In Niedersachsen fanden am 12. September Kommunalwahlen statt. In Hannover kandidierte die DKP zur Stadtbezirksratswahl Linden-Limmer und errang dort 1,4 Prozent der Stimmen. In ihrem Wahlbezirk erreichten die Lindener Genossen mit 3,2 Prozent den 5. Platz.
„Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie längst verboten“ – dieser vermeintliche Tucholsky-Ausspruch wird dieser Tage natürlich hoch- und runter zitiert. Sich daraufhin zurückzulehnen und den Wahlzirkus unbeteiligt mit einer Tüte Popcorn auszusitzen, wäre trotzdem genauso falsch, wie auf Rezept der bürgerlichen Einheitsmeinungsverschreiber untätig zu bleiben und den politischen Betrieb „wegen Corona“ unbefristet einzustellen. Daher stellte sich der Kreisvorstand der DKP Hannover der Herausforderung, den Parteitagsbeschluss und Wahlantritt trotz gegenläufiger Meinungen von Seiten parteiinterner und -externer Experten umzusetzen. Schwerpunkte der DKP im Wahlkampf sollten Forderungen nach militärischer Abrüstung und Frieden mit Russland sowie die Ablehnung der derzeitigen Krisenpolitik der Bundes- und Landesregierung zu Lasten der werktätigen Bevölkerung sein. Gegen deren Maßnahmen wollten wir auch in unserem Wohnumfeld Widerstand leisten. Nach optimistischer, aber nicht blauäugiger Einschätzung unserer verfügbaren Fuß-und-Hand-Anzahl, Hirnschmalz-, Finanz- und Zeitkontingente beschlossen wir, den ganz konkreten Wahlkampf direkt vor der Haustür neben dem bundesweiten aufzunehmen und einen roten Keil in den mehrheitlich grünen Bezirksrat zu schlagen. Der Versuch, kommunistische Positionen bekanntzumachen, Mitstreiter zu finden und als Parteigruppe daran zu wachsen, erschien trotz des absehbaren Kraftaktes lohnend.
Nach Formulierung eines wohlüberlegten Sofortforderungsprogramms und Aufstellung der Landesliste, an deren Spitze ich als eines der jüngsten und aktivsten Parteimitglieder landete, begannen wir sofort, Materialien zur Kontaktaufnahme zu erstellen. Brauchbare Werkzeuge waren drei offene Briefe zum Versagen der Ratsparteien bei der angeblichen Virusbekämpfung, die, wie wir verdeutlichten, so gar nichts mit dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu tun hatte. Diese hängten wir in unseren Schwerpunktstadtteilen Herrenhausen-Stöcken und Linden-Limmer aus, solange das Wetter Anfang 2021 noch gegen Infostände und Unterschriftensammlungen sprach.
Bezirksratskandidatur in einem speziellen Stadtteil
Der Stadtbezirk unserer Wohngebietsgruppe hat 44.941 Einwohner und besteht aus den Stadtteilen Linden-Mitte, Linden-Nord, Linden-Süd und Limmer. Linden, eine ehemalige Industriestadt, ist durch eine lange Tradition der Arbeiterbewegung geprägt. Die Bevölkerung ist aufgrund der Zuwanderung vieler ausländischer Arbeitskräfte seit den 1960er-Jahren vielfältig zusammengesetzt; ein gutes soziales Klima zeichnet das Zusammenleben aus. Nun finden zunehmend Menschen aus den „urbanen Mittelschichten“ Linden chic und hip und wollen hier wohnen, was es auch für Investoren (Stichwort „Luxussanierungen“) und Spekulanten interessant machte. Ein wachsender Teil der „Ureinwohner“ Linden-Limmers, der sich Erhöhungen der Mietkosten von über 20 Prozent in den letzten 20 Jahren nicht leisten kann, wird verdrängt – die „Normalbewohner“ des Stadtteils müssen den „urbanen Mittelschichten“ Platz machen. Linden wird statt bunter und netter immer grüner und teurer.
Gegen die Politik, die genau diese Entwicklung nicht nur nicht bremst, sondern aktiv befördert, hieß es nun, sich mit knappen, klar verständlichen Losungen in Stellung zu bringen – und den Wahlkampf als Plattform für unsere Positionierung gegen die herrschenden Klientelpolitiker jeder Couleur zu nutzen.
Drei Hauptkampffelder
Bei der Planung eines neuen Wohngebiets „Wasserstadt Limmer“, das den Bezirk künftig um etwa 3.500 Bewohnerinnen und Bewohner verstärken soll, finden die beschriebenen Probleme im Stadt- und Bezirksrat weder Ausdruck noch Berücksichtigung. Mit sporadischer „Bürgerbeteiligung“ wird die Diskussion von den vermeintlichen „Bürgervertretern“ aus sämtlichen Parteien gezielt am Lebensalltag der lohn-, sozialleistungs- oder rentenabhängigen Menschen vorbeigeführt: Soziale Fragen werden moralisierend scheinbar ökologischen Maßgaben untergeordnet – es gibt kaum Parkplätze und keinen ÖPNV-Anschluss, dafür aber mehr E-Bike-Ladesäulen.
Gleiche sinnbefreite Logik gilt beim Thema Wohnen: So wird zwar nach mehr „öffentlich geförderten Wohnungen“ gerufen, jedoch werden mehrstöckige, höhere Gebäude kategorisch ausgeschlossen – die städtische Wohnungsgesellschaft „hanova“ baute zuletzt allen Ernstes sogenannte „Tiny Houses“ mit einer Größe von 28 Quadratmetern zum Quadratmeterpreis von 17,50 Euro kalt. Wir entwickelten die Forderung, einen Mietendeckel für die städtischen Wohnungen zu installieren und so den Anstieg der Bestandsmieten zu begrenzen. Aus direkt umsetzbaren Schritten zur Verbesserung der Wohnungsversorgung ergab sich die Losung „Mehr öffentlicher Wohnungsbau – und zwar groß und günstig statt tiny und teuer!“, die wir auf eines unserer drei selbstentworfenen Bezirksratswahlplakate brachten.
Auf der zweiten Version unserer 300 Plakate zur Bezirksratskandidatur griffen wir mit dem Slogan „Kein weiterer Abbau von Postfilialen, Sparkassen und Personal“ ein heißes Eisen auf: die gängige Praxis der Privatisierung und des Serviceabbaus, die bei vielen Lindener Bürgerinnen und Bürgern für Unmut sorgt. Mit einer Unterschriftensammlung gegen die Schließung der Bargeldkasse in einer für den Spottpreis von drei Millionen Euro zum „Kommunikationszentrum für Geschäftskunden“ umgebauten Sparkassenfiliale trafen wir einen Nerv und konnten 264 Unterschriften innerhalb von vier Stunden sammeln. Eine derart offene Ignoranz gegenüber Kunden- und Stadtteilbewohnerinteressen wagte nach dem Verschicken unserer Pressemitteilung zur Aktion nicht einmal die hiesige Madsack-Medienkonzernpresse unter den Teppich zu kehren, die unsere Aktionen sonst penetrant totschweigt.
In der Stadtteilzeitung „Lindenspiegel“ veröffentlichten wir außerdem einen Bericht zum leidigen Thema Sauftorismus, der große Resonanz in den sozialen Medien hervorrief. Darin forderten wir, anstelle der von den in Bezirks- und Stadtrat vertretenen Parteien betriebenen aktiven Anwerbung von jährlich einer Million Sauftouristen für das Wohngebiet Linden-Limmer, „Kommunale Partybereiche“ mit entsprechender Infrastruktur und Shuttleservice in anderen Gebieten einzurichten, um den lukrativen Partykuchen und die damit einhergehenden vielfältigen Belastungen der hier Wohnenden gerecht aufzuteilen. Der Slogan „Das Fössebad fördern, nicht den Sauftourismus“ zielte ab auf den – über Jahre verschleppten – Ratsbeschluss, das Stadtteilbad samt seit Jahren geschlossenem Außenbecken durch ein millionenteures Wettkampfbad zu ersetzen, welchen der Stadtkämmerer zuletzt unter dem Vorwand des „coronabedingten“ Geldmangels kassiert hatte.
Kandidaten im Straßenwahlkampf
Unsere lokale Kleinzeitung, das „Hannoversche Volksblatt“, erscheint jährlich vier mal und enthält immer auch die aktuellen DKP-Positionen zur Politik auf Stadt- und Stadtteilebene. Als Wahlkampfbroschüre haben wir eine Extraausgabe des „Volksblatts“ mit einer ausführlichen Vorstellung unserer Standpunkte und des sechsköpfigen, sehr vielfältigen Kandidatenkollektivs herausgebracht. Zunächst erschienen 1.000 Exemplare für die Infostände, dann weitere 10.000, wovon 8.200 als Einleger mit dem „Lindenspiegel“ in die Hausflure gelangten und die letzten 1.800 Stück noch einmal im Rahmen von Verteilaktionen auf der Straße unters Volk kamen. Dabei ergaben sich nicht immer, aber doch sehr häufig angeregte Gespräche und Nachfragen sowie Diskussionen über unsere Positionen, die nach anfänglicher Skepsis das eine oder andere Mal auch zu weitgehender Übereinstimmung führten. Der medialen Dominanz des „Polit-Talks“ des bürgerlichen Einheitsbreis durch sinnfreie „Trielle“ und plakative Alibiphrasendrescherei setzten wir 600 der bundeseinheitlichen DKP-Plakate und darüber hinaus 2.000-fach auf Papier gebrachte, schmerzende Erkenntnisse im A5-Format entgegen: Augenöffner wie „Wer Baerbock wählt, wählt Kriegsvorbereitung, hohe Mieten und teure Lebensmittel!“ und „Autofahren, Wohnung heizen: Grün kommt uns teuer zu stehen!“ wurden kombiniert mit „Protest wählen – Kommunisten wählen – DKP“.
Bei all dem war ein Aktiv von sechs bis zehn Personen plus tatkräftiger Unterstützung von der SDAJ und drei bis fünf Sympathisanten mit Kopf, Hand und Fuß bis zur Belastungsgrenze im Einsatz. Zwar wurde der Handlungsrahmen – neben der geringen Gruppengröße – durch die Lockdown-Bedingungen eingeschränkt. Sprach man die Menschen auf der Straße an, waren viele aber sogar froh über die Zuwendung – das Interesse, ihren Frust über die „Corona-Politik“ loszuwerden, überwog vielmals die Kontaktscheu, was einen sehr guten Hebel zur allgemeinen Kapitalismuskritik und Darstellung unserer „Exitstrategien“ lieferte.
Es sei nicht verschwiegen, dass so mancher unsere Kontaktversuche mit antikommunistischem Schaum vorm Mund ausschlug und das letzte halbe Jahr kein andauerndes Händeschütteln war, es Leute gab, die nicht einen Handschlag für den Parteitagsbeschluss taten und die alle Hände voll zu tun hatten mit „wichtigeren“ Dingen. Aber es wurden uns viele Hände gereicht. Auch wenn wir den Einzug in den Bezirksrat nicht geschafft haben und der Umtrunk zum Wahlkampfabschluss nur eine Feier zum Begießen unserer persönlichen Zielerreichung war – wir haben mit 1,4 Prozent ein stabiles Ergebnis eingefahren und uns in unserem direkten Wahlbezirk in Linden-Nord mit 3,2 Prozent sogar den 5. Platz erkämpft, den wir uns mit der CDU teilen Wir haben unseren Stadtbezirk noch ein bisschen besser kennengelernt und erste Kontakte knüpfen können zur neu entstandenen Bürgerinitiative für die Anwohnerinteressen, zur KJ (Kämpfenden Jugend), zu lange inaktiven und ehemaligen Genossen und zu drei Sympathisanten, die bereits zum Gruppenabend kommen. Sie brauchen wir dringend, um unsere kommunistischen Alternativen zum herrschenden Abwärtskonsens der bürgerlichen Parteien bekannter zu machen, konkrete Formen der Gegenwehr zu entwickeln und sie anzuwenden. Wenn es in fünf Jahren dann wieder gilt, für die richtige Seite Stellung zu beziehen, dann sind es hoffentlich noch etliche neue Genossen mehr, die mit uns die Losung vor sich hertragen: Für die arbeitenden Menschen im Stadtteil! Ob der Linden heißt oder anders.