzt akut und es gab bereits mehrere seriöse Gutachten, die der Initiative Verfassungskonformität bescheinigt haben. Es braucht jetzt einen politischen Umsetzungswillen.
Der Koalitionsvertrag lässt zudem die Möglichkeit offen, die Polizei und den Verfassungsschutz auszubauen inklusive Videoüberwachung, während wir als „Die Linke“ in unseren Wahlprogrammen die Abschaffung der Geheimdienste fordern. Eine Privatisierung der S-Bahn und die drohende Zerschlagung ist ebenfalls nicht vom Tisch. Insbesondere sehe ich in dem Koalitionsvertrag eine Gentrifizierungspolitik, in der ein Zusammenspiel zwischen Stadtplanung im Interesse der Immobilienlobby und Law & Order der Innenpolitik stattfindet.
In Neukölln haben wir den nun festgeschriebenen Deal mit dem Signa-Konzern und dem Großspender der rechten FPÖ, Benko am Hermannplatz, gegen das wir in Neukölln seit Jahren mit den Anwohnerinnen und Anwohnern und der Hermannplatz-Initiative kämpfen. Trotz eines Parteitagsbeschlusses in Solidarität mit der Initiative hat sich nun die Politik im Interesse des Immobilienkonzerns entschieden. Hinzu kommt die Schikane der migrantischen Community durch eine rassistische „Law and Order“-Politik, Räumung linker Freiräume, Verdrängung von Obdachlosen aus dem Stadtbild. Ich will keine Innenstadt der Reichen wie in London oder Paris. Deshalb ist mein klares Votum zum Koalitionsvertrag: Nein!
UZ: Wie nehmen Sie diesbezüglich die Stimmung im Berliner Landesverband der „Linken“ wahr?
Ferat Koçak: Es gibt eine andere Dynamik und mehr Unzufriedenheit als vor fünf Jahren. Mehrere hundert Genossinnen und Genossen haben den Aufruf „Zusammen für eine linke Opposition“ unterschrieben, viele machen ihrem Frust über die schlechten Verhandlungsergebnisse Luft. Ich rechne mit einer Mehrheit für den Koalitionsvertrag, aber mit mehr „Nein”-Stimmen als 2016. Das ist auch wichtig. Wir brauchen eine laute Stimme des Protestes. Sowohl als Signal in Richtung SPD und Grüne, dass wir uns nicht alles gefallen lassen, aber auch als Signal in Richtung Bewegungen, dass wir in den nächsten fünf Jahren, egal was kommt, laut an ihrer Seite kämpfen werden.
UZ: Was werden diesbezüglich Ihre Arbeitsschwerpunkte als neu gewählter Abgeordneter sein?
Ferat Koçak: Das ist noch nicht ganz sicher, aber ich würde sehr gerne in den Bereichen „Strategien gegen Rechts“ und in der Klimapolitik meine Schwerpunkte als Aktivist mit ins Parlament nehmen. Für die Bewegungen gegen Rassismus und für Klimagerechtigkeit möchte ich im Abgeordnetenhaus eine Stimme sein. In Berlin ist in den vergangenen Jahren viel Ermutigendes außerhalb des Parlaments passiert. „Die Linke“ muss noch stärker als bisher eine Brücke zwischen Bewegung und Parlament sein. Es geht auch darum, Politik mehr als Selbstermächtigung zu begreifen und weniger als Stellvertretertum.
UZ: Sie sind mehrfach Opfer von faschistischen Anschlägen und Bedrohungen geworden. Wie ist der aktuelle Stand in dieser Angelegenheit?
Ferat Koçak: Falls die Koalition zustande kommt, wird es zeitnah einen Untersuchungsausschuss zum rechten Terror in Berlin geben. Den hätte es zwar schon früher geben müssen, aber viele Initiativen und ich selbst hoffen dort auf mehr Aufklärung, auch zu den Verstrickungen zwischen staatlichen Behörden und der rechten Szene.