Mit dem knappen Ergebnis von 51,2 Prozent hat Lenín Moreno die Präsidentschaft im südamerikanischen Ecuador in der Stichwahl gewonnen. Bis weit in linke Kreise musste der Vorname des früheren Stellvertreters des nicht mehr zur Wahl stehenden Präsidenten Rafael Correa dafür herhalten, sich von den Ereignissen im fernen Russland hundert Jahre zuvor zu distanzieren, indem darauf verwiesen wurde, dass „Lenin per Wahl an die Macht“ kam.
Der Politkalauer ist nicht nur aus der Zeit, sondern auch aus dem politischen Zusammenhang gefallen; nebenbei bemerkt, berücksichtigt er nicht den Unterschied zwischen Regierung und Macht.
Nach zehn Jahren Linksregierung in Ecuador ist zu konstatieren, wie weit die Regierungspolitik vom Anspruch eines ursprünglich proklamierten „Sozialismus“ entfernt ist. Da dieser ein Antasten des Privateigentums an den Produktionsmitteln nicht vorsah, waren materialistisch orientierte Kräfte ohnehin gewarnt. Dass nach langen Verhandlungen im November 2016 ein bilateraler Freihandelsvertrag mit der Europäischen Union paraphiert wurde, der zuvor verbal lange abgelehnt wurde, ist einer der eklatanten Widersprüche einer Regierung, die linken Diskurs mit pragmatischer Wirtschaftspolitik verband. Folglich unterscheidet sich das Rohstoffexportmodell Ecuadors von dem der anderen Andenstaaten wenig. Widerstand gegen die Zerschredderung der Berge auf der Suche nach Metallen wird mit Hinweis auf das Gesamtwohl gegen die meist indigenen Bewohner auch mit Militärpolizei begegnet.
Auf der anderen Seite stehen die Erfolge der Regierung hinsichtlich der Bürgerbeteiligung, vor allem in Sachen Gleichstellung im rechtlichen Bereich. Präsident Correa hat sich auch vorbildlich gegen die Aggressionen des Nachbarlands Kolumbien zur Wehr gesetzt; die Expertenanhörung in Sachen der Legitimität der Auslandsschulden, die das Land von einer nachhaltigen Entwicklung abhalten, verdient Anerkennung und ist geeignet, von anderen abhängigen Staaten der Welt studiert zu werden. Es wurde Geld in das Gesundheitswesen, die Bildung, wirtschaftliche Entwicklung oder den Wohnungsbau gesteckt, was auch Armen zugute kam. Deren grundsätzliche Ausbeutung hat sich nicht geändert, allerdings ist ihr gesellschaftlicher Status wenigstens formal verbessert worden.
Der oben beschriebene irrational-nachlässige Umgang mit Begrifflichkeiten lässt sich vielleicht noch am besten mit der Irrationalität des Gegners erklären, auf die linksbürgerliche Kräfte gern mit einer Überbewertung der eigenen Maßnahmen reagieren – wenn also der US-Imperialismus die Sozialmaßnahmen der fortschrittlichen Regierungen zu sozialistischem Teufelswerk erklärt, dann glaubt man gern, man sei tatsächlich auf dem Weg zum Sozialismus. Der Generalsekretär der KP Ecuadors, Winston Alarcón, beschrieb nach dem Sieg Morenos am 2. April eine Seite davon: „Dieser Prozess ließ beim Imperium die Alarmglocken klingeln, und es scheuten weder die CIA und ihre lokalen Agenturen wie die Rechtsparteien, die falschen Ultralinken und die Stiftungen, die die Pseudoführer der Indigenen unterstützen, noch die Massenmedien Kosten und Mühen, um die konservative Restauration und den Neoliberalismus im Stile Argentiniens und Brasiliens durchzusetzen.“
Äußere Einmischung und die Reaktion auf die immer noch leicht nachteiligen Wahlmehrheiten im Land gehen Hand in Hand: Um die Niederlage in mutmaßlichen Betrug verwandeln zu können, ließ die politische Rechte um Kandidat Guillermo Lasso über das Umfrageinstitut CEDATOS um 17 Uhr des Wahltags verlauten, dass sie mit 53 % gewonnen habe – sofort gab es Freudenkundgebungen der Konservativen. Das später vom Wahlrat verkündete Endergebnis zu Gunsten von Lenín Moreno konnte folglich nur Betrug sein: „Entweder Lasso gewinnt oder es war Betrug der Regierung“, wie es Winston Alarcón für die Kommunistische Partei Ecuador nannte. Inzwischen, so Winston Alarcón zur UZ, hat sich die Lage auf den Straßen beruhigt, nachdem nicht einmal die USA die Rechtmäßigkeit des Siegs der Regierungspartei „Alianza PAIS“ in Abrede stellen. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung brachte die PCE über ihr Bündnis „Frente UNIDOS“ mit José Agualsaca einen stellvertretenden Abgeordneten durch.
Der kleiner gewordene Vorsprung der fortschrittlichen Kräfte Ecuadors wird die Rechte analog zu den Vorgängen in Venezuela nicht ruhen lassen einen Umsturz auch ohne Wahlen durchzuführen. Dass das gelingen könnte, hat auch mit der schwächeren Unterstützung des Volkes für die Umgestaltungsprozesse zu tun – und die wiederum mit den genannten Widersprüchen. Es gibt keinen Aufbau des Sozialismus, wenn man dessen Grundlagen nicht kennt. Da nutzt es wenig, wenn Freunde der fortschrittlichen Prozesse in einigen Staaten Lateinamerikas von hier aus weitere Verwirrung stiften. Denn es geht bei gesellschaftlichen Umwälzungen immer auch um Lenin – allerdings eindeutig um das Original.