Antonio Skármetas „Mit brennender Geduld“

Liebe, Kampf und Hoffnung

Gerade einmal 150 Seiten ist er lang, der 1984 erschienene Welterfolg von Antonio Skármeta, doch kommt er mit einer literarischen Wucht daher, der man sich kaum entziehen kann. In „Mit brennender Geduld“ handelt Skármeta mit Freundschaft, Liebe, Poesie und Revolution die ganz großen Themen des Lebens ab, gradlinig und feinfühlig und am Schluss wird auch der unpolitische Leser den Eindruck haben, mit dem Putsch in Chile etwas verloren zu haben.

Mario Jiménez weiß so recht nichts mit seinem Leben anzufangen, ihn interessiert wenig außer Kino und Frauen. Er hat aber kein Geld, um für das erste Eintritt zu zahlen und die letzteren einzuladen. Er verabscheut die Fischerei, kann also unmöglich in die Fußstapfen seines Vaters treten, und sieht schließlich im Postamt seines Dorfes einen Aushang, der sein Leben verändern wird. Er wird Briefträger auf der Isla Negra. Dort wird er nur einen Kunden haben. „,Ja, nur einen. In der Bucht wohnen sonst nur Analphabeten. Die können noch nicht einmal eine Rechnung entziffern.‘ ‚Und wer ist dieser Kunde?‘ ‚Pablo Neruda.‘“

Langsam, ganz langsam entsteht eine Freundschaft zwischen dem schüchternen Briefträger, der davon träumt, eines Tages ein Autogramm mit Widmung zu bekommen, und dem großen Dichter. Der Beginn dieser Freundschaft liegt im Jahr 1969 und Skármeta lässt Neruda auf ein Telegramm aus Stockholm warten, stattdessen erhält er eins „,Vom Zentralkomitee der Partei.‘ Der Dichter machte eine dramatische Pause. ‚Junge, ist heute vielleicht zufällig Freitag der dreizehnte?‘ ‚Warum, schlechte Nachrichten?‘ ‚Schlechter als schlecht. Man will, daß ich für die Präsidentschaftswahlen kandidiere.‘“ Mario interessiert das zwar, aber nicht so sehr wie Beatriz, an die er sein Herz verloren hat. Neruda sieht das pragmatisch: „,Erst trinken wir in der Bar einen Wein, und dann finden wir eine Lösung für beides.‘ ‚Für was beides?‘ ‚Für die Präsidentschaft und Beatriz González.‘“ Die Liebe und die Politik liegen oft halt nah beieinander.

Voller Widerwillen begibt sich Neruda in den Wahlkampf, ist er doch von der Sache überzeugt, will aber sein Dichterleben nicht missen. Mario ist untröstlich über die Abreise Nerudas, ein Geschenk des Dichters kann ihn nicht trösten, auch nicht „als er die Widmung liest, die vor einiger Zeit jeden seiner Träume übertroffen hätte: ‚Meinem geliebten Freund und Genossen Mario Jiménez. Pablo Neruda.‘“

Doch eigentlich könnte Mario glücklicher nicht sein: Mit seinen eigenen Worten überzeugt er Beatriz von sich, mit der Hilfe des Dichters (die KP hat seine Kandidatur inzwischen zu Gunsten der Salvador Allendes zurückgezogen) stellt er sich der furchteinflößenden zukünftigen Schwiegermutter, die irgendwann einsieht, dass ihr Widerstand keinen Zweck mehr hat. Es wird der Wahlsieg der Unidad Popular gefeiert, schließlich Hochzeit und die Geburt von Pablo Neftalí Jiménez González. Doch die Wolken am Horizont werden dunkler. Die Lkw-Fahrer streiken, angestachelt von der Reaktion, gegen das hungernde Volk, Neruda kehrt krank von seinem Botschafterposten in Paris zurück, das Ende des Glücks ist unausweichlich. Man möchte nicht weiterlesen und tut es doch.

Berührend ist nicht nur das Schicksal Marios und seiner Familie, es ist die Liebe, die den Roman durchzieht, die Marios zu Beatriz, zu Neruda und zu Chile selbst, die des Dichters zu den Menschen und der unerschütterliche Glaube an eine bessere Zukunft. Und so ist die schönste Stelle des Romans, wenn sich das ganze Dorf inklusive sämtlicher Feriengäste mit viel Alkohol in der Bar vor dem Fernseher versammelt, um Neruda sprechen zu sehen – das Telegramm aus Stockholm war doch noch gekommen.

Bei der Verleihung des Nobelpreises für Literatur sagte Pablo Neruda: „Heute vor genau hundert Jahren hat ein armer und herrlicher Dichter, der grimmigste aller Verzweifelten, diese Prophezeiung geschrieben: ‚Al‘aurore, armes d‘une ardente patience, nous entrerous aux splendides villes‘: Im Morgengrauen werden wir, bewaffnet mit brennender Geduld, die strahlenden Städte betreten.

Ich glaube an die Prophezeiung des Sehers Rimbaud. Ich komme aus einer dunklen Provinz, aus einem Land, das eine schroffe Geographie von allen anderen Ländern isoliert hat. Ich war der verlassenste aller Dichter, und meine Dichtung war regional, traurig und regnerisch. Aber ich habe immer den Menschen vertraut. Ich habe nie die Hoffnung verloren. Vielleicht bin ich deshalb mit meiner Poesie und mit meiner Fahne bis hierher gekommen. Also muß ich den Menschen guten Willens, den Arbeitern, den Dichtern, sagen, daß in diesem Satz Rimbauds die ganze Zukunft ausgedrückt ist: nur mit brennender Geduld werden wir die strahlende Stadt erobern, die allen Menschen Licht, Gerechtigkeit und Würde schenken wird. So wird die Poesie nicht vergebens gesungen haben.“

Wäre die Poesie vergebens, hätte die Junta Pablo Neruda nicht wenige Tage nach dem Putsch ermorden lassen. Wäre sie vergebens, hätte Antonio Skármeta nicht zehn Jahre später diesen wunderbaren Roman über einen Dichter, einen Postboten, die Liebe und die Revolution geschrieben. Wäre sie vergebens, hätten wir nicht immer noch Hoffnung. Nur das mit der Geduld fällt schwer.

Antonio Skármeta
Mit brennender Geduld
Piper Verlag, Taschenbuch, 12 Euro
Erhältlich im UZ-Shop

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"Liebe, Kampf und Hoffnung", UZ vom 8. September 2023



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