ver.di schließt Kompromiss in der dritten Verhandlungsrunde für Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes

Licht und Schatten

Nach einer Marathonverhandlung hat die Gewerkschaft ver.di am vergangenen Wochenende in eigenen Worten „einen respektablen Tarifabschluss in schwierigen Zeiten“ für die 2,3 Millionen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst vereinbart. Positiv wird sich das Ergebnis vor allem für die Beschäftigten in der Pflege auswirken. Ihr Berufsbild wird aufgewertet. Diese Aufwertung erfahren allerdings nicht alle Beschäftigten in den Krankenhäusern, was ein großer Schwachpunkt ist. Zu den offensichtlichen Schwächen des Ergebnisses gehört zudem die lange Laufzeit von 28 Monaten mit sieben Nullmonaten zu Beginn. Die erste Erhöhung des Entgelts gibt es erst im April 2021 mit 1,4 Prozent, mindestens aber 50 Euro als sozialer Komponente. Bis zum 24. November werden jetzt Mitgliederbefragungen von ver.di zu diesem Verhandlungsergebnis durchgeführt.

Eine Reihe von Angriffen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA), die mit einem bewusst provokanten Angebot in die dritte Verhandlungsrunde gegangen ist, konnten abgewehrt werden. So konnte das Herzstück des Tarifvertrages unverändert erhalten bleiben. Die Forderung der Arbeitgeber, insbesondere des Bundes unter Führung von Bundesinnenminister Horst Seehofer, nach Verschlechterungen der Eingruppierungsbedingungen, konnte – selbst wenn diese Drohung nur taktischer Natur gewesen sein sollte – in dieser Tarifrunde noch verhindert werden. Die Arbeitszeit im Osten wird um eine Stunde verringert und damit an das Westniveau von 39 Stunden die Woche angeglichen. Positiv ist auch, dass ver.di eine soziale Komponente, nämlich eine höhere Tarifsteigerung für die unteren Tarifgruppen, erreicht hat. Auch die Corona-Sonderzahlung wird sich in den Portemonnaies der Kolleginnen und Kollegen positiv bemerkbar machen. Allerdings war sie längst fällig und kann nicht als Kompensation für die sieben Nullmonate herhalten.

Dieses Ergebnis musste trotz seiner Schwächen gegen eine VKA, die ver.di und die streikenden Belegschaften am langen Arm verhungern lassen wollte, erkämpft werden. Geschätzt haben mehr als 100.000 Kolleginnen und Kollegen die Arbeit niedergelegt und sich zu Streikkundgebungen unter Corona-Bedingungen zusammengefunden. Insbesondere in den Krankenhäusern waren Beteiligung, Motivation und Organisiertheit größer als bei vorangegangenen Arbeitskämpfen. Diese Streikbereitschaft in Pandemiezeiten hatte die Gegenseite deutlich unterschätzt. Gleichzeitig war Corona mit steigenden Infektionszahlen der dritte Verhandlungspartner am Tisch. Vor allem in den Tagen vor der dritten Verhandlungsrunde hatten die Medien begonnen, die Kolleginnen und Kollegen für die Wahrnehmung ihres Grundrechts auf Streik in den Krankenhäusern, Kindertagesstätten, Verwaltungen, bei der Abfallwirtschaft und im ÖPNV – dort wird weiter gestreikt – zu diskreditieren.

Zu kritisieren ist vor allem die lange Laufzeit von 28 Monaten. Zum einen frisst die Inflation in dieser langen Zeitspanne die Entgelterhöhungen auf. Es wird also zu einem Reallohnverlust kommen. Zum anderen wird sich die lange Laufzeit negativ auf die Mitgliederzahlen auswirken, denn Mitglieder werden im Wesentlichen in aktiven Tarifrunden gewonnen. Die kommunalen und Bundesarbeitgeber haben mit der wirtschaftlichen Entwicklung und Einkommensverlusten in den öffentlichen Haushalten durch Corona argumentiert. Sich dieses Argument der leeren Kassen zu eigen zu machen, wenn gleichzeitig Milliarden für die Unternehmen und die Kriegskassen sprudeln, dient nicht den Interessen der Beschäftigten.

Eine echte Aufwertung aller in den Krankenhäusern beschäftigten Kolleginnen und Kollegen wäre ebenso notwendig gewesen wie eine deutliche Verbesserung für andere Bereiche im Öffentlichen Dienst, die weniger kampfstark sind. Natürlich können nur die jeweils von Tarifkämpfen betroffenen Beschäftigten Entgeltverbesserungen in ihren Bereichen und Branchen erkämpfen. Dennoch ist dieser Tarifabschluss nun ein Maßstab für alle anderen Branchen, der nur schwer zu überwinden sein wird.

Es gilt nun nicht nachzulassen, den gestiegenen Kampfgeist auch angesichts der offensichtlichen Widersprüche in dieser Krise zu nutzen, weiter zu diskutieren und zu kämpfen: Für mehr Personal, kürzere Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen. Eine Erhöhung des Personals in den Krankenhäusern ist entsprechend des tatsächlich vorhandenen Bedarfes mittels einer Personalbemessung notwendig. Mit den bestehenden Fallpauschalen ist das nicht zu machen – sie müssen weg. Nach der überfälligen Angleichung der Arbeitszeiten von Ost an West muss endlich die Forderung über eine grundlegende Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich verhandelt werden – 30 Stunden die Woche sind genug. Und es geht um den Kampf gegen Privatisierungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge.


Die Eckpunkte des Tarifvertrages
Laufzeit: 28 Monaten bis Ende 2022
Erhöhung der Tabellenentgelte:
zum 1. April 2021 um 1,4 Prozent, mindestens um 50 Euro
zum 1. April 2022 um 1,8 Prozent
Einmalzahlung als Corona-Prämie, damit steuerfrei, im Dezember 2020:
bis zu 600 Euro für Tarifgruppen 1–8,
bis zu 400 Euro für Tarifgruppen 9–12,
bis zu 300 Euro für Tarifgruppen 13–15, bis zu 225 Euro für Auszubildende
Zulage für Pflegekräfte: ab. 1.3.2021 von 70 Euro, die ein Jahr später auf 120 Euro erhöht wird
Zulage in den Betreuungseinrichtungen wie Altenheimen 25 Euro
Erhöhung der Zulagen bei Wechselschicht um 50 Euro auf 155 Euro
Erhöhung der Zulagen in der Intensivmedizin von circa 46 Euro auf 100 Euro
Zulage für Ärzte in den Gesundheitsämtern von 300 Euro.
Erhöhung der Jahressonderzahlung um 5 Prozent (im Osten um 6 Prozent) in zwei Schritten
Angleichung der Arbeitszeit Ost/West ab 1. Januar 2023, in Krankenhäusern bis 1. Januar 2025

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"Licht und Schatten", UZ vom 30. Oktober 2020



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