zu eurem 23. Gewerkschaftstag, der in dieser Woche stattfindet, wünsche ich euch interessante Debatten, Redebeiträge, Antragsdiskussionen mit Beschlussfassungen zu vielen Themen. Letztlich stehen die politischen und betrieblichen Schwerpunkte der nächsten vier Jahre auf der Agenda.
Das Motto des Gewerkschaftstages „Gute Arbeit. Gutes Leben. IG Metall.“ wird dabei Leitlinie und zugleich Anspruch an die Ergebnisse sein.
Tausende Menschen sind derzeit auf der Flucht nach Europa. Sie erhoffen sich hier eine Zukunft in Frieden und in Freiheit, ohne Not und Elend. Aber solange die Europäische Union eine Wirtschafts- und Finanzpolitik betreibt, die im Kern neoliberal ist, die mit Ursache ist für Hunger und Not – wie das Beispiel Griechenland zeigt –, werden wir weiterhin mit Flucht zu tun haben.
Solange die Bundesrepublik einer der Spitzenreiter im Verkauf und bei der Lieferung von Waffen und Rüstungsgütern ist, werden wir weiterhin mit Flucht zu tun haben.
Hier muss es radikale Änderungen geben. Solange sich diese Politik aber nicht verändert, ist es unsere Pflicht, Geflüchtete aufzunehmen. Wir stellen uns gegen eine Migrations- und Asylpolitik, die Menschen nach ihrer Nützlichkeit für die Wirtschaft beurteilt und ihnen die Gleichberechtigung vorenthält. Wir sagen als GewerkschafterInnen: Refugees welcome!
Um „Gute Arbeit und Gutes Leben“ gestalten zu können, ist es aus meiner Sicht notwendig, die gesellschaftlichen Grundlagen – den Kapitalismus – in Frage zu stellen.
Er ist es doch, der die Lebensbedingungen der Menschen bestimmt. Seine Prinzipien sind die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die private Aneignung des Mehrwerts und der Zwang zum Profitstreben. Daraus folgen doch Hungerlöhne, Arbeit bis zum Umfallen, ein menschenunwürdiges Leben in Armut und eine fehlende Perspektive für hunderttausende Jugendliche ohne Ausbildungsplatz – letztlich ohne die Chance auf gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Wäre es nicht hohe Zeit, endlich wieder einmal über Alternativen zum Kapitalismus nachzudenken? Das geht jedoch nicht, ohne die Eigentumsfrage zu stellen: die Frage, warum die Unternehmen nicht denjenigen gehören, die für den jeweiligen wirtschaftlichen Erfolg maßgeblich verantwortlich sind, nämlich den arbeitenden Menschen.
Auf diesem Gewerkschaftstag könnte der Startschuss für eine Diskussion, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, über gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus gelegt werden. Aus meiner Sicht ist es hohe Zeit dafür.
Ich wünsche euch die Kraft und Klugheit, aber auch die Duldsamkeit, die richtigen Beschlüsse gemeinsam zu fassen.
Mit kollegialen Grüßen
Olaf Harms
Leiter der Kommission Betrieb und Gewerkschaft der DKP