„Lieber kein Ergebnis als ein Scheiß-Ergebnis“

Das Gespräch führte Lars Mörking

UZ: Wie ist die Stimmung bei euch seit der Ankündigung, dass es in die Schlichtung geht?

Inga Dey: Die Stimmung bei uns im Betrieb ist natürlich nicht gut und das mit der Schlichtung hat uns alle überrascht. Klar ist, dass eine Schlichtung in einer Tarifverhandlung immer eine Möglichkeit ist, wir sind aber nicht davon ausgegangen, dass das passiert. Wir sind im Gegenteil davon ausgegangen, dass zur Streikdelegiertenkonferenz ein Angebot vorliegt, das wir diskutieren können. Das gab es nicht. Es ist auch definitiv so, dass manche Kolleginnen und Kollegen richtig gefrustet sind, auch wütend – auch auf ver.di – darüber, dass es diese Schlichtung gibt.

UZ: Aber zu einer Schlichtung wäre es ja auch gekommen, wenn ver.di sich dagegen ausgesprochen hätte …

Inga Dey: … dass es eine Vereinbarung zwischen ver.di und den kommunalen Arbeitgebern gibt, die eine Schlichtung auch dann ermöglicht, wenn nur eine Seite diese einfordert, war uns „Streikneulingen“ nicht klar. Das wusste ich nicht und auch keiner meiner Kollegen in der Betriebsgruppe. Uns war klar, dass es eine Schlichtung geben kann, aber zu dem Zeitpunkt haben wir das nicht als Möglichkeit in Betracht gezogen.

Die Enttäuschung, die es gibt, die hat viel mit der Kommunikation nach unten zu tun. Wir haben von der Schlichtung morgens im Radio erfahren, bevor wir uns auf den Weg gemacht haben zur Streikdelegiertenkonferenz. Von den Arbeitgebern gab es Infos dazu, von ver.di gab es bis dato nichts. Das war sehr ungünstig. Dementsprechend war auch die Stimmung auf der Streikdelegiertenkonferenz.

UZ: Also wolltet ihr weiter streiken?

Inga Dey: Es wurde und wird nicht ganz verstanden, wieso die Schlichtung unbedingt sein musste. Die Stimmung zu diesem Zeitpunkt war bei uns relativ eindeutig: Wir machen weiter!

In diesem Fall spreche ich für Frankfurt, Rhein-Main und Hessen. Aus anderen Bundesländern und Regionen gab es schon die Rückmeldung: „So einfach ist es nicht“. Da schlägt den Kolleginnen und Kollegen teilweise sehr viel mehr Gegenwind ins Gesicht, als das bei uns der Fall war. Nicht nur von Eltern, sondern auch von Betriebsleitungen, Vorgesetzten. Teilweise waren es aber auch die Eltern, die an anderen Orten im Umgang mit den Erzieherinnen und Erziehern eine deutlich ablehnendere Haltung eingenommen haben, als bei uns.

UZ: Und wie war es bei euch konkret?

Inga Dey: In Frankfurt und Rhein-Main gibt es da eine soziale Komponente. Die Eltern aus höheren Schichten waren weniger solidarisch als diejenigen, die selbst nicht so viel haben. Aus eigener Erfahrung kann ich das sagen – ich arbeite in einer Tagesgruppe für Kinder mit Erziehungshilfebedarf – wir haben keine Eltern die besonders wohlhabend sind. Die sind teilweise in Schichtarbeit, kommen aus anderen Ländern und ihre Bildungsabschlüsse werden hier nicht anerkannt, sie stecken in Leiharbeit und so weiter. Also Menschen in durchaus schwierigen Lebensumständen, die extrem solidarisch mit uns waren, uns viel Mut zugesprochen haben. Das ging aber eben nicht allen so.

UZ: Wie ist es jetzt während der Schlichtung? Einerseits gibt es viele Aktionen, was nicht selbstverständlich ist, andererseits ist die Beteiligung ja nicht ganz so hoch wie während der Streikphase …

Inga Dey: Es ergibt sich ja ganz automatisch, dass bei den Aktionen jetzt nicht alle beteiligt sein können, weil wir die Friedenspflicht wahren müssen. Es gab viele Aktionen abends, es gab mittwochs Fahrraddemos, usw. So sind zum Beispiel die offenen Jugendhäuser rausgefallen bei der Mobilisierung, weil die zu dieser Zeit den Betrieb offen hatten und damit gar nicht die Möglichkeit bestand sich zu beteiligen. Und bei den anderen macht sich bemerkbar, dass nach einem Tag Arbeit in einem Beruf, der nunmal anstrengend ist – darum geht es ja schließlich auch – ist es auch nicht ganz einfach sich zu motivieren, abends noch loszugehen. Und trotzdem haben es einige Kolleginnen und Kollegen durchgehalten und waren auch in verschiedenen Ausschüssen der Stadt Frankfurt. Da ist einiges gelaufen. Die Motivation und die Bereitschaft weiter zu streiken ist auf jeden Fall da.

UZ: Jetzt wird es ja ein Ergebnis der Schlichtung geben, über das ihr auf einer weiteren Streikdelegiertenkonferenz beraten sollt. Was sind für dich die Kriterien für Zustimmung oder Ablehnung eines Schlichterspruchs?

Inga Dey: Es geht ja nicht so sehr um meine Kriterien, ich bin ja Streikdelegierte und vertrete meine Kolleginnen und Kollegen. Wir haben am Dienstag vor der Konferenz Streikversammlung, d. h. ich halte Rücksprache und hol mir ein Votum ab. Ich entscheide also nicht für mich, es ist die Mehrheit des Betriebes für die ich da stimme – in diesem Fall die Mehrheit der SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen aus meinem Betrieb. Ich kann das gleiche für die ErzieherInnen aus Frankfurt sagen, die es genauso machen.

Was die Forderungen betrifft, haben wir aber von Anfang an gesagt: Es muss ein Angebot für alle Berufsfelder geben, d. h. es darf weder der Heilpäd­agoge, die Kinderpflegerin, noch die Sozialpädagogin, der Erzieher hinten runterfallen; es muss ein Angebot für alle vorliegen.

Eine wichtige Forderung konkret bei uns im Betrieb, die viel diskutiert worden ist – gerade mit älteren Kolleginnen und Kollegen – ist die Anrechnung der Stufenlaufzeit. Das ist vor allem für diejenigen sehr wichtig, die schon länger dabei sind. Die waren vom Abschluss im Jahr 2009 sehr enttäuscht und sagen jetzt, dass das damals ein großer finanzieller Verlust für sie war. Mit der Hochstufung in eine andere Entgeltgruppe wurden ihnen die Jahre genommen, die sie zuvor in der niedrigeren Entgeltstufe angesammelt haben. Das heißt für uns, dass selbst wenn es bei uns eine Aufwertung geben sollte, aber die Stufenlaufzeit nicht angerechnet wird, dass wir dann dagegen wären, weil das reale Verluste bedeutet. Das wäre so ein Punkt, wo ich definitiv mit „Nein“ stimmen würde.

Unser Problem in der Diskussion ist, dass wir nicht sagen können, welchen Punkt des Arbeitgeberangebots wir gut fanden, weil es faktisch kein Angebot gab, das wir hätten diskutieren können. Wir diskutieren also auf Grundlage der ver.di-Forderungen und sagen, was davon uns besonders wichtig ist und da ist der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen enorm wichtig, weil wir ja einschätzen können müssen, was auch denen wichtig ist. Und auch da gilt, dass wenn das Minimum der Forderungen aus anderen Bereichen nicht erfüllt ist, werden wir mit „Nein“ stimmen. Da gibt es eine unheimlich große Solidarität unter den Kolleginnen und Kollegen.

Also: lieber kein Ergebnis als ein Scheiß-Ergebnis.

UZ: Wie sieht es denn aus, wenn innerhalb von ver.di das Signal „von oben“ kommt, dass ihr das Ergebnis der Schlichtung annehmen solltet?

Inga Dey: Mir wurde mitgegeben, dass wir ruhig „Nein“ sagen können, auch wenn Signale in die andere Richtung gesetzt werden sollten. Es ist ja auch so – und als Neuling ist einem das ja auch nicht gleich klar – dass es keine Katastrophe ist, wenn kein Tarifabschluss zustande kommt, der alte Tarifvertrag bleibt dann erst einmal weiter gültig.

UZ: Wie sieht es denn mit den über die Streikaktionen organisierten Kolleginnen und Kollegen aus? Hat sich das Kräfteverhältnis in deinem Bereich verändert, weil der gewerkschaftliche Organisationsgrad gestiegen ist?

Inga Dey: Ob alle bereit sind, auch nach der Tarifauseinandersetzung weiter gewerkschaftliche Betriebsarbeit zu machen, werden wir sehen. Aber klar, wir waren erst zu zweit im Betrieb, dann zwölf und dann 90 im Streik. Das ist Ausdruck des gestiegenen Selbstbewusstseins und darauf werden wir aufbauen.

UZ: Plant ihr bei Ablehnung des Schlichtungsergebnisses neue Streiks noch vor den Sommerferien?

Inga Dey: Wir schauen uns erst einmal an, was bei der Schlichtung herausgekommen ist. Ob wir dann vor oder nach den Ferien wieder streiken … die Bereitschaft ist jedenfalls da.

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"„Lieber kein Ergebnis als ein Scheiß-Ergebnis“", UZ vom 26. Juni 2015



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